Die Schöne und das Biest

Carl-Johan Vallgrens Roman "Geschichte einer ungeheuerlichen Liebe"

Von Ingrid IcklerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ingrid Ickler

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Die Geschichte einer ungeheuerlichen Liebe" - dieser Titel trifft auf Carl-Johan Vallgrens Roman gleich in doppelter Hinsicht zu. Einmal, weil die Liebe, die die beiden Protagonisten Hercule Barfuss und Henriette Vogel füreinander empfinden, so unermesslich groß ist. Zum anderen, weil Hercule Barfuss' Liebe tatsächlich die eines "Ungeheuers" ist: Er ist aufs Schlimmste missgebildet, seine Gliedmaßen sind verstümmelt, sein Gesicht ist grausam entstellt, er hat einen Wasserkopf und ist taubstumm.

Als er 1873 in einem Bordell zur Welt kommt - am gleichen Abend wird dort auch Henriette Vogel geboren -, räumt man ihm kaum Überlebenschancen ein. Doch sein Lebenswille ist stärker als seine Behinderung und so wächst er gemeinsam mit Henriette auf, gefördert und umsorgt von den Bewohnerinnen des Freudenhauses. Hercule ist nicht nur außerordentlich intelligent, beherrscht die Gebärdensprache in mehreren Sprachen und registriert alles, was in seiner Umgebung geschieht sehr genau; er hat auch die Fähigkeit, die Gedanken seiner Mitmenschen zu lesen, in sie hineinzuschlüpfen und ihre Handlungen zu beeinflussen.

Diese Gabe ist es, die es ihm ermöglicht, die bevorstehende Odyssee durch das Europa des 19. Jahrhunderts zu überstehen. Sie führt ihn in die Hölle eines Irrenhauses, zum Zirkus, ins Kloster, wo man sein Talent für das Orgelspiel entdeckt, bis in die Fänge der Inquisition, die ihn wegen seiner besonderen Fähigkeiten als Teufelsbrut betrachtet und töten will. Auf seinem Weg trifft er aber auch seine große Liebe Henriette Vogel wieder, mit der er eine kurze, erfüllte Zeit zusammenleben kann, bis sie von den gedungenen Mördern der katholischen Kirche getötet wird.

Hercule Barfuss' Rache ist grausam. Er macht Menschen zu seinem Werkzeug und tötet alle, die an Henriettes Ermordung beteiligt waren, bis sie ihn aus dem Jenseits bittet, sich "aus den Fängen des Hasses" zu befreien.

Er beschließt sein Leben in Amerika, wo er sich der Ausbildung Taubstummer widmet und ein geachteter Mann wird.

"Die Geschichte einer ungeheuerlichen Liebe" ist bereits Vallgrens siebter Roman. Auf fast vierhundert Seiten entwirft er ein farbiges Panorama des 19. Jahrhunderts voll gut recherchierter Details, poetischer Bilder und effektvoller Höhepunkte. Sein Stil erinnert an die Romantiker und sein barocker Erzählfluss wirkt wenig zeitgemäß, doch gerade seine Lust am Fabulieren ist es, die den Roman lesenswert macht. Denn unter den zahlreichen Neuerscheinungen auf dem deutschen Markt gibt es nur wenige, in denen keine Nabelschau betrieben, sondern eine Geschichte erzählt wird. Da verzeiht man dem Autor auch gelegentliche Ausflüge ins Schmonzettenhafte, die eher belustigend als ergreifend wirken.

Vallgrens Roman ist originell - und das ist mehr, als so mancher marktgängige Titel von sich behaupten kann!

Titelbild

Carl-Johan Vallgren: Geschichte einer ungeheuerlichen Liebe. Roman.
Übersetzt aus dem Schwedischen von Angelika Gundlach.
Insel Verlag, Frankfurt a. M. 2004.
377 Seiten, 19,80 EUR.
ISBN-10: 3458172300

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