Indessen ist bereits, eine Person mit sich selbst zu identifizieren, eine brutale Vereinfachung

Ein Porträt des Schriftstellers Alban Nikolai Herbst

Von Roman KernRSS-Newsfeed neuer Artikel von Roman Kern

Er ist der Ritter von der schillernden Gestalt, den manche für einen Dandy halten - was sicherlich von seiner Vorliebe für exzentrische Auftritte und auffallende Kleidung rührt. So inszeniert er sich gerne als paradiesvogelhafter Sonderling, als bunte Blume inmitten öder Wüsten der Gleichförmigkeit. Im alltäglichen Tanz um die knappe und äußerst heiss begehrte Ressource Aufmerksamkeit demonstriert er gekonnt, wie man sich interessant machen kann.

Dazu gehört neben dem Auftreten auch das Spiel mit Identitäten - Alban Nikolai Herbst heißt mit bürgerlichem Namen Alexander von Ribbentrop. In seinen Romanen erschafft er eine ganze Reihe von Charakteren und ist auf seiner Webseite darum bemüht, ihnen die Grenze zur Realität so durchlässig wie irgend möglich zu machen: hier finden sich Kurzbiographien zu seinen Romanfiguren Seite an Seite mit Formelhaften zur eigenen Person und ihren Aspekten Ribbentrop und Herbst ... all das, ohne dem uninformierten Besucher eine Möglichkeit zu geben, Wahrheit und Fiktion zu trennen.

Wer jetzt den Vorwurf der Schaumschlägerei erhebt macht es sich zu leicht.

Das Zitat, das diesem Portrait den Titel gab, mag an dieser Stelle helfen. Es entstammt Herbsts Dankrede anlässlich der Verleihung des Grimmelshausen-Preises 1995:

"Jeder von Ihnen weiß, wie sehr und zutiefst Sie verschiedene sind, ob Sie nun Ihren Kindern etwas erklären, mit Ihrem Arbeitgeber streiten, mit den Kollegen tratschen, Ihre Ehefrau bekriegen oder Ihren Ehemann, geschweige wenn Ihre Eltern mit Ihnen sprechen, ob ein Mensch Ihnen Gesellschaft leistet, den oder die sie lieben oder den oder die sie erotisch begehren, was ja eben auch nicht zu allen Zeiten identisch ist."

Hier spricht jemand, der um die Polyvalenz der menschlichen Identität weiß und der gelernt hat, sie gezielt einzusetzen. Dabei mag bedingt eine Rolle spielen, dass er ein Großneffe Joachim von Ribbentrops ist, der für seine Tätigkeit als Außenminister des NS-Regimes verurteilt wurde.

Dieser Umstand mag die Frage nach der psychischen Topographie forciert haben und nicht zuletzt nach den Abgründen, die sie aufweisen kann, ebenso wie er den Wunsch gefördert hat, Abstand von der eigenen Identität zu nehmen, wenn auch nur namentlich. Vielleicht kann ein Blick auf die Biographie den Komplex 'Herbst' etwas erhellen - sein Werdegang ist durchaus interessant:

1955 wurde er in Refrath bei Köln als Sohn einer Säuglingsschwester und eines Vertreters geboren. Der Vater verließ die Familie, als der Sohn gerade vier Jahre alt war, was, da die Mutter weiterhin berufstätig bleiben musste, zur Folge hatte, dass die Großeltern bei der Erziehung einen stärkeren Einfluss bekamen.

Ein fleißiger Schüler war er nicht - neben zweimaligem Sitzenbleiben trug sein Verhalten ihm auch den Verweis von der Schule ein. Zudem schien es der jugendliche Wildfang mit den Regeln der Gesellschaft nicht so genau zu nehmen: Drei Tage Jugendarrest in Einzelhaft waren die unerwartet harte Folge eines Kaufhausdiebstahls, zu dem er sich hatte anstiften lassen - ein hoher Preis für ein halbes Brathähnchen - und ein prägendes Erlebnis. Eine Tendenz zur Auffälligkeit trug erste, wenn auch sicherlich unerwünschte Früchte.

Jedoch wollte er offensichtlich nicht gerne als Gesetzloser enden - ebenso wenig sah er in den Vorschlägen der Familie, eine Ausbildung als Handwerker zu beginnen, eine ernsthafte Alternative. So kam er dazu, eine Ausbildung als Rechtsanwaltsgehilfe zu machen.

Nach deren Ablschluss bekam er von seinem Arbeitgeber das Angebot zur Finanzierung des Jurastudiums unter der Bedingung, dass er als fertiger Jurist Sozius der Kanzlei würde. Der junge Alexander von Ribbentrop jedoch lehnte dankend ab: er wollte Schriftsteller werden.

Der mangelnde Fleiß in der Schule führte zu später Reue: Herbst beschloss, über die Abendschule das Abitur zu machen und bahnte sich so seinen Weg in die Universität. Das Studium der Philosophie hatte es ihm angetan, doch auch hier waren andere Dinge interessanter: Der Zugang zu intellektuellen Kreisen eröffnete ihm ungeahnte Perspektiven - er selbst spricht von einer Zeit mit 'Weichenstellerfunktion'. Hinzu kam die Faszination der Frankfurter Börse: Neben dem Verkauf von Schweinehälften und Zucker brachte er es vor allem durch geschickte Spekulationen auf den Dollarkurs zu beträchtlichen Gewinnen. Herbst musste nicht länger mit seiner Furcht leben, aufgrund seiner Schulden literarisch erpressbar zu werden.

Damals begann Herbst das Schreiben - zwischen sechs und zwölf Uhr vormittags ist and der New Yorker Börse kein Geschäft zu machen, und so bot sich diese Zeit an für literarische Gehversuche, die bald erste Erfolge zeitigten: 1981 debütierte er mit einer Reihe von Prosastücken, die unter dem Namen "Marlboro" verlegt wurden. Betroffen hört man ihn erzählen, wie er nach langen vergeblichen Versuchen, unter seinem bürgerlichen Namen zu veröffentlichen, das erste Mal einen Verleger fand, kurz nachdem er den Namen Herbst angenommen hatte. Bis heute ist er einerseits dankbar für jenen wohlgemeinten Tip aus dem Verlegerumfeld, andererseits getroffen von der unglaublichen Tatsache, aufgrund seines Namens gewissermassen literarisch in Sippenhaft gekommen zu sein.

Auf den ersten Blick mutet seine Börsentätigkeit neben seinen literarischen Interessen etwas seltsam an. Jedoch hat für ihn der Literaturbetrieb viel mit dem Börsenkarussell gemeinsam: Bei der Börse habe er erfahren, wie sehr das Tagesgeschäft davon lebt, dass eine gute Geschichte an der richtigen Stelle den gewünschten Hebel zieht.

Das Ende seiner Börsentätigkeit beschloss er an dem Tag, da er einer demonstrativ unaufmerksamen Kellnerin einen großen Geldschein unter die Nase hielt und sie fragte: "Na, geht's jetzt vielleicht?" Der Schock über die eigene Veränderung kam plötzlich und führte zu sofortigen Konsequenzen - Herbst zog sich am nächsten Tag aus der Börse zurück. Das war umso leichter, als er bereits einige Veröffentlichungen zustande gebracht hatte.

Waren es bis dahin vor allem zahlreiche Stipendien für Nachwuchsliteraten, die ihn ermuntert hatten, so hatte er nun das erste literarische Großwerk in der Tasche: "Wolpertinger oder das Blau" , ein schwelgerischer Roman, der vor allem die bundesrepublikanische Wirklichkeit vor 1989 fotografisch genau und wortgewaltig aufzeichnet. Herbst demonstriert hier erstmals, dass er literarisch durchaus als Meiser aller Klassen gelten darf. Vor dem Umfang des Mammutwerks schreckten viele Verlage jedoch zurück: das Manuskript umfasste 3.000 Seiten. Suhrkamp zeigte Interesse an einer Fassung, die auf ein Drittel gekürzt war, entschloss sich am Ende jedoch gegen eine Veröffentlichung.

So wurde das Buch schließlich vom Axel Dielmann Verlag herausgebracht und die Mühe hatte sich für Autor und Verleger gelohnt: das Werk trug dem Autor 1995 den begehrten Grimelshausen-Preis ein. Der Verleger erinnert sich, dass während jener Zeit eine Presseerklärung in der Schublade verwahrt lag, für den Fall, dass jemand die wahre Identität Herbsts aufdeckte. Als Harry Rowohlt 1997 die Identität Herbsts preisgab, war dieser jedoch bereits als Autor etabliert.

Herbst hat mitunter eine Vorliebe für Umfangreiches, was nicht heißen soll, dass es dabei um Längen ginge: Sein Buch "Thetis. Anderswelt" umfasst 896 Seiten. Es handelt sich um ein vielgestaltiges Buch, das einerseits durch die Phantastik hervorsticht, in der die dargestellte Welt zu oszilliern beginnt, andererseits jedoch keinen Zweifel daran lässt, dass die Grundgesetze unserer Wirklichkeit auch in fantastischen Räumen gelten - selbst wenn sie sich dort teilweise anders auswirken. Dem Erstling von 1998 folgte 2001 "Buenos Aires. Anderswelt".

Herbst sieht die Menschheit gegenwärtig in einer einer "Anthropologischen Kehre" begriffen: Es geht ihm hier um die Herausbildung der Befähigung, "mit der Technik zu stoffwechseln". Der Umstand, dass wir bereits beträchtliche Teile unserer Hirnkapazitäten an die Computer übergeben haben, ist für ihn ein klares Indiz dafür, dass wir bereits stückweise zu Cyborgs geworden sind. Wie surreal die Gegenwart in der Realität bereits geworden ist, sei ihm einmal mehr klar geworden, als er auf einer Party einen Mann hinter der Bar stehen sah, der als Vampir verkleidet schien - mit dem feinen Unterschied, dass er sich von einem Zahnarzt die für jene Spezies charakteristischen Zähne hatte implantieren lassen.

Zuletzt sorgte sein Buch "Meere", das Ende 2003 im marebuchverlag erscheinen sollte, für Unruhe im Literaturbetrieb. Anders als sein bisherigen Oeuvre trägt es stark autobiographische Züge, und so kam es, dass Herbsts ehemalige Lebensgefährtin vor Gericht zog, weil sie sich in ihrem Persönlichkeitsrecht verletzt sah: Das Buch lasse eine Identifizierung ihrer Person zu und sei angesichts der Art und Weise der Schilderungen, die streckenweise sexuell sehr explizit werden, für sie nicht zu ertragen.

Der Prozess hat bisher in der zweiten Instanz die einstweilige Verfügung bestätigt. Nun wird der Fall erneut durch beide Instanzen gehen.

Vorsichtige Schätzungen gehen von einer Prozessdauer von bis zu vier Jahren aus. Für Herbst ist klar, dass "das Buch dann tot ist".

Doch er macht weiter: Für das Frühjahr steht die Veröffentlichung eines Erzählbandes an, daneben arbeitet Herbst an "Anderswelt 3". Formal spielt er mit dem Gedanken, das Buch teilweise in Hexametern oder zumindest Jamben zu halten, wobei das Problem der Übergänge zwischen gebunden gehaltenen Teilen und Prosastücken bisher nicht zufrieden stellend gelöst ist.

Das folgende Interview fand Mitte Februar 2004 statt, kurz bevor das Urteil der einstweiligen Verfügung bestätigt wurde.