Eine philosophisch-literarische Brieffreundschaft

Zum Briefwechsel von Martin Heidegger und Ludwig von Ficker

Von Oliver JahrausRSS-Newsfeed neuer Artikel von Oliver Jahraus

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ludwig von Ficker (1880-1967) war so etwas wie ein Kulturvermittler in Sachen Literatur und Philosophie des 20. Jahrhunderts. Undankbar geht die Geistesgeschichte mit dieser Aufgabe und mit den Menschen um, die sie erfüllen, weil sie sie in die zweite Reihe einordnet und sie nicht in der Weise im Gedächtnis behält, wie sie es verdient hätten, nicht zuletzt auch Ludwig von Ficker. Erst die Kulturgeschichte hat den Blick geschärft für die Tradierungswege und Vermittlungsaufgaben, ohne die die Kultur nicht so wäre, wie sie ist. Auch heute noch wird Ficker vor allem aus der Perspektive der großen Namen der Literatur- und Philosophiegeschichte wahrgenommen, mit denen er als Kulturvermittler in Kontakt kam.

Lange Zeit war Ludwig von Ficker über den Namen Wittgenstein bekannt. Denn es war Wittgenstein, der ihm im Jahre 1914 die sehr große Summe von 100.000 Kronen übergab, um damit bedürftige Künstler zu unterstützen. In den Wittgenstein-Biografien wird dieses Ereignis vielfach herausgegriffen, um zu demonstrieren, dass es dem aus sehr reichem Hause stammenden Wittgenstein um die existenzielle Askese und die soziale Verpflichtung als Produkt philosophischen Nachdenkens ging. Wer aber Ludwig von Ficker war, der das Geld entgegennehmen und verantwortungsvoll weiterverwenden sollte, bleibt dabei weitgehend im Hintergrund.

Einer der Begünstigten war seinerzeit Georg Trakl - ein anderer Name, dessen literarhistorische Tradierung mit dem Namen Ludwig von Fickers verknüpft ist, der einer der ersten Herausgeber und Verleger von Trakls Gedichten war, einer der ersten, die die lyrische Bedeutung Trakls erkannten. Als Herausgeber des "Brenner", einer heute nicht mehr sehr bekannten und daher in ihrer kulturhistorischen Bedeutung unterschätzten Zeitschrift, hatte Ficker schon vor dem Ersten Weltkrieg Gedichte Trakls veröffentlicht und damit dazu beigetragen, dass die Lyrik Trakls überhaupt bekannt wurde. Später hat er Trakl persönlich kennen gelernt, und es entstand daraus eine sehr persönliche Freundschaft, die weit über bloßes Mäzenatentum hinausging und sich in schwieriger Zeit bewähren musste. 1914 wurde Trakl zur österreichisch-ungarischen Armee eingezogen und geriet, nicht zuletzt auch durch die Kriegserfahrungen, in eine extreme existenzielle Krisen- und Depressionssituation. Ficker war der Ernst der Lage sofort klar; er reiste an die Front, um seinen Freund Trakl mitzunehmen, zu retten und in seine eigene häusliche Pflege zu überführen, was ihm aber nicht gelang. Das Vorhaben scheiterte an bürokratischen Hindernissen. Trakl verstarb kurz darauf.

Über Trakl kam Ficker Jahrzehnte später, nämlich erst 1952, in Kontakt mit Martin Heidegger. Und wiederum ist es der Name des großen Philosophen, der ein Licht auf den anderen Namen wirft. Dieses Prinzip gilt auch für den vorliegenden Band, und dennoch weicht er ein wenig von diesem Prinzip ab, weil er sein Schwergewicht auf Ludwig von Ficker legt. Natürlich ist es auch hier der Name Heidegger, der das Buch eigentlich trägt und der vorangestellt wird. Deutlich wird aber auch, dass Ficker keineswegs hinter Heidegger verschwindet, sondern gerade umgekehrt im Vordergrund steht. Dass dieser Briefwechsel nicht unmittelbarer Teil des philosophischen Werkes Heideggers ist, das lässt sich schon am Inhaltsverzeichnis und an der Zusammenstellung des Buches ablesen.

Der Briefwechsel, der dem Buch seinen Titel gegeben hat, macht nur einen Teil des Buches aus. Denn es geht um die Freundschaft von Ludwig von Ficker und Martin Heidegger. Bindeglied und Medium dieser Freundschaft sind Georg Trakl und seine Lyrik. Am 4. Oktober 1952 fand zu Ehren Georg Trakls eine Gedenkfeier statt, auf der Heidegger einen Vortrag über Georg Trakl gehalten hat, der - wie es eine Fußnote angibt - "bis auf wenige Abweichungen der Abhandlung 'Die Sprache im Gedicht. Georg Trakl, eine Erörterung seines Gedichts'" entspricht. Auf dieser Veranstaltung lernten sich die beiden kennen. Eine Freundschaft wurde vor allem deswegen daraus, weil Ludwig von Ficker aus der Art und Weise, wie Heidegger Trakl interpretierte, eine Wertschätzung heraushörte, die sein eigenes Verhältnis zu Trakl widerspiegelte. Dass Heidegger daneben auch den "Brenner" erwähnte, dürfte Ficker zusätzlich geschmeichelt haben. Diese Freundschaft entwickelte sich über Trakl und konnte auf diesem Wege auch unausgesprochene Hindernisse überwinden, wie z. B. die völlig unterschiedlichen Einstellungen zum Nationalsozialismus, die die beiden Biografien so unterschiedlich prägte.

Die sich aus dem Bezug auf Trakl heraus entwickelnde Freundschaft ist vor allem eine Brieffreundschaft. In den Briefen werden natürlich weitere Aspekte der Auseinandersetzung mit Trakl angesprochen, wobei Ficker - wenn man so will - Heidegger immer wieder die Deutungshoheit überlässt. Umgekehrt muss man Heidegger zugestehen, dass er die persönliche Beziehung, die Ficker zu Trakl unterhielt, durchaus anerkannte. An den Briefwechsel darf man allerdings nicht mit falschen Erwartungen herangehen. Er ist kein weiteres Dokument einer Auseinandersetzung Heideggers mit Trakl. In den späteren Briefen gehen vielmehr und immer stärker Raum greifend die Freundschaftsbekundungen hin und her. Und so ist dieser Briefwechsel eigentlich das Dokument einer Freundschaft zweier älterer Männer (Heidegger war neun Jahre jünger als Ficker, und dieser war 1952, im Jahr ihres Kennenlernens, immerhin schon 72 Jahre alt).

Auch wenn Heidegger der zugkräftige Name ist, so ist das Schöne an diesem Buch doch die Tatsache, dass es in ihm eigentlich um das triadische Verhältnis von Heidegger - Trakl - Ficker geht. Hat man erst einmal begriffen, dass es kein Heidegger-Buch ist, dann tritt diese Beziehung umso interessanter hervor. Man wird aus diesem Buch nicht sehr viel über Heidegger lernen, doch immerhin so viel, dass Heidegger ein wirklicher Freund sein konnte und ein unglaublich liebenswürdiger Briefpartner. Natürlich wird man ihn auch heideggerisieren hören, z. B. wenn er schreibt: "In diesen Tagen denke ich - zugleich andenkend - zu Ihnen".

Die anderen Teile des Buches neben dem Briefwechsel gehören unmittelbar zu dieser Dokumentation einer Freundschaft. Es findet sich ein exzellentes Vorwort des Herausgebers Matthias Flatscher, das dem Leser diese Dreierkonstellation eröffnet und nahe bringt. Daneben ist auch Fickers Text "Abschied" wieder abgedruckt, in dem er seine Freundschaft zu Trakl und ihre letzte Begegnung dokumentiert - ein Text, der erstmals 1926 in dem von Ludwig von Ficker selbst herausgegebenen Buch "Erinnerung an Georg Trakl" erschien. Und schließlich enthält der Text auch die Dankesrede Ludwig von Fickers anlässlich der Verleihung der Ehrendoktorwürde der Freien Universität Berlin aus dem Jahre 1960 und die kurze Erwiderung Martin Heideggers darauf.

Auch den philologischen Aspekt darf man nicht übersehen, handelt es sich doch um eine Briefedition. Die Briefe sind sehr ausführlich und eigentlich tadellos kommentiert, auch wenn man sich an einigen Stellen mehr Hintergrundinformationen gewünscht hätte, um die in den Briefen angesprochenen Situationen besser identifizieren zu können. Vielleicht ist dies auch auf eine gewisse Dezenz des Herausgebers zurückzuführen, denn man darf nicht vergessen, dass es sich um persönliche Briefe handelt, die sicherlich nicht von Anfang an für eine Publikation gedacht waren. Die editorische Notiz ist, legt man einen textkritischen Maßstab an, etwas kurz geraten, weil sie zu wenig über das Editionsgeschehen selbst verrät.

Insgesamt ist daraus aber ein unglaubliches liebevolles und beeindruckendes und vor allem auch konzeptionell und handwerklich gelungenes Buch entstanden, dem man sein Kompliment nicht versagen kann.

Titelbild

Martin Heidegger / Ludwig von Ficker: Briefwechsel 1952-1967.
Herausgeben von Matthias Flatscher.
Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2004.
176 Seiten, 22,00 EUR.
ISBN-10: 3608913181

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