Alte Brücken ins neue Europa

Ein westdeutscher Seitenblick auf die Leipziger Buchmesse

Von Katharina DelogluRSS-Newsfeed neuer Artikel von Katharina Deloglu

Unfreundliches Wetter empfängt die weitgereisten Messebesucher in Leipzig. Der Wind pfeift und lässt sehnlich an warme Wollstrumpfhosen denken. Aber unverdrossen zieht sich die schwarz bemantelte Menge von der Straßenbahn-Endhaltestelle zum Messe-Eingang. Eisige 300 Meter Teststrecke für Kulturbeflissene, denn Shuttle-Busse wie auf der Frankfurter Buchmesse gibt es nicht, und auch die Glanz- und Glamourwelt ist auf erfreuliche Weise eingestampft: Die Bohlens und Küblböcks der westlichen Hemisphäre sind einfach zu aufgebläht für das Leipziger Passformat. Hier herrscht eine gesunde Skepsis gegenüber Schaumschlägern. Allenfalls der Cappuccino mit Milchschaum bleibt ein sehnlicher, aber unerfüllter Wunsch, denn diese Errungenschaft der europäischen Einigung ist offenbar noch nicht angekommen. Statt dessen Filterkaffee, bitter und schwarz wie die Nacht. Eine erste Probe innerdeutscher Verständigung für den westdeutschen Magen.

Ach ja, die europäische Osterweiterung. Wie ein Phantom geistert sie durch die Diskussionsforen in den abgetrennten und bestuhlten Ecken der beiden Messehallen. Im "Café Europa" unterhalten sich Autoren und Verleger aus Ungarn, der Slowakei, Kroatien, Malta und Österreich. Die ethnischen Konflikte auf dem Balkan, hier ist man sich einig, zersplittern einst gemeinsame Sprachen und generieren "polyglotte Bürger", die nun serbisch, kroatisch und montenegrinisch sprechen. Globalisierung versus Regionalisierung. In diesem Klima von Ab- und Ausgrenzung, Diskriminierung und Bruderhass ist "die Kulturarbeit der Verleger vor allem Friedensarbeit", so die einstimmige Überzeugung. Der junge slowakische Autor Michail Hvorecký formuliert schließlich seine Vision von einem Deutschland, das "innerhalb von Europa Brücken baut".

Die Brückenpfeiler zeichnen sich allerdings schon im Planquadrat der Leipziger Messehallen ab: Das Baltikum und der Balkan sind mit einzelnen Länderständen gut vertreten, ebenso Polen und Ungarn. Immer mehr verfestigt sich so der Eindruck, dass gerade hier, auf dem Boden des ehemaligen Bruderstaates, die Keime einer europäischen Integration besonders gut gedeihen. Eben jene Kompetenz der kulturellen Mittler der ehemaligen DDR wird in Leipzig ausgestellt. Häufig sind es Potentiale, die seit der Wiedervereinigung brach liegen. Wohl kaum treffender hätte daher die Diskussion über den ehemaligen DDR-Verlag "Volk und Welt" mit seinem umfangreichen Osteuropa-Programm überschrieben werden können: Alte Brücken zum neuen Europa.

Unweit der Diskussionsecke präsentiert Christoph Links einen Wälzer, der die Geschichte dieses traditionsreichen Verlags aufarbeitet. Ihm gegenüber sitzt Elmar Faber, der ehemalige Chef von "Aufbau", des damals größten Literaturverlags der DDR. Elmar Faber brummelt ein bisschen und runzelt die Stirn. Aber dann kommt er in Fahrt und erzählt von der Vorwende-Zeit. Von einem Treffen mit Siegfried Unseld, als sie gemeinsam über eine "Osteuropäische Bibliothek" nachdachten, eine Buchreihe, die wegen mangelnder kommerzieller Aussichten als totgeborenes Kind begraben wurde. Der kleine Mann im weinroten Jackett, mittlerweile selbständiger Verleger, faltet die Hände über dem Tisch. Er weiß von den finanziellen Risiken solcher Vorhaben und vom schnelllebigen deutschen Literaturbetrieb, der immer mehr auf Masse statt auf Qualität setzt. Trotzdem träumt Elmar Faber weiter vom "leisen Eintreten in diese literarische Provinz".

Was in Leipzig immer wieder aufkocht, ist Nostalgie, nicht die publizistisch ausgeschlachtete "Ostalgie" westdeutscher Provenienz. Die Uhr tickt eben noch ein wenig langsamer im Messebetrieb, Gespräche sind noch ein wenig persönlicher und auch die Prominenz ist ein wenig näher. So landet Angela Merkel bald am Stand von Elmar Faber, während sich kurz zuvor Christina Weiß in die Sitzecke bei Christoph Links quetschte. Und auch der Zwei-Meter-Mann Ulrich Wickert wird auf den engen Messefluren schnell zur Unfallstelle für den eiligen Messebesucher.

Wenige Stunden später, in der neu entstandenen Fertighaus-Siedlung nahe der Messe, decken Helmut und Gertraut den Abendbrot-Tisch für ihre Messegäste. Im Fernsehen läuft die Verleihung des Deutschen Bücherpreises. Die Kamera zoomt auf die strahlenden Gesichter der Preisträger. Nach dem Abendessen wird abgespült und die Plauderei geht dabei weiter. Helmut und Gertraut wollen keinen Geschirrspüler. Wo alles per Knopfdruck geht, "fehlt mir die Kurbel, an die ich mal Hand anlegen kann", meint Helmut. Und schließlich geht die Kommunikation dabei weiter. Ja, reden hat man hier noch nicht verlernt. Dann aber kommt doch die Erinnerung an das mühselige Mittagessen auf der Messe hoch: Die Jagd nach dem Tomaten-Mozzarella-Vollkornbrötchen, der einzigen vegetarischen Variante, führte von Imbissstand zu Imbissstand, erinnerte schließlich an das "Organisieren" von Mangelware in grauer Vorzeit. Und überall lachte das Frikadellenbrötchen aus der Vitrine, strafte den Westdeutschen seines europäisierten Geschmacks und beharrte darauf, daß es auch nach dem Essen keinen Cappuccino mit Milchschaum geben würde, sondern eben einen bitteren, schwarzen Filterkaffee. Wie in Polen und Ungarn und anderswo in Europa.