Einmal Rüthi-Salez und zurück

Die Führermeldungen von Werner Tobler berichten nicht nur von der "Nachteule unter dem Bügel"

Von André SchwarzRSS-Newsfeed neuer Artikel von André Schwarz

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Eisenbahner an sich steht in dem Ruf, einen Hang zur Pedanterie zu haben, auch dem Schweizer sagt man eine gewisse Vorliebe für Ordnung, Sauberkeit und Pünktlichkeit nach. Wenn diese beiden Spezies in einer Person zusammentreffen, kann eigentlich nur etwas Unerträgliches oder etwas liebeswert Skurriles dabei herauskommen.

Werner Tobler zählt glücklicherweise zur letzteren Art. Seines Zeichens Lokführer der Schweizer Bahn, fuhr er 31 Jahre lang auf den verschiedenen Strecken der Schweiz und machte über besondere Vorkommnisse gewissenhaft seinem Vorgesetzten Meldung. Diese "Führermeldungen" notierte er fein säuberlich und nahm diese in Kopie mit nach Hause. In all den Jahren kamen so 241 Berichte zusammen, die sein Sohn René Tobler auf dem Dachboden entdeckte. Zwar waren die meisten hiervon "administrativ-technischer" Natur, doch erzählen viele auch die Geschichte eines "bewegten Reiselebens". Auf Umwegen erfuhr der Schweizer Ausstellungsmacher Jean-Christophe Ammann hiervon und stellte bei einer Lesung ausgewählte Teile davon vor. Sie wurden auch in der Schweizer "Weltwoche" im April 2002 veröffentlicht.

Selbst wenn manche der Berichte für den Nicht-Eisenbahnenthusiasten kryptisch anmuten - "Massgebend für meine Stellungnahme sind die Erfahrungen mit dem FV4a, das unübertroffen ist" - oder die Anfragen an den OLF (den Oberlokführer) von technischen Details wimmeln, so wirken die meisten doch schrullig-unterhaltsam.

Ungeheuerlichkeiten der Umwelt wie die Nachteule, die die Weiterfahrt verhindert, sind eher selten; hier die Meldung Nr. 38 vom 11. Oktober 1961: "Plötzlich löste der Hauptschalter aus (ohne abnormales Geräusch), und es gab einen leichten Funken am Bügel. Ich senkte den Bügel und setzte die Fahrt fort. In Oberwinterthur hatte ich ca. 30 Minuten Zeit für eine Dachkontrolle, wo ich eine Nachteule unter dem Bügel auf dem Lokdach fand. Beschädigungen waren keine zu erkennen, und ich konnte wieder normal weiterfahren." Es versteht sich natürlich von selbst, dass der Vorgesetzte "sofort verständigt" wurde. Zumeist ist es aber der Unsicherheitsfaktor Mensch, der einen ordnungsgemäßen Bahnbetrieb das ein oder andere Mal unmöglich macht. Ob an einem Übergang beim Nahen des Zuges noch "1 Auto, 1 Roller, 1 Traktor mit Grasfuder, 1 Frau mit Kinderwagen und Fussgängerin" diesen überqueren oder gar ein offenbar tauber Fuhrmann sowie seine "zwei brauen Pferde mit einer Mähmaschine" die Vorschriften missachten, immer ist menschliches Versagen die Ursache.

Kenner und Liebhaber der ferromobilen Zunft, für die das Eisenbahnwesen eine ungemein ernste Angelegenheit ist, kommen bei diesem Buch ebenso auf ihre Kosten wie die Leser, die sich an der grotesken Ernsthaftigkeit der "Führermeldungen" erfreuen können und ihre nächste Bahnreise durch die Schweiz mit ganz anderen Augen angehen können.

Titelbild

Werner Tobler: Nachteule unter dem Bügel. Die Führermeldungen des Werner Tobler.
Herausgegeben von René Tobler.
Axel Dielmann Verlag, Frankfurt a. M. 2003.
76 Seiten, 13,00 EUR.
ISBN-10: 3933974364

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