Sie waren einst in Galizien-Bukowina zu Hause

Ein Sammelband über bekannte und unbekannte Dichter und Schriftsteller

Von Ursula HomannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ursula Homann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Es war eine Gegend, wo Menschen und Bücher lebten", schrieb einst Paul Celan über seine Heimat Bukowina. Diesen Ausspruch hat Hans-Christian Rump dem von ihm herausgegebenen und zum großen Teil mitverfassten Band "Galizien-Bukowina. Eine historische Landschaft und ihre Dichter" vorangestellt. Das Buch beginnt mit einem persönlich gehaltenen, launigen, mit mancherlei Anekdoten gewürzten Bericht über eine Reise in die Vergangenheit, die Rump mit einer buntgemischten Gruppe im Jahr 2001 von Augsburg aus in den äußersten Osten der Habsburger Monarchie führte und die sich alsbald als überaus ergiebige literarische Spurensuche entpuppte mit vielen neuen Eindrücken und Erkenntnissen.

In Banská Bystrica, dem früheren Neusohl, staunte man darüber, "dass selbst an einem Werktag die große Marktkirche die Gläubigen nicht fassen konnte." - Selbst "vierzig Jahre Kommunismus hatten sie der Kirche nicht entfremden können", stellt der Verfasser lakonisch fest. Aber er verschweigt auch nicht die Unannehmlichkeiten, die eine Reise in den Osten Europas noch immer mit sich bringt, wie etwa langes Warten an den Grenzen, große "sozialistische" Kästen als Hotels und überall versteckte Armut: verelendete Alte beispielweise, die in Mülleimern herumstochern. Nicht selten wird man in diesem Landstrich noch mit den Schrecken deutscher "Endlösung" konfrontiert. Über Leutschau, dem heutigen Levoca und slowakischen "Rothenburg", gelangte die Gruppe nach Lemberg, dessen kulturelle Vielfalt unwiederbringlich dahin ist, und nach Brody, dem Geburtsort Joseph Roths. Dort besuchte man einen alten jüdischen Friedhof und erreichte endlich auch Czernowitz, die einstige Hauptstadt der Bukowina. Heute leben in Czernowitz, der ehemaligen deutsch-jüdischen Sprachinsel, die über hundert Jahre dieser Landschaft ihre kulturelle Prägung gab und nun nicht mehr existiert, Juden, die zumeist aus der Sowjetunion ausgewandert sind. Der bekannteste unter ihnen ist der 91-jährige Joseph Burg.

Auf den Reisebericht folgen zwei Skizzen, eine über die Geschichte Galiziens, verfasst von Horst Machmer, und eine über Lemberg von Martin Pollack. Später folgt noch eine Einführung in die Geschichte der Bukowina. Der Leser erfährt viel Wissenswertes, zum Beispiel, dass es in Galizien sogar ein galizisches Pennsylvanien gibt, eine podolische Schweiz, ein galizisches Venedig sowie ein "kleines Wien", wie Lemberg genannt wurde.

Dann werden Dichter und Schriftsteller aus Ostgalizien vorgestellt, in einem weiteren Kapitel Dichter und Schriftsteller der Bukowina. Auf eine kurze Einführung in Leben und Werk einzelner Schriftsteller folgt jeweils ein Text aus ihrer Feder, entweder in Prosa oder in Lyrik, sowie eine kurze Interpretation des abgedruckten Textes.

Dichter wie Samuel J. Agnon und Scholem Alejchem bevorzugten die jiddische Sprache. Andere wiederum fühlten sich der deutschen Kultur zugehörig und dichteten durchweg auf Deutsch. Einige wie Bruno Schulz, Józef Wittlin und Stanislaw Lec blieben bei der polnischen Sprache, während Louis Begley, der schon als Kind nach Amerika gekommen war und die Sprache seiner neuen Heimat zu seiner Schriftsprache gemacht hat, bis heute amerikanisch schreibt. Aber auch polnische und ukrainische Schriftsteller haben in Ostgalizien gelebt und sind hier aufgeführt. Natürlich darf weder ein Stanislaw Lem fehlen, der bei uns vor allen durch sein Buch "Also sprach Golem" bekannt geworden ist, noch ein Zbigniew Herbert.

Nebenbei wird einem bewusst, dass auch der Religionsphilosoph Martin (Mordechai) Buber in Lemberg aufgewachsen ist. Im Alter von drei Jahren kam er nach der Scheidung seiner Eltern hierher zu seinen Großeltern und lernte bei ihnen die Welt der Chassidim kennen. Später gab er die Sammlung "Erzählungen der Chassidim" heraus. Samuel Rothborts Bild "Der Tanz der Chassidim" ziert neben einem Porträt die Seite von Buber.

Apropos Bilder: Der Band ist reich und bunt bebildert und enthält sogar Landkarten von Ostgalizien und der Bukowina, so dass der Leser schon nach wenigen Seiten des Umblätterns, Lesens und Betrachtens im wahrsten Sinne des Wortes gut im Bilde ist.

Aufschlussreich ist ebenfalls ein Artikel von Karl Emil Franzos, der in diesem Jahr hundert Jahre alt geworden wäre, über "Schiller in Barnow", in dem er ausmalt, wie viel ein Band mit Schillers Gedichten in einem armseligen, abgelegenen Winkel wert sein konnte. Franzos steuert dem Buch auch eine genaue Beschreibung von Czernowitz bei.

Ferner begegnet man Hermann Chaim Kesten, Soma Morgenstern, an den man sich erst in den letzten Jahren wieder erinnert hat, und Manès Sperber, der, obwohl er nicht im religiösen Sinne gläubig war, von sich gesagt hat: "Ich bin ein europäischer Jude, der jeden Augenblick sich dessen bewußt bleibt, ein Überlebender zu sein, und der nie die Jahre vergißt, in denen Jude sein ein todeswürdiges Verbrechen gewesen ist."

Salcia Landmann ist - wie könnte es anders sein? - mit jüdischen Witzen vertreten und der Aphoristiker Stanislaw Jerzy Lec mit einigen seiner "Unfrisierten Gedanken", die bis heute aktuell geblieben sind. Hier einige Beispiele:

"Im Anfang war das Wort - am Ende die Phrase."

"Sein Gewissen war rein. Er benutzte es nie."

"Fassen wir uns kurz. Die Welt ist übervölkert mit Wörtern."

Natürlich stoßen wir in diesem Buch auch auf Rose Ausländer und Paul Celan sowie Ninon Hesse. Doch wer weiß schon, dass die Frau Hermann Hesses aus Czernowitz stammte, oder wer kennt Klara Blums abenteuerlichen Lebensweg, der über Wien und Russland ging und in China endete? Wem von uns allen ist der Dichter Moses Rosenkranz, der bei uns lange Zeit nahezu unbeachtet im Schwarzwald gelebt und erst im Jahr 2003 fast hundertjährig gestorben ist, ein Begriff? Dabei war Rosenkranz Paul Celan durchaus ebenbürtig. Immerhin hat sein Gedicht "Blutfuge" Paul Celan erst zu seiner "Todesfuge" inspiriert. Wolf Biermann hat unter der Überschrift "Harter Brocken, weicher Stein" Anmerkungen zu acht großen Versen des Dichters Moses Rosenkranz beigesteuert. Außerdem findet man unter den Dichterinnen, die in Czernowitz gelebt haben, Selma Meerbaum-Eisinger, die schon früh Gedichte schrieb und im Alter von 18 Jahren in einem rumänischen Lager verstarb. Man hat sie oft mit Anne Frank verglichen.

Dazwischen sind verschiedene Exkurse eingeschoben. Larissa Cybenko beispielsweise schreibt über "Literarische Landschaftswahrnehmung von Ostgalizien bei Joseph Roth", und Natalia Shchyhlevska über Deutsch als "Muttersprache, Mördersprache, Dichtersprache".

Der Band ist gut für manche Entdeckungen und eine wahre Fundgrube, die man so schnell nicht ausschöpft. Aber er ist gleichfalls, auch wenn er nicht vollständig ist wie ein Lexikon, ein wichtiges Nachschlagewerk und dürfte mit seinen genauen Quellen- und Literaturangaben selbst für Forschungszwecke gut geeignet sein.

Das Buch ist zu bestellen unter: h.c.rump@t-online.de

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Hans-Christian Rump (Hg.): Galizien-Bukowina. Eine historische Landschaft und ihre Dichter.
Edition Zwei Lilien, Wangen 2004.
307 Seiten, 49,00 EUR.

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