Wider die Leselust

Friedrich Polleroß mit einem Sammelband zur barocken Kunst in Böhmen, Mähren und Österreich

Von Silvia CarmelliniRSS-Newsfeed neuer Artikel von Silvia Carmellini

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Kunstdenkmäler der Regionen Böhmen und Mähren fristen in der Rezeption der deutschsprachigen Kunstgeschichte bislang ein kaum beachtetes Dasein. Mit der Osterweiterung der Europäischen Union steigt nunmehr die Hoffnung, dass sich für den interessierten Leser - sei er nun Wissenschaftler oder Laie - ein Terrain für neue Entdeckungen bietet, ermöglicht sie doch eine intensivere Erforschung von bislang wenig bekannten Kunstwerken und ihren Urhebern. Der prächtige Sammelband "Reiselust & Kunstgenuss. Barockes Böhmen, Mähren und Österreich" ist nunmehr begleitend zur gleichnamigen Zweiländerausstellung Österreich - Tschechien entstanden, die seit Anfang Mai bis zum 31. Oktober 2004 in die Stifte Geras in Niederösterreich und Nová Rišé in Südmähren einlädt.

Friedrich Polleroß, Herausgeber und Leiter des grenzüberschreitenden und durch EU-Mittel geförderten Projektes, stellt einleitend heraus, dass die 16 Autoren sich mit den künstlerischen und wirtschaftlichen Beziehungen, die im Barock zwischen den Regionen vorherrschten, erstmals näher auseinander setzen wollen. Das Wirken einzelner Künstler soll hierbei durch die monographische Schilderung geschäftlicher Verbindungen von Künstlern aus den Regionen aber auch aus anderen Teilen Europas und ihren jeweiligen Auftraggebern anschaulich gemacht werden. Im besonderen Blickpunkt stehen die unzähligen Reisen, die sie für die Realisierung ihrer Entwürfe antreten mussten.

Leider ohne dieser Idee eine konkretere zentrale Fragestellung überzuordnen, lassen die Kunsthistoriker aus Österreich, Tschechien, Ungarn und Polen den Leser am Wirken unterschiedlichster Künstler teilhaben. Freskenmaler wie Paul Troger oder Carlo Innocenzo Carlone, Architekten wie Johann Bernhard Fischer von Erlach oder Jakob Prandtauer, Bildhauer wie Jakob Christoph Schletterer oder der Marmorierer Johann Ignaz Hennevogel und viele andere werden vorgestellt. Niveauvoll gewähren die Autoren nicht nur eine hohe Informationsdichte, sondern auch neue Einblicke in diese barocke Welt. So sehr ihr wissenschaftlicher Informationsgehalt in dieser Hinsicht beeindruckt: zumeist stellen ihre Darstellungen jedoch eine chronologische Abfolge des jeweiligen Künstlerlebens vor. Diese additive Präsentationsweise schmälert ein wenig den Lesegenuss, der beim Durchstöbern des Buches infolge dessen neben der üppigen Bilderpracht an Farbe verliert.

Zudem wird für den Leser (vor allem für den unkundigen Laien) im Vorwort dieser repräsentativen Edition nicht deutlich genug betont, dass sie als eine monographische Ergänzung zur Ausstellung gedacht ist. Ohne weitere Vorkenntnisse über die Region und die Auswahl der Künstler wird die Zielsetzung des Bandes nicht transparent. Auch wird dem Leser kein topographischer Überblick angeboten, der sich bei der Themenstellung, die sich zweifellos an ein breiteres Publikum richtet, bestimmt als vorteilhaft erwiesen hätte. Genauso wenig erfährt er über die Autoren, deren Kurzbiographien fehlen.

Abwechslungsreich in seiner Gattungsvielfalt, überzeugend in seiner Gestaltung aber ein wenig oberflächlich in seiner zentralen Fragestellung zerfällt dieses optische Schmuckstück (ein Lob an den Verlag) in einzelne - dafür aber kostbare - Perlen, die eines vortrefflich bewirken: Reiselust nach Böhmen, Mähren und Österreich.

Titelbild

Friedrich Polleroß: Reiselust und Kunstgenuss. Barockes Böhmen, Mähren und Österreich.
Michael Imhof Verlag, Petersberg 2004.
272 Seiten, 24,95 EUR.
ISBN-10: 3937251391

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