Das Schicksal eines Kindes in der NS-Psychiatrie

Heinz A. Höver erforscht das kurze Leben des Josef Brock aus Hausweiler

Von Mechthilde VahsenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Mechthilde Vahsen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Sechs Jahre hat er gelebt, der uneheliche Sohn Josef von Elisabeth Brock aus Hausweiler, von 1937 bis 1943. Gestorben ist er in Wien, in der Kinderabteilung "Am Spiegelgrund" der Heil- und Pflegeanstalt "Am Steinhof". Hier wurden über 790 Kinder ermordet, ihre Gehirne und Markstränge aufbewahrt, viele Gehirnschnitte in Paraffin gelegt. Der stellvertretende Leiter der Anstalt, der Psychiater Dr. Heinrich Gross, wertete die Gehirne der Opfer nach 1945 weiter aus, die Präparate bildeten den zentralen Arbeitsbereich des für Gross gegründeten Ludwig Boltzmann-Instituts. Erst 1998 wird die Herkunft der Präparate offiziell bestätigt. Zu diesem Zeitpunkt besitzt Dr. Gross seit über 23 Jahren das "Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst, erster Klasse" und lebt unbehelligt in Wien als renommierter Gerichtsgutachter. Wie in den Nachkriegsjahren wird Dr. Gross auch 2002 nicht der Prozess gemacht, auf Grund "fortschreitender Demenz". Seine Antwort auf die Frage nach moralischen Bedenken verweist auf die Notwendigkeit einer umfassenden Aufarbeitung: "Das kann man nicht haben als Forscher." Das Verdienstkreuz wurde ihm mittlerweile aberkannt.

Heinz A. Höver stammt selbst aus dem kleinen Ort Hausweiler der Gemeinde Weilerswist bei Köln, ist hier aufgewachsen, kennt alle in diesem Ort und erfährt 16-jährig zum ersten Mal von dem deportierten Kind Josef Brock. Immer wieder befragt er Zeitzeugen, will die Wahrheit hinter den Fakten wissen. 2002 erreicht die Stadtverwaltung ein Schreiben aus Wien, in dem mitgeteilt wird, dass die sterblichen Überreste der Opfer aus der Klinik in Wien beigesetzt werden. Dies löst weitere Recherchen aus, die schließlich als "Stimme gegen das Schweigen" verstanden, in die Dokumentation von Heinz A. Höver münden.

In dem schmalen Band, der bereits in der zweiten Auflage vorliegt, wird die Mutter Elisabeth vorgestellt, der mutmaßliche Vater, der sich aus allem heraushält, kurz erwähnt, die Geschichte des Bruders der Mutter, Heinrich, erzählt, der wegen angeblicher Inzucht ins Zuchthaus kommt, Elisabeth und Heinrich werden zwangssterilisiert, die geistige Behinderung der Geschwister spielt dabei eine Rolle. Beide versorgen sich nach dem Krieg selbst, Elisabeth stirbt erst 1993, Wiedergutmachung gibt es für sie nicht.

Der Autor zeigt am Einzelschicksal die unzähligen Verbrechen auf, über die immer noch zu wenig geredet wird. "Späte Gerechtigkeit" ist seine Motivation, und Kritik an einer Kirche, die ihren Teil der Geschichte noch nicht aufgearbeitet hat.

Der Dokumentation ist ein Quellenverzeichnis beigefügt sowie im Anhang eine Predigt des Clemens August von Galen, Bischof von Münster, aus dem Jahr 1941, in der er zum Widerstand aufruft.

Titelbild

Heinz A. Höver: Das vergessene Kind. Josef - nicht gewollt, nicht beschützt, ermordet und verwertet.
Verlag Landpresse, Weilerswist 2003.
60 Seiten, 10,00 EUR.
ISBN-10: 3935221266

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