Demontage einer Vorort-Idylle

Frank Schmitters Erzählung "Das leichte Leben"

Von Mechthilde VahsenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Mechthilde Vahsen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Es könnte alles so schön sein für die Familie Geesen. Ihr Haus in einer verkehrsberuhigten Siedlung, die im Halbrund um einen Spielplatz gruppiert ist, bietet ein schönes Heim. Auch wenn der Vater von Frieder Geesen Haus und Einrichtung bezahlt hat, was bei Frieder immer noch ein unangenehmes Gefühl hervorruft. Seine Frau Daria arbeitet freiberuflich als Übersetzerin und versorgt die Tochter Svenja, das Haus und Frieder, der jeden Abend zum Abendessen eintrifft. Man kennt sich in der Siedlung, hier wohnen fast überwiegend Familien mit kleinen Kindern, man trifft sich zu Grillabenden und anderen Gelegenheiten. Doch der Spielraum für Individuelles ist knapp bemessen inmitten des Alltags zwischen Routinejob, abgeflachten Beziehungen, samstäglichem Einkauf und unspektakulären Ereignissen.

Eher zufällig gerät Daria Geesen in eine Affäre mit dem körperlich sehr präsenten Nachbarn Georg, während Frieder sich ab und zu mit einem Jungen trifft, der aus einer Alkoholikerfamilie kommt und als Stricher Geld verdient, ohne dass es zwischen den beiden zu sexuellen Handlungen kommt. Stattdessen muss Frieder um seinen Arbeitsplatz bangen, seine Unfähigkeit, in der Dominanzkultur der herrschenden Ökonomen zurecht zu kommen, wird ihm ebenso bewusst wie die Tatsache, dass seine Frau und er sich mit den Jahren voneinander entfremdet haben. Missverständnisse und Ungeklärtes belasten die Beziehung.

Als Frieders Kontakte zu Mark publik werden, weil dessen Vater vor dem Haus randaliert und die Polizei bei Geesens Nachforschungen anstellt, packt Daria ihre Sachen und geht mit der Tochter zu ihren Eltern. Frieder, durch den möglichen Jobverlust und die Krise seiner Ehe aus dem Gleichgewicht katapultiert, schläft mit einer Nachbarin und erfährt dabei von der Affäre seiner Frau.

Schmitter ist mit der Geschichte von Frieder und Daria Geesen gelungen, eine 'normale Tragödie' detailgenau nachzuvollziehen, mit großer Eindringlichkeit werden Gefühlswelten zerlegt, subtile Spuren gezogen, die die Atmosphäre dieser Siedlung punktgenau einfangen. Dabei kommt es zu durchaus witzigen und mit leiser Ironie unterlegten Szenen, wenn sich z. B. die Nachbarschaft zum Grillen trifft. Abende, wie wir sie auch erleben, aber eigentlich nicht erleben möchten, sondern lieber davon lesen. Vor allem die Schilderung des Alltags und der beiden Hauptfiguren überzeugt, gerade dort, wo Rollen dekonstruiert und Innenleben über kleine Gesten offen gelegt wird. Es zeugt von einem genauen Hinschauen des Autors, fast schon studiert er die Menschen, so scheint es, um dann solche Charaktere zu kreieren, deren zu großer Dichte zusammengeführte Eigenheiten das Typische hinter dem Alltäglichen erscheinen lassen.

Nach seinen Gedichten und dem Erzählband "Der Atem der Schlittenhunde" legt der Münchner Autor damit eine gelungene, unterhaltende, lesenswerte Erzählung vor, der hoffentlich bald ein Roman folgt.

Titelbild

Frank Schmitter: Das leichte Leben.
Herausgegeben von Elisabeth Büning-Laube.
XIM Virgines - Editio Libri, Düsseldorf 2004.
83 Seiten, 12,00 EUR.
ISBN-10: 3934268323

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