Kulturgeschichtler des Gefühls

Dietmar Grieser zum 70. Geburtstag

Von Klaus GasselederRSS-Newsfeed neuer Artikel von Klaus Gasseleder

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Im März 2004 hat Dietmar Grieser, Bestsellerautor aus Wien, seinen 70. Geburtstag feiern können. Wie kaum ein zweiter hat er es in seinem umfangreichen, Jahr für Jahr wachsenden Werk immer wieder vermocht, seine Leser und vor allem Leserinnen mit biografischen Details aus dem Leben von Schriftstellern, Künstlern und zunehmend auch anderen Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens vertraut zu machen. Bekannt wurde er vor allem als literarischer Spurensucher und "Literaturdetektiv", der immer wieder "Schauplätzen der Weltliteratur"- so auch der Titel eines seiner bekanntesten Bücher - oder literarischen Figuren und deren Vorbildern nachgespürt hat. Gleichzeitig kamen vorwiegend biografisch orientierte Bücher über Kulturlandschaften wie Wien, dasSalzkammergut oder Südtirol auf den Markt.

Der 2000 erschienene Band "Heimat bist du großer Namen" ist vor allem seiner Wahlheimat Österreich, einschließlich Altösterreich, wie er es nennt, der K. u. K-Monarchie und ihren Kronländern also, verpflichtet. Gemeinsam ist den zahlreichen und deshalb überwiegend kurzen und anekdotenhaften Beiträgen über berühmte Persönlichkeiten deren österreichische Herkunft, sowie deren späte Karriere im Ausland. Eine bedeutende Rolle spielt dabei das US-amerikanische Showbiz, angefangen vom Trio der Hollywood-Regisseure Fritz Lang, Erich von Stroheim und Josef von Sternberg bis hin zu dem mährischen Tänzer Fred Astaire, der eigentlich Austerlitz hieß, und den Filmkomponisten Fritz Kreisler, Fred Raymond und auch der Trapp-Familie, sowie aus dem Bereich der Bühne Helene Weigel und Walter Felsenstein. Biografien einiger Erfinder und Forschungsreisende ergänzen die Reihe, wobei sich Grieser auf bereits verstorbene Persönlichkeiten beschränkt, was uns zumindest die Begegnung mit dem Gouverneur von Kalifornien erspart hat. Recht gering ist in diesem Band der Anteil der Literaten: Marianne von Willemer, Goethes Freundin und Mitdichterin, vertritt das 19. Jahrhundert ebenso wie der mährische Abenteuerschriftsteller Charles Sealsfield (alias Carl Postl) und die Forschungsreisende Ida Pfeifer, deren Reisetagebuch "Reise einer Wienerin ins Heilige Land" seinerzeit großes Aufsehen erregte. Für die Literatur des 20. Jahrhunderts steht Annemarie Selinko, die Verfasserin von "Désirée". Gerade in diesem umfangreichen Band beschränkt sich Grieser notgedrungen auf das Anekdotische, zuweilen sogar Klatschhafte, er wertet die bekannte biografische Literatur gezielt aus, ist aber kaum noch als eingeständiger Spurensucher tätig.

Mit "Das späte Glück. Große Lieben großer Künstler" aus dem Jahre 2003, setzt Grieser die Reihe seiner Themenbände fort, wie er sie auch schon Künstlerwitwen, seltsamen Todesfällen und hinterlassenen Möbeln gewidmet hat. Sind "späte Lieben" ein Privileg der Künstler, die es sich leisten können, gegen alle gesellschaftliche Vorurteile, sich auch im Alter, als Witwe oder Witwer noch einmal zu verlieben oder gar noch eine Dreiecksbeziehung zu pflegen?. Mit seinen Beispielen nimmt Grieser in Anspruch, auch in diesem Bereich wieder einmal einen Beitrag zu einer "Kulturgeschichte des Gefühls" geleistet zu haben, wie György Sebestyén mal über Griesers Bücher geurteilt hat. In dem Band überwiegen Beispiele aus der Literaturgeschichte, auch hier zieht Grieser sein Wissen vor allem aus gängigen Biografien: Goethe und Ulrike finden sich natürlich als Prototyp für das Thema, die Liebesverhältnisse der Herren Heine, Poe, Ibsen, Schnitzler, Fallada und Weinheber werden gezeichnet, aber auch der Paare Franz Kafka und Dora Diamant, Joseph Roth und Irmgard Keun. Ergänzt werden die Biografien der Künstler und ihrer Geliebten (die Liebe Edith Piafs zu Théo Sarapo ist das dabei einzige Beispiel einer Künstlerin) durch die von Malerlieben (Rembrandt, Klimt, Gerstl und Modigliani) und der einiger Showstars - und Napoleon nicht zu vergessen. Griesers Darstellungsform ist in allen Beiträgen nahezu dieselbe. Er zielt seinem Leser mitten in den Text, indem er seine Helden sogleich in einem wichtigen und bezeichnenden Lebensabschnitt vorstellt; er blickt in einem zweiten Schritt dann auf die Anfänge der Helden zurück, um hernach - immer noch im Präsens der Vergegenwärtigung bleibend - die betreffende Liebesgeschichte zu entwickeln. Am Schluss der meisten Kapitel steht der unvermeidliche Tod des, der oder beider Liebenden, zuweilen verknüpft mit dem leicht melancholischen Ton des "C'est la vie".

Problematischer wird Griesers Verfahren in seinem Buch "Sie haben wirklich gelebt", mit dem er an manches früheres Werk anknüpft, auch ältere Beiträge wieder einfügt und wieder als literarischer Spurensucher tätig ist. So wie Grieser durch das Erforschen der Vorbilder literarischer Figuren Interesse für Literatur wecken und diese dem Leser nahebringen kann, tragen seine Texte andererseits dazu bei, dass dieser sich von einem literarischem Erleben spezieller Art und einem Literaturverständnis entfernt, bei dem Literatur als geschlossener Text verstanden wird, der für sich stehen kann, sogar muss und der einen eigengesetzlichen Spielcharakter besitzt. Dieser Einwand hat weniger mit einer puritanischen Haltung gegenüber Literatur zu tun, wie es Grieser einmal hat anklingen lassen, sondern wirft weiter reichende ästhetische und wahrnehmungspsychologische Fragen auf.

Nicht nur der Titel des Buches, sondern auch Sätze wie "Duval - das ist niemand anderes als er selbst, hinter Marguérite Gautier verbirgt sich [...] Mademoiselle Plessis, und das Boudoir [... ] ist mit Alphonsines Wohnung identisch" (alle aus dem Beitrag über die "Kameliendame") - statt einer Formulierung wie "waren das Vorbild für" - sind zumindest überspitzt formuliert, denn jeder erzählende Mensch, der einen "echten" Eindruck von Personen und damit "Wirklichkeit" wiedergeben will, kommt nicht umhin, wie spätestens die Hirnforschung gezeigt hat, sich diese Wirklichkeit selbst zu erfinden, um so mehr der Autor, der zudem noch literarischen Spielregeln gehorchen und diesen gemäß die "Wirklichkeit" bewusst oder unbewusst verändern muss, will er den "effet reel", den Anschein von Wirklichkeit erreichen. Denn nichts wäre langweiliger als eine ohnehin nicht mögliche Eins-zu-eins-Wiedergabe, abgesehen von allen der Literatur innewohnenden Spielelementen, die Grieser zuweilen als Verschleierung und Täuschung der Leser abtut. Andererseits kann jedoch gerade das von Grieser ausgebreitete Material Hinweise für Reflexionen über das Verhältnis von "wirklicher" und literarischer Wirklichkeit liefern.

Begibt man sich auf eine alltäglichere Ebene von Wirklichkeitsvorstellung, ist es ohnehin frappierend, was Grieser alles herausgefunden und/oder zusammengetragen hat: die "Vorbilder" von Effi Briest und Baron von Ingarden, von Brechts Maria A., des Leutnants Gustl und des Milchmanns Tewje, des Tadzio aus dem "Tod in Venedig", des Alexis Sorbas, von Goethes Gretchen, Klaus Manns Mephisto, um nur einige zu nennen. Zudem kommt bei den Texten dieses Bandes, wo der Literaturdetektiv und Spurensucher Grieser in den Vordergrund tritt, etwas hinzu, was den beiden anderen Bänden abging, die zuweilen recht spannende Geschichte der Aufdeckung selbst, das Knüpfen der detektivischen Fäden, dies alles in dem unterhaltsam und amüsant plaudernden und dennoch informativen Ton erzählt, der Dietmar Griesers Texte beim Lesen und vor allem auch beim Hören seiner Lesungen so sympathisch macht.

Titelbild

Dietmar Grieser: Heimat bist du großer Namen.
Amalthea Verlag, Wien 2000.
264 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-10: 3850024474

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch

Titelbild

Dietmar Grieser: Sie haben wirklich gelebt. Von Effi Briest bis zu Herrn Karl, von Tewje bis James Bond.
Amalthea Verlag, Wien 2001.
342 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-10: 3850024679

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch

Titelbild

Dietmar Grieser: Das späte Glück. Große Lieben großer Künstler.
Amalthea Verlag, Wien 2003.
272 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-10: 3850025055

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