Pfiffiger Ehrgeiz oder die Initiationsreise eines Hasen

Ein doppelbödiger Entwicklungsroman in 17 Bildern und 25 Sätzen von Katja Wehner und Ludvig Askenazy

Von Marion MalinowskiRSS-Newsfeed neuer Artikel von Marion Malinowski

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Hasen können nicht pfeifen. Doch der Hasenheld in der Geschichte des tschechischen Schriftstellers Ludvik Askenazy würde es schrecklich gerne können. Deshalb macht er sich auf, ein Murmeltier zu suchen, denn Murmeltiere können ja bekanntlich bestens pfeifen. Aber sie sind Einzelgänger und schwer zu finden. Mit energischen Hüpfern überwindet der Hase die höchsten Berggipfel. Obwohl keines der vielen Tiere, denen er begegnet, ihm helfen kann, trifft er schließlich doch auf ein Murmeltier. Dieses lässt sich nur zögernd überreden, dem Hasen das Pfeifen beizubringen, und das mit der seltsamen Begründung: "Er wird es sowieso nie lernen". Das Murmeltier soll Recht behalten...

In wenigen Sätzen erzählt Askenazy eine Geschichte über Wünsche und den Versuch, sie zu verwirklichen. Aber das Buch beginnt so: "Es gibt Freundschaften und Freundschaften". Auch um Freundschaft geht es also, und das wird erst durch die Illustrationen von Katja Wehner wirklich sichtbar. Mit viel Liebe zum Detail veranschaulicht und interpretiert die studierte Buchkünstlerin in gedeckten Farben die lakonischen Aussagen des Autors. Der ist ein Meister der Irritation und leisen Andeutung. 1976, zehn Jahre vor seinem Tod, erhielt er für das Buch "Wo die Füchse Blockflöte spielen", in dem die Hasengeschichte erstmals erschienen ist, den Deutschen Jugendbuchpreis. Im selben Jahr wurde Katja Wehner geboren. Ein gutes Omen, denn ihr gelingt die kongeniale Umsetzung seiner Kunst und darüber hinaus wird durch die raffinierte Bildgestaltung manches verständlicher.

Vordergründig passen Hase und Murmeltier, das ungefähr Hasengröße hat und ein ähnliches Fell, recht gut zusammen. Offenbar handelt es sich jedoch um ein hochnäsiges Murmeltier, dessen Mimik und Gestik Ablehnung und Gleichgültigkeit verraten. Denn dass seine Pfeifkünste unerreichbar sind, ist für dieses Murmeltier sowieso sonnenklar. Wer so steinerweichend pfeifen kann, dass von seinem alles überragenden Standort selbst der härteste Fels bröckelt, behandelt einen armen pfeifunfähigen Hasen von oben herab. Wenn es dem weinenden Pfeifeleven mit verschränkten Vorderpfoten und abgewandtem Blick schließlich erklärt: "Es muss doch nicht jeder pfeifen können", hebt es eher seine eigene Überlegenheit hervor, statt dem Hasen Trost zu spenden - und verschwindet abrupt aus der Erzählung. Diese Freundschaft hat ihr Ende gefunden, wenn sie überhaupt eine war. "Es gibt Freundschaften und Freundschaften". Wo ist die andere? Aufmerksame Kinder werden sie gewiss entdecken.

Kaum etwas in diesen sorgfältig und abwechslungsreich komponierten Zeichnungen ist bloße Dekoration, scheinbare Nebensächlichkeiten erhalten Signalwirkung und 'unterstreichen' den komplexen Sinngehalt der Geschichte. Kleine Gesten - und eine graue Maus - entfalten bei genauerem Hinsehen große Wirkung. Neben zarten Überzeichnungen von Gefühlsäußerungen, die sich in vielen Bilderbüchern in ähnlicher Weise finden, eröffnen weniger auffällige 'Kleinigkeiten' ungeahnte Zusammenhänge. Darin unterscheidet sich das Buch wohltuend von den meisten, die an Kinder ab 3 Jahren gerichtet sind. Aufgrund seiner vielfältigen Sinnangebote wächst es mit seinen Lesern mit und entwickelt sich so zu einem Entdeckungsschatz, den selbst Erwachsene immer wieder gerne zur Hand nehmen werden.

Am Ende hat der Hase seinen ursprünglichen Wunsch, zusammen mit einem Kohlkopf, im wahrsten Sinne des Wortes vertilgt - und damit auch sein Verlangen gestillt. Denn seine Suche nach dem Glück des Pfeifens entpuppt sich als Episode in einem Reifungsprozess. Aus einem ungestümen, auf dem Spielplatz schwungvoll wippenden und dabei zugleich mit Blindheit geschlagenen Junghasen ist ein abgeklärterer 'alter Hase' geworden, der entspannt auf einer Holzbank sitzt. Immer noch, jedoch ohne sonderlichen Ehrgeiz, versucht er sich an schwachen Pfeiftönen. Denn nun kennt er seine Begabungen und weiß, worauf es ankommt. Hasen pfeifen eben nicht und nicht nur Murmeltiere können es. Und statt des vermeintlich sehnlichsten Wunsches haben sich andere, unbewusste Wünsche erfüllt, die doch eigentlich viel wichtiger sind.

Titelbild

Ludvik Askenazy / Katja Wehner: Hasen pfeifen nicht.
Aufbau Verlag, Berlin 2004.
32 Seiten, 15,00 EUR.
ISBN-10: 3351040520

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