Teilnehmen, Anteil nehmen

Michael E. Sallinger begeistert sich für Ernst Jünger und seinesgleichen

Von Viktor SchlawenzRSS-Newsfeed neuer Artikel von Viktor Schlawenz

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Alles mit einer Einleitung Versehene ist unecht", schreibt Michael E. Sallinger in seiner Aphorismensammlung "Wege und Zweige", um dann in seiner Einleitung seinen Buchtitel als Anleihe bei Ernst Jüngers Essay "Blätter und Steine" (1934) zu deuten, "jenem Buche", das "sichtbares Zeichen der Widersetzung gegen die Barbarei des Nationalsozialismus war".

Verehrung bis zur Ergriffenheit schlägt dem Leser entgegen, der Sallingers Jünger-Buch aufschlägt, und wer raten müsste, welcher Nationalität der Verfasser wohl ist, würde unweigerlich ausrufen: "Der Kerl muss Österreicher sein!" Denn Produkt dieser seiner ungeschützten Begeisterung für einen ohne Zweifel bedeutenden Zeugen des 20. Jahrhunderts ist - wenn wir ein Wort Karl Heinz Bohrers ummünzen dürfen - eine "Neigung zum Gefühlskitsch", die uns heiter stimmen müsste, würden sich mit ihr nicht die "bedenklichen politischen Auswirkungen solch unkontrollierter Knabenromantik zeigen".

Der 1965 im oberösterreichischen Freistadt geborene Jurist ist Hobbypoet und hat auch einmal einige Zeilen aus der Hand seines Meisters empfangen. Er liest Jünger - die beiden Jünger muss man sagen, den Bruder Friedrich Georg auch - mit solcher Inbrunst, dass sein Urteilsvermögen auf der Strecke bleibt: "Völlig unprätentiös", schreibt er über Jüngers späte Tagebücher "Siebzig verweht V", sei "auch dieser Band". Wenn aber ein Band dieses ohnehin schon prätenziösen Tagebuchwerks vergleichsweise distanzlos, manieriert, ausgefallen ist, dann ist es dieser Band fünf, der Jüngers Altersstil, seine unverhohlene Eitelkeit, ja Ruhmsucht, und seine schwerfällige Anekdotik und Aphoristik besonders deutlich hervortreten lässt.

Aber das sind Wertungsfragen, die hier vielleicht weniger interessieren sollten als die Frage, was uns ein von Jünger rückhaltlos Begeisterter zu bieten hat. Neue Einsichten in alte Jünger-Texte? Fehlanzeige. Interessante wegsame Zugänge zum Œuvre? Fehlanzeige. Einblicke ins Milieu? Schon eher. Sallingers Wallfahrten nach Wilflingen und nach Heiligkreuztal, wo sich jedes Frühjahr der Ernst und Friedrich Georg Jünger-Freundeskreis trifft, geben in der Tat einen Eindruck davon, wer bzw. was einen dort erwartet, Verehrung nämlich ("Es sind [...] Personen, die teilnehmen, Anteil nehmen") und Sammlung: "Die Stille des ehemaligen Klosters versammelt zum Wesentlichen."

Angelus Silesius' Diktum "Mensch, werde wesentlich" hat sich Sallinger auf seinen Fahnen geschrieben, und natürlich darf da Martin Heidegger nicht fehlen, dessen Existenziallexematik der Verfasser mit kursiv gesetzten, oft ungewollt komischen Prägungen nachzuempfinden sucht: "Eingangs des heurigen Treffens stand die Hinausgabe des Bandes 'Ernst Jünger in Wilflingen'", heißt es da etwa, oder - fast noch schöner - "Der Glaube kennt gerade keinen Verstand, sondern bloß Ein-Gelassenheit."

Wer sich einmal eingelassen hat auf diesen seltsamen Gläubigen, der kommt aus dem Staunen nicht heraus, ob Sallinger von Carl Schmitt handelt, von Erhart Kästner, Gottfried Benn oder Armin Mohler, jenem unglückseligen Secretarius Schweizer Provenienz, der - mit politischer Blindheit geschlagen - noch 1941 auf deutscher Seite am Russlandfeldzug teilnehmen wollte. Für Kopfschütteln oder Erheiterung dürften auch die epigonalen Aphorismen des Verfassers sorgen, zum Beispiel die folgende Sentenz in der Jünger-Heidegger-Nachfolge: "Nulla dies sine linea. Auf solche Weise gerät man über die Linie." Wie Talmi oder Modeschmuck einer billigen Bijouterie glitzert auch das Folgende: "Von Paris nach Wilflingen: von den Menschen zum Menschen".

Ernst Jünger, der oft sicheres Gespür für die richtige Nähe und Distanz bewies, hätte sich derlei "Betrachtungen" verbeten, einem Worte Sallingers aber wohl aus vollem Herzen zugestimmt: "Niemand haftet für die, die sich auf ihn berufen."

Titelbild

Michael E. Sallinger: Wege und Zweige.
Studien Verlag, Innsbruck 2003.
184 Seiten, 19,00 EUR.
ISBN-10: 3706517582

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