Mit der Glut der Propheten

Zwei Übersetzungen des Schriftstellers Léon Bloy "Das Heil durch die Juden" und "Jeanne d'Arc und Deutschland"

Von Jörg SaderRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jörg Sader

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

An prominenten Fürsprechern hat es dem hierzulande nahezu unbekannten Léon Bloy (1846-1917) nie ermangelt. Franz Kafka zum Beispiel, der Gustav Janouch zufolge Bloys "Feuer" schätzte, Friedrich Glauser, dessen Aufsatz Hugo Ball, selbst ein 'Bloyen', im Tagebuch überlieferte, Walter Benjamin, der bereits 1932 Auszüge aus den "Gemeinplätzen" übersetzte und veröffentlichte, Kurt Tucholsky, Alfred Andersch, auch Heinrich Böll, der von Ernst Jünger sagte, er halte Autoren wie Bernanos und Bloy nicht stand. Schließlich Jünger selbst, dessen Name häufig fällt, wenn von Bloy im deutschen Feuilleton die Rede ist. Tatsächlich hat Jünger wie kaum ein anderer für den militanten "catholique intolérant" und "christlichen Céline", den wortgewaltigen Stilisten, apokalyptischen Bürgerhasser, den 'undankbaren' Bettler und Prediger der Armut geworben. 1934 durch Carl Schmitt angeregt, liest er ihn sein Leben lang, zählt ihn zu seinen Auguren, den Kronzeugen der Katastrophe des Nihilismus, und empfiehlt ihn - wie in mehr als 40 Eintragungen der "Strahlungen", den Tagebüchern zwischen 1939 und 1996, nachzulesen - dem deutschen Leser als freilich nicht immer angenehme Lektüre. Seine als "Akt geistiger Dankbarkeit" geplante Bloy-Studie ist allerdings nie geschrieben worden.

Dennoch scheint der im literarischen Kanon des Nachbarlandes fest verankerte Romancier, Tagebuchschreiber, Literaturkritiker und Pamphletist Léon Bloy, der mit Charles Péguy, George Bernanos und Paul Claudel zu den christlichen Revolutionären und Begründern des Renouveau catholique zählt, in Deutschland noch immer ein Unbekannter zu sein. Daran haben weder die bislang eher unauffällige Sekundärliteratur (u. a. Karl-August Götz, Walter Heist oder François Bondy) etwas ändern können noch die sporadischen (zunächst von Theologen angeregten, heute vergriffenen) Übersetzungen (der Tagebücher, eines Romans, einiger Briefe und Schriften), die seit Ende der 30er, vor allem in den 50er Jahren in abgelegenen Verlagen erschienen und schnell wieder vom Markt verschwanden.

Anders in Frankreich, wo das von der Literaturwissenschaft in den 80er Jahren als äußerst facettenreicher Gegenstand entdeckte Werk in einer 15-bändigen Gesamtausgabe wie im Taschenbuch vorliegt und seitdem zunehmend Würdigung erfährt, etwa in seinen Bezügen zu Barbey d'Aurevilly und Huysmans, in seinem ästhetischen Ort zwischen Naturalismus und Décadence wie in seiner radikal -religiösen Anwaltschaft für das Absolute jenseits der Geschichte. Demgegenüber hat der deutsche Leser, so könnte man resignieren, noch immer kaum Gelegenheit, sich einen fundierten Begriff von dem Endzeitvisionär und Verächter alles Liberalen und Saturierten zu machen, der bekannte, die Wahrheit seiner Bücher sei, dass er nur für Gott schreibe - wären da nicht erste Anzeichen eines neu entfachten Interesses an Bloy. Nach Übersetzungen bei Eichborn und Erich Weiss in Bamberg 1995 (der ersten vollständigen der "Exégèse des lieux communs" und des Wagner-Textes "Le musicien de silence") und einer Tagebuch -Auswahl bei Matthes & Seitz 2002 brachte der Wiener Karolinger-Verlag gleich zwei Bloy-Bände auf den Markt: 1997 "Das Blut der Armen" und "Die Sprache Gottes", gefolgt 2002 von "Das Heil durch die Juden" und "Jeanne d'Arc und Deutschland."

Nur für Gott schreiben, das hieß für den geistigen 'Abbruchunternehmer', als der sich Bloy empfand: gegen Kirche und Bürgertum schreiben, gegen das Selbstgespräch einer vernunftbetonten Moderne, die die Folgen, die doch jeder Moment unseres Lebens, jeder Pulsschlag, Atemzug und Gedanke in der Ewigkeit bewirkt, selbstgefällig leugnet. Daher das zornig - glühende Engagement für radikale Glaubenserneuerung, daher die hyperbolische Rhetorik, der innovative Sprachstil, der Gedankenreichtum und Bilderfülle auf faszinierende Weise verschmilzt, daher schließlich die Gestalt der Texte, die herkömmliche Gattungen schlicht sprengt.

Dies alles kennzeichnet auch "Le salut par les juifs" (1892; erstmals deutsch 1953), ein Buch in 33 pamphlethaften Abschnitten mit einleitendem 'De profundis' und beschließendem 'In excelso', das die Juden, wie Bloy schrieb, "über das Maß aller Hoffnungen ehrt und sie nichts gekostet hat." Als "Paraphrase" des 11. Römerbriefkapitels konzipiert, sollte es zeigen, "daß das Blut, welches am Kreuz für die Erlösung des Menschengeschlechts vergossen worden ist, [...] auf natürliche und übernatürliche Weise jüdisches Blut ist."

Durch Edouard Drumonts antisemitisches Werk "La France juive" sah sich Bloy zu dieser "unerträglichen und gewaltigen" (Bondy) Apologie des Judentums berufen, die bis heute den Vorwurf des Antisemitismus auf sich zieht, den allerdings weder der Jude Kafka, der "die Juden" hier "von einem Christen - wie ärmere Verwandte - in Schutz genommen" sah, noch etwa Bloys Zeitgenosse und Dreyfus-Parteigänger Bernard Lazare teilten, der seine von Bloy gefeierte Rezension mit "Un Philosémite" überschrieb.

Bloy las die Bibel nicht als historischen Text, sondern als Autobiographie Gottes, als einen in Bildern und Gleichnissen codierten Monolog, als universellen Symbolismus, der auf eine andere Wirklichkeit verweist und intuitiv zu dechiffrieren ist, unmittelbar, mit "inspirierter Willkür." Daher begrüßte Bloy mit der Zuversicht des Apokalyptikers die Kontingenz der historischen Ereignisse als bereits im Heilsplan verankerte Notwendigkeiten, las er Mangel, Tränen und Entzug, ja, die Totalität des Schmerzes (worin ihm Jünger zeitweise folgte) als Vorbestimmung, als negative Hinweise auf das Heilsprogramm, sah er als letzten Wohltäter den Tod: "Tout ce qui m'arrive est adorable!"

Wenn alles, was eintritt, zu diesem Plan gehört, dann auch, folgerte Bloy, das Schicksal der Juden, das ihm das "Salus ex judaeis est" des Johannes (IV, 22: "Ihr betet an, was ihr nicht kennt; wir aber beten an, was wir kennen; denn das Heil kommt von den Juden") wie der Römerbrief des Paulus offenbart. Einerseits also die Erwähltheit der Juden, des "Volkes des Heiligen Geistes" (Tagebuch, 12. Juni 1892), andererseits ihre Verworfenheit als Götzenanbeter, die nicht das Wort Gottes gewählt hätten, sondern sein Trugbild, das Geld: "Was sie mit dem Gelde tun, will ich euch sagen: sie kreuzigen es." Bloys mittelalterlich harte Sprache, die an niedere Instinkte und Vorurteile zu appellieren scheint, ist hier besonders irritierend: "In allen Jahrhunderten und in allen Reichen der Erde [hat man] ganz vergebens die Juden erschlagen, geröstet, ausgeraubt. Sie werden unweigerlich und übernatürlich von Gott selbst gezwungen, die abscheulichen Schweinereien zu begehen, die sie benötigen, um ihre Schande als ein Werkzeug der Erlösung zu beglaubigen." Sätze wie diese überzeugen den Leser kaum von Bloys Liebe zu Israel. Allerdings dachte der Prediger der Armut eschatologisch: ist das materialistische Sünde und somit das Böse schlechthin, so ist es doch als gottgegebenes, in Gott begründetes Instrument zugleich und vor allem das Fundament des (von fern an Marx' "Judenfrage" erinnernden) Heilsplans, nach dem das Volk der Juden am Ende der Zeiten, in der Apokatastasis, konvertieren und schließlich gerettet werden wird.

Auch die Schrift "Jeanne d'Arc und Deutschland", eine auf gründlichem Quellenstudium beruhende Darstellung des Wirkens und Scheiterns der "dauernd im Transzendenten lebenden pucelle" (Friedell), muss als christliche Historiographie gelesen werden, als Heilsgeschichte, die das Ineinander von sichtbarer und unsichtbarer Welt in den Taten der Jungfrau, das Wunder, das "vollkommen Übernatürliche dieses gewaltigen Schicksals" enthüllen und der ignoranten christlichen Welt zum Exempel vor Augen führen soll. Bloy hebt Jeannes "Gott zuerst!" hervor, ihre Unbeugsamkeit gegenüber der Frage, die Pascal zwei Jahrhunderte später zerreißen wird: Autorität der Kirche oder Freiheit des an Gott gebundenen Gewissens? Indem sie sich mit ihren Taten "einzig der Kirche des Himmels, das heißt Gott, der Jungfrau Maria und den Heiligen des Paradieses" unterwarf, besiegelte sie den bereits beschlossenen Gang zum Scheiterhaufen, der für Bloy allerdings längst nicht erloschen war, im Gegenteil: "einige Funken genügen, um alles in Brand zu setzen." Von der geheimnisvollen Erwähltheit der "Prophetin", deren Herr ein Buch besitze, "in dem kein Gelehrter lesen kann", kann Bloy, der französische Katholik, der sein Leben für sein Land zu geben bereit war, zur Erwähltheit Frankreichs übergehen ("im 15. Jahrhundert der einzige Grund des Daseins und der Erscheinung der Pucelle") und zugleich vor der Verworfenheit Englands, vor allem jedoch Deutschlands warnen, der Nation "kultivierter Rohlinge" und "lutherischer Preußen", deren "ketzerische Barbaren" in Frankreich einfallen. Für den hellsichtigen Bloy haben die "heutigen Schrecken" (des Ersten Weltkriegs, der während der Niederschrift ausbricht) einen "apokalyptischen Aspekt, der noch deutlicher wird, wie vorherzusehen ist." "Es kann sein", schreibt Bloy im Beschluss des Buches, "daß im Laufe unvorstellbarer Ereignisse, zu denen der gegenwärtige Krieg nur das Vorspiel sein mag, Frankreich den Scheiterhaufen der Helden besteigen wird, wie jene von abtrünnigen Priestern verurteilt, welche die Gottesmutter verleugneten."

Titelbild

Leon Bloy: Das Heil durch die Juden. Jeanne D´ Arc und Deutschland. Zwei Schriften.
Herausgegeben von Peter Weiß.
Übersetzt aus dem Französischen von Clemens ten Holder und Peter Weiß.
Karolinger Verlag, Wien 2002.
205 Seiten, 26,00 EUR.
ISBN-10: 3854181035

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