Der Wind blies Weiterhin So heftig

Das Tagebuch von Meriwether Lewis und William Clark

Von Manu SlutzkyRSS-Newsfeed neuer Artikel von Manu Slutzky

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Es gibt Editionen, die sind schlicht unverzeihlich. Ein Beispiel dafür ist die von Friedhelm Rathjen übersetzte Auswahl aus dem Tagebuch der Lewis-und-Clark-Expedition, die bei Zweitausendeins in der Reihe der "Haidnischen Alterthümer" erschienen ist. Man erinnert sich: Die Bibliothek der "Haidnischen Alterthümer" bringt seit Ende der 70er Jahre Lieblingsbücher von Arno Schmidt neu heraus, darunter Meisterliches wie Ludwig Tiecks Novelle "Das alte Buch und die Reise ins Blaue hinein" oder Kurd Laßwitz' Roman "Auf zwei Planeten". Doch ob das Tagebuch der Lewis-und-Clark-Expedition aus den Jahren 1804 bis 1806 zu diesen Lieblingsbüchern Schmidts gehört, darüber ließe sich trefflich streiten. Zum Bestand von Schmidts Privatbibliothek gehörte es jedenfalls nicht, der Autor hatte es jedoch für einige Tage im Haus, und so findet sich in seinem Roman "Zettel's Traum" (1970) auch ein Hinweis darauf: "s'ss ein dolles=Buch: dás=mal, 'con'=genial, ins Deutsche übersetzt! (Zeit würz allmählich.)" werden sollte.

Friedhelm Rathjen hat sich dieser Aufgabe angenommen und eine Auswahl aus der acht Bände umfassenden amerikanischen Standardausgabe getroffen, eine Auswahl, die Schmidts Eindruck, dies sei ein Text mit poetischen Qualitäten, "ein permanentes Gemisch aus Windespfeifen & Grasgewischel", gerecht werden möchte. Rathjen hat sich daher bemüht, die eigenwillige, ja "halsbrecherisch" wirre Orthographie im Deutschen mit abzubilden:

"Ich Brach um 4 Uhr nachmittags in Gegenwart vieler der Benachbarten Bewohner auf und rückte unter einer freundlichen Brise den Missourie biß zur oberen Spitze der 1sten Insel hinauf 4 Meilen und Kampierte auf der Insel welche Dicht bei der rechten Seite (Steuerbord) Gelegen ist, und gegenüber der Mündung eines Kleinen Creek namens Cold water; schwerer Regen heute nach-Mittag."

In einem Interview hat Rathjen bekannt, er habe sich ein Lektorat seitens des Verlages verbeten, und, wie das Beispiel zeigt, hat sich Zweitausendeins offenbar darauf eingelassen. Mit fatalem Ergebnis, denn es ist ausgemachter Unsinn, eine Sachprosa, deren Verfasser mit der Rechtschreibung auf Kriegsfuß standen, im Deutschen durch Abbildung ähnlicher "Rechtschreibpatzer" nachempfinden zu wollen. Denn damit, dass man schlichte Vertipper der Herkunftssprache in der Zielsprache nachäfft, erzielt man keinen ästhetischen Gewinn und gelingt es nicht, einen schlicht beschreibenden Text 'literarisch' interessant zu machen. Die Verfasser des Lewis-und-Clark-Diariums haben nach Gehör geschrieben, aber statt die falsche Phonetik nachzumachen, übersetzt Rathjen semantisch - und das oft genug falsch. Wenn es im Original heißt "We proceeded", dann gibt der Übersetzer es mit "Wir rückten vor" wieder, als ob er es mit einem Feldzug zu tun hätte.

Rathjens Übersetzung ist Ausdruck einer irre geleiteten Arno-Schmidt-Idolatrie, denn Schmidt interpretierte das "Tagebuch" als "ein Buch wie Homer", das unter anderem James Fenimore Cooper und Edgar Allan Poe inspiriert habe. Die Fehler der Verfasser setzte er in falsche Analogie zu den bewussten Verschreibungen bei Joyce: Durch Lewis und Clark sei man für die Lektüre von "Finnegans Wake" optimal vorbereitet.

Viele Passagen, die seinem poetischen Programm "Windespfeifen & Grasgewischel" gerecht geworden wären - beispielsweise eine Schilderung, wie der Wind feinen Sand auf Ufer und Umland trägt und Gras und Pflanzen wie mit feinem Samt überzieht -, streicht der Herausgeber weg, weil es sein Prinzip ist, jeden Tag der Expedition zu dokumentieren, und da muss er eben auch Passagen herauskürzen, die ihm eigentlich nützen würden.

Rathjen bringt sich hier ohne Not um seine Reputation als Übersetzer. Seine deutsche Version des Expeditions-Tagebuchs ist ähnlich abstrus ausgefallen wie Stündels "Finnegans Wake"-Übersetzung. Sein Buch ist, kurz gesagt, handwerklicher Pfusch - die erste Expedition ins Tagebuchreich von Meriwether Lewis und William Clark ist gründlich missglückt.

Titelbild

Meriwether Lewis / William Clark: Tagebuch der ersten Expedition zu den Quellen des Missouri, sodann über die Rocky Mountains zur Mündung des Columbia in den Pazifik und zurück, vollbracht in den Jahren 1804-1806. Mit einem Faksimile der von William Clark gezeichneten und von Samual Harrison 1814 in Kupfer gestochenen Karte.
Ausgewählt, herausgegeben und übersetzt aus dem Amerikanischen von Friedhelm Rathjen.
Zweitausendeins, Frankfurt a. M. 2003.
656 Seiten, 40,00 EUR.
ISBN-10: 386150619X

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch