"Wie kein anderer erfährt er den Weltkrieg sogleich metaphysisch."

Martin Heideggers Bemerkungen zu Ernst Jünger

Von Stephan GünzelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stephan Günzel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Unter den Bänden der Heidegger "Gesamtausgabe" ist - seit 1989 die "Beiträge zur Philosophie" erschienen - wohl keines mit derartiger Spannung erwartet worden wie Heideggers Notizen "Zu Ernst Jünger". Bis auf die Freiburger Rektoratsrede und andere zeitnahe Aufrufe zum Arbeitsdienst sowie das Schreiben "Zur Seinsfrage", welches auf Jüngers Text "Über die Linie" zu Heideggers 60. Geburtstag antwortet und in dem die berüchtigte 'Durchstreichung' des (Wortes) Sein(s) erfolgt, gibt es nur vereinzelte Hinweise, die sich vor allem in Heideggers Texten zu Nietzsche wiederfinden.

Nietzsche ist denn auch die Brille, durch welche Heidegger Jüngers Denken betrachtet. Dabei spricht Heidegger Jünger gar ab, ein 'Denker' zu sein; er sei vielmehr - im Sinne der griechischen Bedeutung von theoria als Schau(en) - ein 'Seher' (oder von Heidegger auch zeitgemäßer formuliert: ein "Späher"), der manches auch 'nicht sehe': "Jünger ist ein Erkennender, aber nirgends ein Denker." Das heißt, 'Denker' denken entweder - entsprechend Heideggers Einschätzung seiner hyperrationalen und -rationalisierten Gegenwart - nur rechnend, oder sie denken über die Gegenwart hinaus. Beides tut Jünger nicht, sondern 'sieht' das, was Nietzsche nur ahnte bzw. nur im Rahmen seiner (historischen) Möglichkeit zu begreifen in der Lage war: Dass nämlich der 'Wille zur Macht' nicht nur eine gegenwärtige und kontingente, sondern schlicht die äußerste Bestimmungsmöglichkeit von Wirklichkeit ist. Dies ist nach Heidegger die Einschränkung der Perspektive beider 'Seher' zugleich, die nicht das 'Sein' (des Seienden) also solches zu fassen in der Lage sind. So verhält sich der Künder der Verflüssigung und des 'In-Bewegung-Setzens' aller Kräfte, Ressourcen und Informationseinheiten (die von Jünger so genannte "totale Mobilmachung") für Heidegger letztlich nur affirmativ gegenüber dem Maschinenzeitalter, anstatt dessen Wesen zu Ende zu denken, das darin besteht, den Menschen als denjenigen oder dasjenige zu entbergen, was oder wer er ist, nämlich: "das auf sich Gestellte" - Heideggers Wortprägung für das Lateinische "Subjectum".

Diese Einschätzung überrascht, insofern die doch deutliche Distanznahme dem bisher Gekannten eine neue Akzentuierung verleiht - und hierin liegt sicher der Wert dieses Bandes für die Forschung. Heideggers Einschätzung Jüngers überrascht aber zugleich auch nicht, insofern alles, was er in den Jahren nach dem Überfall auf Polen in die Hand nahm, sich an Nietzsche messen musste und zur Not auch (zu) 'Nietzsche' wurde. Für diesen Vorgang ist Heidegger selbst wiederum nicht blind, sondern rechtfertigt ihn dadurch, das eben nur Nietzsche annähernd an diese Gegenwart herandachte. So nimmt Heidegger dankbar jene Stichworte auf, die er bereits aus Nietzsches Texten heraus versuchte, in einen Begriff zu überführen, stets darauf bedacht, dem Begriff als Wort sein nahe liegendes Denotat zu nehmen: 'Wille zur Macht' sei nicht psychologisch, 'Rasse' nicht biologisch und 'Heroismus' nicht militärisch zu verstehen - alles sei als Begriff vielmehr 'metaphysisch' zu verstehen. Eben in diesem Sinne 'sieht' Jünger nach Heidegger durch die Phänomene seiner Gegenwart hindurch die (metaphysische) Situation, ohne sie jedoch 'denken' zu können. Was jedoch diese Verschiebung ins 'Metaphysische' angeht, so ist diese Wendung weniger geheimnisvoll als sie zunächst erscheinen mag: Es ist der (aus der Innenperspektive wiederum 'metaphysisch' gedachte) aristokratische Affekt, mit dem Hitlerismus und ideologische Kämpfe als Vulgarität in der Ausführung erscheinen, nicht aber in deren 'Bestimmung'. Letztlich wird damit von Heidegger die Weise der Ausführung als Grund der sich abzeichnenden Folgen angesehen, nicht aber die ideologische Zielsetzung selbst.

Die Edition gehört in die Vierte Abteilung der "Gesamtausgabe", welche die "Hinweise und Aufzeichnungen" Heideggers enthält. Der Band ist in zwei Teile und einen Anhang unterteilt, wobei den ersten Teil zu lesen eher müßig ist bzw. Kleinarbeit erfordert, die durch Heideggers Hang zur vorwegeilenden Beurteilung nicht immer belohnt wird. Der zweite und wesentlich kürzere Teil umfasst die "Aussprache", die Heidegger im Kreis von Kollegen im Januar 1940 an der Freiburger Universität führte und maßgeblich durch seine Reflexionen zu Jüngers frühen Texten "Das Wäldchen 125", "Auf den Marmorklippen", "In Stahlgewittern", "Die totale Mobilmachung", "Über den Schmerz", "Stahl und Blut" und "Blätter und Steine" sowie Jüngers 'theoretische' Schrift "Der Arbeiter" von 1932 bestimmt sind. Der Anhang gibt die ausführlichen Anstreichungen und Randnotizen Heideggers zu den beiden letztgenannten Werken wieder, die Faksimilierung von zwei aussagekräftigen Seiten aus der "Arbeiter", von denen eines in Farbe einen Einblick in Heideggers Bundstiftanstreichungssystem erlaubt, sowie darüber hinaus Heideggers Kommentare zu Jüngers Festschriftbeitrag. Auch enthält der Anhang Aufzeichnungen aus den späten 50er Jahren, in denen Heidegger ein Treffen mit Jünger und Heisenberg zur Aussprache über Technik erwägt - ein Gespräch, das nie stattfand.

Der Herausgeber Peter Trawny, der bereits durch eine Einführung zu Heidegger im Verlag Junius, als Herausgeber des Bandes 69 der Gesamtausgabe, mit zwei unveröffentlichten Abhandlungen, die im Gedankenkreis der "Beiträge" stehen, sowie zwei weiteren monographischen Untersuchungen zu Heidegger hervorgetreten ist, hat in nur 18 Monaten bezahlter Arbeit kein editorisches Leichtgewicht gestemmt und sich in den Kommentaren - repräsentativ für die "Gesamtausgabe" - zudem erfreulich zurückgenommen. Mit der kombinierten Edition von Aufzeichnungen und Randbemerkungen ist zudem ein sinnvoller Weg beschritten worden, der zeigt, dass thematisches Arrangement und chronologische Edition nicht im Widerspruch stehen müssen.

Titelbild

Martin Heidegger: Gesamtausgabe. Band 90: Zu Ernst Jünger.
Herausgegeben von Peter Trawny.
Verlag Vittorio Klostermann, Frankfurt a. M. 2004.
472 Seiten, 42,00 EUR.
ISBN-10: 3465033248

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch