Die Meuterei auf der "Bounty"

Caroline Alexanders Buch bietet spannende Aufklärung über die Tatsachen und den Mythos

Von Rolf-Bernhard EssigRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf-Bernhard Essig

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Als Marlon Brando vor wenigen Wochen starb, brachten die meisten Nachrufe Fotos, die ihn in seiner wohl populärsten Rolle als Fletcher Christian zeigen: leicht melancholisch, feinsinnig, sehr gut aussehend in der Marineuniform des 18. Jahrhunderts, neben ihm die wunderschöne Tahitianerin oder aber der grausame Kapitän Bligh.

Der grausame Kapitän Bligh? Ja! In jeder der zahlreichen Verfilmungen ist er es, der die Meuterei auslöst, weil er mit maßloser Strenge herrscht, weil er keinerlei Argumenten zugänglich ist, weil er seine Mannschaft wegen geringster Vergehen auspeitschen und lieber verdursten lässt, als die Brotbäume in seiner Kajüte vertrocknen. Fletcher Christian dagegen erscheint immer als edler und tragischer Held, der widerwillig in die berühmteste Meuterei der Geschichte gedrängt wird: sein Gewissen zwingt ihn schließlich einzugreifen.

Die tatsächlichen Ereignisse des 28. April 1789 an Bord Seiner Majestät Schiff "Bounty" spielten sich allerdings ganz anders ab, und die Beteiligten haben nur sehr wenig gemein mit den Filmhelden. Wer das wissen wollte, konnte sich durch das mühsame Studium einzelner Quellen und Berichte, von Aufsätzen und wissenschaftlichen Büchern schon länger davon überzeugen, doch erst Caroline Alexanders Buch "Die Bounty" enthüllt für eine interessierte Öffentlichkeit "Die wahre Geschichte der Meuterei auf der Bounty" und wartet darüber hinaus mit klugen Schlüssen, interessanten Spekulationen, neuen Quellen und einer Story auf, die nicht weniger spannend ist als die Fiktionen.

Die fünfhundert Seiten Text lesen sich mit Leichtigkeit an einem Tag, obwohl sie - von ganz seltenen, zu gefühligen Szenen abgesehen - gedrängt voll mit Fakten, Daten und Quellen sind. Caroline Alexander bewies schon in ihrem Buch über Shackletons "Endurance" ihre Qualitäten, die auch hier wieder erfreuen. Das gewaltige Material, das sie durchforscht hat, findet in ihr eine stets geschickte Komponistin. Von verschiedenen Seiten nähert sie sich dem Phänomen "Meuterei auf der Bounty", erwägt die Wahrscheinlichkeit unterschiedlicher Darstellungen, ergänzt und durchleuchtet die Briefe, Log- und Tagebücher der Beteiligten, die Zeitungsartikel und Prozessberichte, bis ein so klares Bild der Vorgänge entsteht, wie es heute nur möglich ist.

Eindeutig war Kapitän Bligh jähzornig, doch nur in Worten, nicht in der Tat, sonst aber ein sehr umsichtiger und erfahrener 33-jähriger Seeoffizier, der seine Leute besser behandelte als die meisten und Strafen möglichst vermied. Allerdings wurde er mit beschämend ungenügender Ausrüstung und Bemannung ausgesandt, um Brotbäume von Tahiti nach Jamaika zu bringen. Und die eigentliche Meuterei fand offensichtlich aus einer Verkettung unglücklicher Umstände, aus Zufall sowie einer plötzlichen Erregung Fletcher Christians statt, der wenig geschlafen und zu viel getrunken hatte. In nur wenigen Stunden schaukelte sich eine Situation auf, bis es kein Zurück mehr gab. Mehrmals stand in dieser Zeit das Gelingen der Meuterei auf des Messers Schneide, weil knapp die Hälfte der Besatzung von 45 Mann loyal zu Kapitän Bligh stand. Alexander stellt fest, dass der Erfolg in Christians Persönlichkeit begründet lag: "Schlaflos und betrunken, gelang ihm seine Meuterei wohl vor allem deshalb, weil er der beliebteste Mann an Bord war."

Umfassend, detailliert, anschaulich und oft im Originalton der Dokumente zeigt Alexander, wie es zu der Meuterei kam, welche familiären Hintergründe die Beteiligten hatten, wie die Reise nach Tahiti, der Aufenthalt dort und wie die Fahrt bis zur Meuterei verlief, wie es Kapitän Bligh wider Erwarten gelang, seine Leute 3.600 Seemeilen im offenen Boot bis nach Timor zu bringen, wie einige Meuterer von einer extra dafür ausgerüsteten Expedition eingefangen und wie ihnen der Prozess gemacht wurde, wie die wenigen Entkommenen auf der Insel Pitcairn lebten, und vor allem wie dies alles zu einem modernen Mythos über die Tyrannei, das Südsee-Paradies und die Freiheit werden konnte.

Titelbild

Caroline Alexander: Die Bounty. Die wahre Geschichte der Meuterei auf der Bounty.
Übersetzt aus dem Englischen von Friederich Griese.
Berlin Verlag, Berlin 2004.
624 Seiten, 29,80 EUR.
ISBN-10: 3827001633

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