Fangen sie an oder hören sie auf?

Anna Rheinsberg schreibt in "Basco" von zwei Liebenden, die sich nach 25 Jahren wieder sehen

Von Roman GrafRSS-Newsfeed neuer Artikel von Roman Graf

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Er schläft wie der Fuchs, klopft mit dem Bein, um sich in den Schlaf zu zwingen. Die Bewegung kenne ich nur von ihm." Aus dem gleichen Grund, weshalb die Erzählerin Basco liebt, lieben wir auch diese kurze Geschichte von Anna Rheinsberg: Es ist das Spezifische, das uns Geschichten, die nicht neu sind, immer wieder neu erscheinen lässt. Und solche Geschichten wollen wir auch immer wieder lesen.

Doch was erfahren wir über Basco? Er musste mit 14 arbeiten gehen, Türen und Fenster einsetzen, und mit 15 stand er auf der Straße, von allen verlassen. Mit 21 traf er in einem Trödelladen Magdalena, die Ich-Erzählerin der Geschichte. Diese erzählt uns noch viel mehr über Basco, denn sofort liebte sie ihn: "Er hatte stets ein Mädchen, hatte Arbeit, die nie davonlief. Mädchen mochten Basco. Aber sie hielten es nie lange aus mit ihm." Warum? Bestimmt nicht, weil er "liebesbegabt", schon eher, weil er "häufig traurig" war. Und weil ihn alles erregte: ein Hund, ein Geräusch, eine Bahn, aber auch Wind und Sonnenstrahlen. Auch mit Magdalena ging es nicht lange gut. "Er war eine Bewegung, ruhelos, und er war unterwegs. Ich wollte einen Ort, so etwas wie Ordnung, von der ich mir nicht viel versprach, nach der ich mich aber sehnte." Sie schickte Basco weg; er landete wieder auf der Straße.

Heute, 25 Jahre später, ist Basco noch immer unterwegs. Er ist der Alte geblieben, hat kein Bankkonto, keine Krankenversicherung. Doch der Einzelgänger fährt nicht alleine, er fährt mit Magdalena.

Was erfahren wir also über Magdalena, die Ich-Erzählerin? "Die Wahrheit ist: Ich bin eine sitzengelassene Frau [...] Mein Mann ist abgehauen. [...] Am Morgen klingelte das Telefon. Mein Mann war dran und sagte, dass er sich umbringen werde. [...] Wer fort will, braucht Geld. Ein paar Tage später war das Konto leer. Und umgebracht hat er sich auch nicht." Sie verbrachte ein paar Nächte in einer psychiatrischen Klinik und jetzt, im Winter, reist sie mit Basco, ihrer Jugendliebe, fort. Sie hat Basco auf der Straße wiedergetroffen. Die Reise beginnt im Wuppertal und führt über Frankreich nach Spanien.

Sie fahren in einem Bus, den Basco steuert. Sie streiten sich über Wörter und sie küssen sich. Sie haben auch Sex, so guten Sex, dass sie sich fragt, wie sie je wieder mit einem anderen Mann schlafen kann. Sie schreibt Gedichte, die Basco nicht versteht, weil er glaubt, er sei roh. Hätte sie damals vor 25 Jahren bei Basco bleiben sollen? Sie vermutet, dass sie dann eine stinklangweilige Beziehung gehabt hätten, er vor dem Fernseher, sie in der Küche. Sie hätte gefragt, wann er ins Bett komme, und er hätte gesagt, bald.

Aber wie soll es heute anders werden, wenn sie zusammenbleiben wollen? Basco: ",Du hast mich für die Ordnung verlassen, Magdalena. Jetzt ist keine mehr, und ich bin wieder da.'" Sie stehen noch immer vor dem gleichen Problem wie damals. Magdalena will ein Haus; Basco ist die Straße. Sie fordert ihn auf, bei ihr zu bleiben; er glaubt, dass sie ihn dann ans Bett fesselt. Sie schlägt ihm vor, dass er ein Bett bauen könnte; er will kein Bett bauen, denn immer, wenn er ein Bett gebaut hat, ging die Frau weg. Und doch, mit der Zeit, kommen sie sich näher, wird die raue Haut, die sich gebildet hat, wieder sanfter: ",Fangen wir an. Oder hören wir auf.' 'War das eine Frage, Basco?'"

Beide sind verlassen worden und haben deshalb Angst, sich auf neue Gefühle, auf eine neue, feste Beziehung einlassen zu wollen. Und doch ist genau dieses Risiko nötig, denn alleine bleiben wollen sie nicht. In dieser Geschichte geht es um die Entscheidung: Will ich Freiheit und Einsamkeit oder Geborgenheit und Abhängigkeit? Magdalena ging in den sicheren Hafen der Ehe, sie bekam scheinbar die ersehnte Ordnung - bis der Mann sie verlassen hat. Basco lebte auf der Straße und verrohte. Rheinsbergs Geschichte fragt, ob diese Gegensätzlichkeit zusammenzubringen ist.

Rheinsberg ist ein zärtliches Roadmovie gelungen. Es ist - nicht zuletzt auch wegen seiner Kürze - ein dichter, komplexer, splitterhafter Text, der dennoch leicht zu lesen ist und einen an eine leise Melodie erinnert. Entgegen dem heute gängigen Realismus werden in "Basco" Gefühle nicht verdrängt, sondern offen ausgesprochen. Ein ehrliches, wichtiges Buch.

Titelbild

Anna Rheinsberg: Basco. Eine Liebesgeschichte.
Edition Nautilus, Hamburg 2004.
94 Seiten, 12,90 EUR.
ISBN-10: 3894014350

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