Futter für das Phrasenschwein

Günter Netzers Autobiografie "Aus der Tiefe des Raumes"

Von André SchwarzRSS-Newsfeed neuer Artikel von André Schwarz

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Es scheint zur Zeit richtig in Mode gekommen zu sein, als (Ex-)Fußballer seine Memoiren oder zumindest seine Ansichten zur Welt zu verbreiten. Nach allem Gedröhn von Bohlen, Naddel und Konsorten sind nun also die Fußballer los. Stefan Effenberg und Ottmar Hitzfeld machten den Anfang, sein ehemaliger Kapitän Oliver Kahn posaunte sein Selbstverständnis in seinem Werk mit dem programmatisch anmutenden Titel "Nummer Eins" heraus.

Nun also auch Günter Netzer, mit Gerhard Delling zusammen im Jahr 2000 Träger des renommierten Grimme-Preises. Alleine traute er sich offenbar nicht, er hat sich mit Helmut Schümann, ehemaliger Redakteur der "Süddeutschen Zeitung" und des "Spiegel", einen Profi dazugeholt, der 2001 seinen Fußballsachverstand mit "Das Runde muß ins Eckige. Eine Geschichte der Bundesliga" unter Beweis stellte.

Das war offenbar auch gut so, der Leser entgeht dadurch betroffen machenden Beichten à la Hitzfeld oder der Dampfplauderei im Stile Effenbergs. Doch einen "Fußballphilosophen", wie uns die "Financial Times" weismachen will, trifft man in diesem Buch nicht. Netzer bemüht sich, das Bild des "Günters von nebenan" aufzubauen und tunlichst beizubehalten. Immer wieder kommt er auf seine kleinbürgerliche Herkunft zu sprechen, zwar beiläufig, aber doch genüsslich erzählt er von seinen "Jungs vom Geroweiher", von seinem Desinteresse für Schule und Lehre. Alles was ihn interessierte, war und ist, so Netzer, Fußball. Bis weit in seine Profizeit bei Borussia Mönchengladbach wohnte er bei seinen Eltern, eine groteske Sache, wenn man sich vorstellt, wie der gefeierte Profifußballer Netzer mit seinem Ferrari abends heim zu Mama und Papa fährt. Vergnüglich lesen sich seine Anekdoten aus der Gladbacher Zeit, der Leser bekommt bestätigt, was er schon immer über Berti Vogts dachte und man ahnte auch schon immer, dass Franz Beckenbauer nicht mit dem von Netzer erworbenen Jaguar zurechtkommen konnte.

Auf Dauer ist sein Kokettieren mit der eigenen Unbedarftheit allerdings eher anstrengend. Seine Zeit bei Real Madrid, wohin er 1973 wechselte, fiel mitten in die letzten Jahre der faschistischen Franco-Diktatur. Auffällig ist sein Schweigen zu den Zuständen in Madrid, angeblich waren die Real-Spieler so abgeschottet, dass man nichts davon mitbekam. "Für Politik habe ich mich nie interessiert", so Netzer, er hätte auch "keine Ahnung" davon. Das kann man glauben, muss man aber nicht, und die dauernden Beglaubigungen wirken lästig.

Auch seine Selbstverliebtheit kennt nur wenige Grenzen. Seinen eigenen "Wert" kennt er genau, selbstverständlich ist auch, dass andere für ihn auf dem Platz "arbeiten" müssen und er Trainer hasst, die ihn, den "genialen Regisseur", zu viel im Training laufen lassen. Auch in seiner Zeit als Manager des HSV hat er eigentlich nichts falsch gemacht, er plädierte für die richtigen Spieler, er holte die richtigen Trainer. Er spricht zwar immer wieder von seinem Glück, aber man kann sich das Augenzwinkern dabei kaum wegdenken.

Unter den Fußballbüchern ist es sicherlich eines der besseren, es ist zwar stilistisch nicht gerade ambitioniert, aber wer hätte das ernsthaft erwartet. Kurzweilig ist es aber auf jeden Fall. Um Netzer noch einmal das Wort zu geben: "Klage ich? Um Himmels willen, nein. Ich fahre immer noch Ferrari. Elvira sagt, für einen roten Ferrari sei ich doch nun schon etwas zu sehr in die Jahre gekommen. Ich fahre jetzt einen schwarzen Ferrari. Es ist ein schönes Leben. Ich habe es so gewollt. Ich habe alles so gewollt. Ich bin ein Glückspilz." Diesem Fazit ist doch nichts hinzuzufügen.

Titelbild

Günter Netzer: Aus der Tiefe des Raumes. Mein Leben.
Unter Mitarbeit von Helmut Schümann.
Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2004.
271 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-10: 3498046837

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