Dem Lärm des Lebens voraus

Nicholson Bakers Held verbraucht "Eine Schachtel Streichhölzer"

Von Katharina HübelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Katharina Hübel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wenn die Welt noch leise und dunkel ist, entzündet Emmett ein Feuer im Ofen. 33 Morgen lang sind "Stille und Menschenleere [...] der Treibstoff" des Helden. Jedes Streichholz bedeutet ein weiteres Spotlight auf ein fantastisches Leben, das Emmett in die Maschine tippt. Bis die Schachtel Streichhölzer leer ist.

Im Original als "A Box of Matches" 2003 in New York erschienen, ist nun auch "Eine Schachtel Streichhölzer" in deutscher Übersetzung auf den Markt gekommen. Nicholson Bakers jüngstes Werk ist eine Reise in die wundersame Welt der Ente Greta aus der Hundehütte, des Opas mit dem Obduktionshandbuch und der Abenteuer eines Zelluloseküchenschwamms.

Der Protagonist und Erzähler Emmett, Familienvater, glücklich verheiratet, zwei Kinder, steht mitten in der Nacht auf, manchmal schon um 3. 00 Uhr, wenn es spät wird erst um 5.30 Uhr. Im Morgengrauen sucht er dem Lärm des Lebens noch für einige Stunden zu entkommen, um sich ganz auf sich selbst konzentrieren zu können. In 33 Bildern schildert er dem Leser so die Summe der sympathischen Banalitäten, die ihn und sein Leben ausmachen.

Baker erzählt schnörkellos und direkt, ohne formale oder sprachliche Umständlichkeiten. Er versucht erst gar nicht, durch komplexe Handlung den Leser 'bei der Stange zu halten'. Actionfans seien hier gleich gewarnt: Wer Bakers Roman gelesen hat, weiß, es wird nichts passieren. Es wird lediglich 33 Mal durch die Dunkelheit getastet, nach der Seife in der Dusche gefummelt, routiniert Kaffee gekocht und schließlich ein Feuer entfacht. Emmetts Geschichte benötigt keinen äußeren Spannungsbogen. Der Antrieb des Weiterlesens ergibt sich aus dem Inneren der Erzählung: Der Leser ist genauso wenig durch packende Handlung und erzählerischen Lärm abgelenkt wie Emmett selbst in der Geschichte. Den Streichholz zelebrierenden Helden zu verstehen und zu entdecken - das wird zur Aufgabe für den Leser. Und dieser Focus erlaubt endlich einmal wieder konzentrierte Lesestunden mit Tiefgang.

Denn unter der stillen Oberfläche eines gemächlichen Familienlebens findet der Leser ein beunruhigendes Element: den Tod. Doch Emmett selbst ist nicht von Angst getrieben, er wird sich lediglich klar - über ein Ende. Das läuft bei ihm so unspektakulär ab wie sein morgendliches Frühaufsteherritual. Baker gelingt die Einflechtung der Todesthematik in die surreale Morgendämmerungsatmosphäre auf eine Weise, die eine harmlos erscheinende Lebensgeschichte philosophisch veredelt.

Das schönste der Todesmotive in "Eine Schachtel Streichhölzer" ist wohl das der Hausameise Fides. Alle Tiere auf der häuslichen Ameisenfarm sterben nacheinander den Kältetod, bis auf die Superameise Fides. "Fides hielt sich durch Arbeit am Leben [...]. Aber die einsame Fides lebte noch ein, zwei Wochen weiter, dann drei, einen Monat, über einen Monat - sie lebte länger allein, als sie in Gesellschaft gelebt hatte. [...] Sie wusste, dass es niemanden gab, der ihren eingerollten Leichnam einst zu einer Ruhestätte tragen würde, also starb sie auch nicht. Ihr fiel die volle Verantwortung für die Farm zu. [...] Ameisenleichen herumschaffen war zu ihrem Lebensinhalt geworden." Nach ihrem Tod ist die Ameisenfarm, ihr Lebenswerk, nur noch "loser Sand mit einigen Schmutzflecken darin". Dennoch: Fides, das ist der Glaube. Wohl der an eine Lebensaufgabe, an ein Ziel. Zu wissen: Die Schachtel Streichhölzer wird eines Tages leer sein und dann ist es aus. Das Buch. Und das Leben geht trotzdem weiter.

Titelbild

Nicholson Baker: Eine Schachtel Streichhölzer. Roman.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Eike Schönfeld.
Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2004.
151 Seiten, 14,90 EUR.
ISBN-10: 3498006274

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