Barocke Helden

Zu Martin Disselkamps Studie "Barockheroismus"

Von Dietmar TillRSS-Newsfeed neuer Artikel von Dietmar Till

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"An der Aktualität des Heldenthemas besteht kein Zweifel" - mit dieser Feststellung beginnt der Berliner Literaturwissenschaftler Martin Disselkamp seine Studie über den "Barockheroismus". Denkt man an die kontinuierliche Produktion von Helden in den modernen Massenmedien (von Bruce Willis zu David Beckham), dann lässt sich dieser Beobachtung leicht zustimmen. Doch Disselkamp gründet seine Untersuchung nicht auf eine Erfahrung von Identität, welche die Unterschiede zwischen dem barocken Helden-Bild und heutigen Imaginationen des Heroischen vorschnell einebnen würde. Stattdessen betont er nachdrücklich die Differenz, baut sein Buch also auf einem Konzept von Alterität auf: Unter dem "Vorzeichen demokratischer Moral" ist "die öffentlich bedeutsame heroische Größe" heute von einer "Aura der Fremdartigkeit" umgeben. Das Heroische ist in der Gegenwart verdächtig geworden, und daran ist zuallererst die Aufklärung mit ihrer Kritik am Helden Schuld. Gehörte im 17. Jahrhundert die "Produktion von heroischen Bildern" in Politik und Religion zu den "zentralen Aufgabenfeldern von 'Künsten und Wissenschaften'", so verliert sich dieser Funktionszusammenhang seit der Mitte des 18. Jahrhunderts immer mehr: Lessings Drama "Philotas", Christoph Martin Wielands Verserzählung "Musarion" und Karl Philipp Moritz' Roman "Anton Reiser" werden zu Kronzeugen eines Prozesses, in dessen Folge das Heroische zwar kontinuierlich präsent bleibt, zugleich aber nachhaltig umgedeutet wird: "Allgemein darf gelten, daß heroische Perfektion im zweiten Drittel des 18. Jahrhunderts ein negatives Kontrastbild für die literarische Programmatik in Hinsicht auf Psychologie, Moralität und Geselligkeit abgeben kann; ihre Autorität wird moralisch und psychologisch unterlaufen. Die Heroismuskritik verbindet sich mit einem Rückzug der moralischen Höchstwerte aus der politischen Praxis. Alle heroischen Phänomene müssen sich nunmehr vor der Frage nach der eigentlichen Motivation verantworten, die ihnen kaum eine Existenzberechtigung läßt."

Disselkamps Studie konzentriert sich auf die Vorgeschichte dieses Transformationsprozesses, auf die eigentliche Hoch-Phase des Heroischen im Zeitalter des Barock. Im 17. Jahrhundert, so die Grundthese des Buches, sei "ein geradezu inflationärer Gebrauch" des Begriffsfeldes von 'heroisch' zu verzeichnen. Die polyseme und insgesamt wenig spezifische Verwendung der Heroismus-Begriffs führt Disselkamp zu einer theoretischen Neuakzentuierung: In dem Maße, in dem die "Bemühungen, das Heroische der Barockzeit inhaltlich zu fixieren, fast unweigerlich zur bloßen Repetition von mehr oder weniger festliegenden Stereotypen führen", erweist sich eine bloß sammelnde Darstellung als sinnlos. Statt dessen gilt sein Interesse "der Funktions- und Darstellungslogik von Größenbildern", also nicht dem Heroischen als positivem Faktum, das immer schon gegeben wäre, sondern dem zentralen Aspekt der Konstruktion von Größe bzw. Heroismus. Disselkamp fokussiert so weniger auf den Helden als auf die "Rede vom Heroischen", und seine Untersuchung will an ausgewählten Beispielen zeigen, "wie Literatur und politische Traktatistik sich um die Stabilisierung des heroischen Charismas unter Bedingungen bemühen, die diesem Versuch wachsende Widerstände in den Weg legen, und wie schließlich, am Ende der Barockzeit, Stimmen laut werden, die in der heroischen Größe im politischen Einsatz überhaupt nur noch ein betrügerisches Manöver erkennen wollen, das den Kontakt mit einem gewandelten Moralbegriff verloren habe". Damit ist der Ansatz der Studie benannt, die sich dezidiert vom ideengeschichtlichen Verfahren des Sammelns des Immer-Gleichen absetzt und sich auf die "Darstellungsstrategien und Argumentationsverfahren" des Heroischen konzentriert - letztlich, auch wenn Disselkamp solche Etikettierungen auffällig meidet - ein kulturwissenschaftlicher Blick.

Die Studie besteht aus sechs Einzelkapiteln, die sich im Wechsel literarischen und pragmatischen Texten widmen. Am Beginn steht der Versuch einer Bestimmung der heroischen Größe: Disselkamp geht von dem paradoxen Befund aus, dass das Heroische im 17. Jahrhundert zwar "allgegenwärtig" gewesen, dennoch "kaum je Gegenstand begrifflicher Anstrengungen" geworden sei. Lediglich im Kontext der Schul-Ethik finden sich Reflexionen über die virtus heroica. Sie bilden eine "Größenprogrammatik", welche sich auf die Helden der Antike bezieht und durch ethische Handlungsnormen einen Ordnungsrahmen vorgibt; ihre Bedeutung bleibt allerdings auf den schulphilosophischen Kontext beschränkt. Die für die Frühe Neuzeit insgesamt zentrale Problematik der Verstellung (Dissimulatio) - etwa im Kontext der Tacitus-Rezeption - bleibt aus dem virtus heroica-Kontext ausgegrenzt. In diesen Zusammenhang bettet Disselkamp auch die Gattung der Historien ein: Sie liefern anschauliche Exempla heroischen Handelns und "demonstrieren das praktische Wohl- und Fehlverhalten des Fürsten und seine Folgen in historisch beglaubigten Situationen." Die ablehnende Rezeption des "Amadis"-Romans in Andreas Heinrich Bucholtz' "Herkules und Valiska" schließt sich in gewisser Weise an diese Konstellation an: Die Kritik konzentriert sich auf den fehlenden pragmatischen Nutzen der "Amadis de Gaulle". Der Roman von Bucholtz wird Teil der Legitimierungsstrategie eines "Disziplinierungsprogramms", das pragmatische wie literarische Textsorten funktionalisiert. Dies setzt sich in den Hofmannslehren fort, die Disselkamp im dritten Kapitel "Die politische Konstruktion heroischer Größe" untersucht. Der Fürst, so heißt es bei Giovanni Botero, soll sich als Held präsentieren - mit dem Ziel, dadurch an Reputation zu gewinnen. Es geht also um ein Stück symbolischer Politik, in dessen Folge die "traditionale Herrschaftssymbolik" in einen "disponiblen Gegenstand politischen Handelns" verwandelt wird. Problematisch wird dabei das unethische Handeln des Fürsten im Zeichen der Staatsräson, denn es droht den Schein der Reputation zu zerstören. Durch eine "Selbstverkleinerung" muss der Fürst dieses Verhalten zu kompensieren suchen. Dazu dienen Anmut und Ernst, die als Darstellungsstrategien den moralischen Glaubwürdigkeitsverlust des Fürsten ausgleichen können - ein fragiles Gleichgewicht, das weit über den frühneuzeitlichen Tacitismus und Machiavellismus hinaus zu einem Zentralthema der politischen Theorie wurde. Disselkamp arbeitet hier die verstreut liegenden Fäden mit Akribie auf. Die Bemerkungen zu heroischen Genealogien im vierten Kapitel schließen sich daran an, indem sie den Zusammenhang von "genealogischer Konstruktion" und dem "Darstellungsinteresse" in den Blick nehmen: Stammbäume dienen im 17. Jahrhundert nicht nur dem Nachweis des Alters eines Geschlechts, sondern werden in einen pragmatischen Funktionszusammenhang eingerückt: die Ahnenverehrung wird "Teil der stabilitätsdienlichen Reputationstaktik" und gerät als solche in die Mühlen der aktuellen Tages-Politik. An dieser symbolischen Konstruktion von Herrscherbildern beteiligt sich die Literatur in Form panegyrischer Gattungen, wie Disselkamp am Beispiel Sigmund von Birkens und Johann Christian Hallmanns zeigt.

Auch der Barockroman beteiligt sich an der Produktion von Genealogien und partizipiert in dieser Weise am Aufbau von Herrscherbildern. In Anton Ulrichs "Die durchleuchtige Syrerinn Aramena" werden diese Fragestellungen aufgenommen; im Medium der Literatur werden sie insofern problematisch, als die heroische Politikkonzeption der Verhaltenspräzeptistik sich als mehr und mehr unzureichend erweist, um der gesteigerten Komplexität der politischen Welt am Ende des 17. Jahrhunderts noch gerecht werden zu können. So zerfällt der Roman bei allem Ordnungsinteresse doch in eine Vielzahl von Einzelerzählungen, die kaum mehr in einen kohärenten Gesamtzusammenhang integriert werden können. Diese Entwicklung setzt sich auch in der Hofmannsliteratur und den Verhaltenslehren fort: Die prekäre Verbindung von "Dynamik und Bewahrung", von "Machtpolitik und Tugendkonformität" erweist sich als problematisch, wie Disselkamp am Beispiel von Nicolas Farets Umgangslehre zeigt: "So deutlich die Absicht eines heroischen Hofmannsentwurfs erkennbar ist, so sehr bleibt sie im Streit mit dem Anweisungscharakter des Traktats und dem impliziten Eingeständnis, daß sich die Vielzahl der Interessen kaum noch durch eine heroische Gesamtkonzeption überbieten ließ." Als Folge, so könnte man mit Disselkamp schließen, zieht sich das Heroische aus dem Schicklichen (dem Decorum) ganz zurück: Die Mittel, die der politisch handelnde Höfling verwendet, werden vom Tugendideal des Helden abgekoppelt und verselbständigen sich. Der Heroismus-Diskurs partizipiert hier am allgemeinen Verhaltensdiskurs, der um 1700 durch eine "Gültigkeitskrise des Decorum" geprägt ist.

Martin Disselkamp präsentiert in seinem Buch die disparaten Traditionsstränge des Heroischen im 17. Jahrhundert. Er rekonstruiert Diskussionszusammenhänge, welche der Frühneuzeitforschung bislang weitgehend verborgen geblieben waren - und die zugleich für unser Bild vom Zeitalter des Barock zentral sind. Für diese Diskursarchäologie muss man dem Verfasser dankbar sein. An vielen Stellen allerdings hätte man sich gewünscht, dass er sein Füllhorn an Gelehrsamkeit mit etwas mehr Verve ausschüttet.

Titelbild

Martin Disselkamp: Barockheroismus. Konzeptionen 'politischer' Grösse in Literatur und Traktatistik des 17. Jahrhunderts.
Max Niemeyer Verlag, Tübingen 2002.
470 Seiten, 74,00 EUR.
ISBN-10: 348436565X

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