Anekdoten und Intrigen

Anka Muhlsteins Biographie französischer Königinnenmütter

Von Ines HeiserRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ines Heiser

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Mutterliebe ist das Gefühl, das die Herzen am innigsten rührt: Hat man jemals eine Mutter erlebt, die zugibt, davon kaum etwas zu spüren?" Mit dieser leicht kitschig anmutenden Bemerkung eröffnet die Historikerin Anka Muhlstein ihre Biographie dreier französischer Königinnen. Ausgangspunkt für ihre vergleichende Darstellung der Viten Katharinas von Medici (1519-1589), Marias von Medici (1573-1642) und Annas von Österreich (1601-1666) ist dabei in erster Linie die Tatsache, dass alle drei Frauen zeitweise die höchste Regierungsgewalt in Frankreich inne hatten: Sie fungierten jeweils mehrere Jahre als Regentinnen für ihre minderjährigen Söhne.

Muhlsteins Ziel ist es dabei, jeweils das Verhältnis zwischen Mutter und Sohn im Spannungsfeld verschiedenster Problemkonstellationen darzustellen: "Stellt die Mutterliebe immer eine ausreichende Garantie dar, um im äußersten Fall die Rechte des Kindes zu schützen? Was geschieht, wenn zur Vormundschaft auch die Regentschaft, das heißt die Regierung des Königreichs, gehört? Wenn die Pflicht der Mutter die einzigartige Chance bietet, die höchste Machtstellung zu erringen? Wenn ihr die Erziehung des Sohnes die Möglichkeit gibt, ihm entweder einen anderen Weg als den des enttäuschenden Ehemannes vorzuzeichnen oder ihn im Gegenteil mit einem unerreichbaren Ideal zu konfrontieren? Wenn es schließlich ihr, und ihr allein zusteht, die Frau ihres Sohnes - ihre potentielle Rivalin - auszuwählen?"

Einer Beantwortung dieser Fragen nähert sich Muhlstein an, indem sie ein farbiges und detailreiches Bild der politischen Ereignisse der jeweiligen Regentschaftszeit zeichnet. Der innenpolitische Konflikt zwischen Katholiken und Protestanten wird dabei ebenso ausführlich in den Blick genommen wie die europäische Bündnispolitik Frankreichs und die zahlreichen Hofintrigen. Ergänzt wird dieses Tableau durch genealogische Übersichten über die Familien der Valois, der Bourbonen und Habsburger und reprographische Abbildungen verschiedener Portraits der auftretenden Personen; dazu werden in einem umfangreichen Anhang neben einer tabellarischen Auflistung der wichtigsten Lebensdaten der Königinnen ein Datenverzeichnis zu den Ereignissen der europäischen Geschichte, eine Auswahlbibliographie und ein die Orientierung erleichterndes Namensregister geboten. Der Materialreichtum ist also in jeder Hinsicht beeindruckend, dazu ist der Band ansprechend gestaltet, und Muhlsteins essayistischer Stil macht es leicht, den teilweise verwickelten Ereignisabläufen mit Interesse zu folgen, ohne dass dadurch die Informationsvermittlung beeinträchtigt würde.

Trotz dieser hervorragenden äußeren Konzeption des vorliegenden Buches ist in einigen wesentlichen Punkten Kritik an Muhlsteins Buch zu äußern, die hauptsächlich die Schwerpunktsetzung bei der Präsentation der von ihr aufbereiteten Zusammenhänge sowie ihren Frageansatz betrifft. Wie der Titel des Buches (im französischen Original: "Reines éphémères. Mères perpétuelles") und auch Muhlsteins Äußerungen im Vorwort nahe legen, soll es sich bei ihrer Darstellung um eine Biographie der drei Königinnen bzw. um eine Untersuchung der Beziehungen zwischen diesen und ihren Söhnen handeln. Dieser Anspruch wird nicht eingelöst - der Fokus des Buchs liegt gerade nicht auf dem Leben der porträtierten Königinnen, sondern auf einer allgemeinen Darstellung der politischen Entwicklungen und des Hoflebens. Schwerpunktmäßig referiert Muhlstein dabei Ereignisse und Anekdoten aus den Kinder- und Jugendjahren der Könige und rekonstruiert detailliert die Intrigen der politisch einflussreichen Familien - das Leben der Königsmütter vor ihrer Übernahme der Regentschaft wird dagegen meist nur kursorisch gestreift, über Jugend und Ausbildung dieser Frauen, soweit sie sich nicht am französischen Hof abspielen, erfährt man so gut wie nichts; auch ihre spätere Existenz nach Beendigung der Regierungsphase wird meist nur abrissartig zusammengefasst.

Neben dieser diskussionswürdigen Auswahl in der Darstellung ist besonders Muhlsteins Umgang mit den Quellen zu hinterfragen: Zwar zieht sie die sehr zuverlässigen Berichte der venezianischen Diplomaten am französischen Hof als eine Hauptquelle heran, doch übernimmt sie daneben - offensichtlich mit dem Wunsch, einen besseren Zugriff auf den "Privatbereich" der königlichen Familie zu erhalten - viel Anekdotisches aus den Werken verschiedener Hofschriftsteller und Memoirenverfasser, ohne deren tendenziöse, auf positive Repräsentation abzielende Ausrichtung zu berücksichtigen. Das so von ihr rekonstruierte Bild eines Privatlebens der französischen Königsfamilie kann damit wohl kaum einer wie auch immer gearteten historischen Wahrheit nahe kommen - es handelt sich dabei vielmehr um eine unkritische Übernahme historischer Propaganda, die lediglich formal an moderne wissenschaftliche Darstellungsweisen angeglichen wird. Die unkritische Arbeitsweise Muhlsteins in diesem Zusammenhang demonstriert ein grundsätzliches Problem der Quellenlage: Es stellt sich die Frage, ob auf einer Quellenbasis, die gerade in Hinblick auf die Darstellung der Könige und der Königsfamilie durch diese selbst einer rigiden zeitgenössischen Kontrolle unterworfen war, überhaupt ein Zugriff auf eine historische Realität des königlichen Privatlebens möglich ist.

Hieran schließt sich eine weitere und weitaus gravierende Unstimmigkeit an: Muhlstein legt ihrer Darstellung - ebenfalls ohne dieses Problem überhaupt zu erörtern - ein "modernes" Konzept von Familie, familiären Beziehungen und Privatleben zugrunde, wie es für das Bürgertum seit der Aufklärung als allgemein gültiges Ideal seit dem 19. Jahrhundert vorausgesetzt werden kann. Für die Adelsfamilien des 16. und frühen 17. Jahrhunderts müssen diese Vorstellungen von persönlicher Bindung und Fürsorge, ebenso wie das Ideal der liebenden Mutter allerdings nicht in gleicher Weise verbindlich gewesen sein, da deren Verständnis von Familie in vieler Hinsicht von anderen, oft noch mittelalterlichen Traditionen abhängig war. Muhlstein selbst verweist in diesem Zusammenhang mit Recht auf die bewusste Inanspruchnahme der Königin Blanca von Kastilien (1185-1252) als Vorbild, Referenz- und Legitimationsfigur durch die drei frühneuzeitlichen Königinnen. Regentschaft für den noch unmündigen Sohn bedeutet hier in erster Linie nicht Fürsorge für das eigene Kind, sondern politischen Machterhalt für die Familie; persönliche Bindungen und Verpflichtungen traten hinter das übergeordnete Konzept der Familienherrschaft zurück.

Insgesamt gesehen kann "Königinnen auf Zeit" dennoch als lesenswertes Buch betrachtet werden, soweit es in einen populärwissenschaftlichen Rahmen eingeordnet wird: Der Leser, der Interesse an Hofkolportage und anekdotischen Königsgeschichten mitbringt, wird hier viel Unterhaltsames finden - ebenso ist es möglich, sich auf der Grundlage des Buches einen ersten Überblick über die wichtigsten Ereignisse französischer Geschichte im 16. und 17. Jahrhundert zu verschaffen. Wem dagegen an einer näheren und fundierten Beschäftigung mit den drei Königinnen Katharina, Maria von Medici und Anna von Österreich gelegen ist, wird sich anderweitig umsehen müssen.

Titelbild

Anka Muhlstein: Königinnen auf Zeit. Katharina von Medici, Maria von Medici, Anna von Österreich.
Übersetzt aus dem Französischen von Ulrich Kunzmann.
Insel Verlag, Frankfurt a. M. 2003.
350 Seiten, 22,90 EUR.
ISBN-10: 3458171770

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