Vielleicht will ich wirklich unglücklich sein

Annemarie Schwarzenbach in Briefen an Erika und Klaus Mann

Von Roman KernRSS-Newsfeed neuer Artikel von Roman Kern

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Sie war eine provokante Gestalt in der Schweiz ihrer Zeit: die Vorliebe, Hosen zu tragen, ein offenes Bekenntnis zur Homosexualität sowie ein Hang zu Alkoholexzessen und zum Morphium trugen hierzu sicherlich ebenso bei wie etwas später ihr offen gelebter Antifaschismus. Annemarie Schwarzenbach, geboren 1908 in Zürich als Tochter einer Millionenschweren Industriellenfamilie, hatte in Frankreich und der Schweiz Geschichte studiert und bereits mit 23 Jahren ihre Promotion abgeschlossen. Seit 1930 verband sie, die selbst literarische Ambitionen hatte, eine Freundschaft zu Klaus und Erika Mann. Letzterer gegenüber empfand sie heftige, zwölf Jahre andauernde und zumeist unerfüllte Gefühle der Liebe. 1935 heiratete sie in Persien den homosexuellen französischen Diplomaten Claude Clarac, ließ sich von diesem jedoch nach einer kurzen, unglücklichen Ehe wieder scheiden.

In den Jahren 1936 bis 1938 bereiste sie die USA, Danzig, Moskau, Wien und Prag, um Fotoreportagen zu erstellen, bis sie 1939 mit ihrer Geliebten Ella Maillart eine lange Reise nach Afghanistan unternahm. 1940 war sie erneut zu Besuch in den USA, 1941 und 1942 verbrachte bis zu ihrer Rückkehr in die Schweiz in Belgisch-Kongo. Im Jahr 1942 zog sie sich zu Hause eine schwere Kopfverletzung zu, an deren Folgen sie einige Wochen später starb.

Die vorliegende Publikation präsentiert auf 3 CDs ausgewählte Briefe ihrer Korrespondenz mit Erika und Klaus Mann. Diese waren bereits vorher von Uta Fleischmann an der Universität Oldenburg veröffentlicht und sind nun nun für die Hörfassung sanft bearbeitet worden.

Es ist ein Leben, das sich hier in Briefen offenbart - die präsentierten Briefe reichen von 1930 bis 1942. Interessant ist dabei, dass man nur eine Seite der Kommunikation erfassen kann - im Gegensatz zu den vielfach veröffentlichten Briefwechseln prominenter Schriftsteller dringt hier eine Art mono-logischer Tanz an das Ohr des Hörers: es ist ein Tanz, bei dem man sich den Partner nur vorstellen kann. Das hat seinen Grund darin, dass die Antworten der Mann-Geschwister nach Annemarie Schwarzenbachs Tod zusammen mit allen Tagebüchern von ihrer Mutter vernichtet wurden.

Jener Tanz hat zu Beginn etwas Verkrampftes und Mühsames. Über weite Strecken der ersten CD zeigt sich Annemarie Schwarzenbach in schmachtendem Werben um die Liebe Erika Manns. Neben diesem wiederkehrenden Motiv finden sich vor allem Notizen und Beschwerden über ihr tägliches Arbeitspensum - ein nahezu typisches Studentendasein, könnte man auf den ersten Blick meinen.

In einem Brief an Erika Mann vom Januar 1933 erfährt man, dass sie vor kurzem mit Morphium in Berührung gekommen ist - die Nennung der Droge erfolgt in den Briefen verschlüsselt unter der Chiffre '(Thun)fisch'. Daneben ist die Rede von heftigem Alkoholgenuss, der einmal - ebenfalls im Jahr 1933 - zu einem Unfall führt: am Tag nach einer Alkoholvergiftung fährt die junge Dame mit ihrem Auto in eine Straßenbahn. Zudem hat sie zu dieser Zeit bereits mit Schulden zu kämpfen: ihre konsequente Weigerung, den Lebensplänen der Eltern zu entsprechen sowie ihr antifaschistisches Engagement sorgen für erhebliche Spannungen mit dem Schwarzenberg-Clan.

Doch der Fokus der Betrachtungen soll sich sehr bald verschieben: der letzte und zugleich längste Brief auf der ersten CD ist an Klaus Mann gerichtet und stellt eine Zäsur dar. Verfasst am 8. April 1933 in Berlin, präsentiert er eine detaillierte Analyse der sich verändernden Verhältnisse - in den wenigen Monaten nach der "Machtergreifung" Hitlers hat sich das Antlitz der Stadt so drastisch verzerrt, dass eine hochsensible Frau wie Annemarie Schwarzenbach nur mit Schrecken auf die unweigerlichen Folgen sehen kann: "Selbstverständlich ist Deutschland wieder dabei, sich zu isolieren, sich verhasst zu machen und bei sich den Hass auf Generationen groß zu züchten."

Dieser frühe und scharf urteilende Blick ist ein Schlag ins Gesicht all derer, die immer noch so tun, als hätte man nichts gewusst, nichts wissen können. Sicherlich war die gerade 25-jährige Annemarie nicht befangen in der quälenden Prozesshaftigkeit, die gerade in ihrem Vorgehen - Schritt für Schritt - und der einhergehenden Gewöhnung an 'das Neue' die gravierenden Differenzen im Blick des unmittelbar Beteiligten nivellieren können. Jedoch war sie zum Zeitpunkt des Briefes gerade acht Tage in Berlin gewesen. So dürfte sie bereits die Folgen der Gleichschaltung von Rundfunk und Presse gespürt haben. Hinzu kam die direkte Erfahrung der Ersetzung aller jüdischen Beamten durch Natonalsozialisten einen Tag bevor sie den Brief an Klaus Mann schrieb.

Bei aller Härte im Urteil jedoch verliert sie niemals den Sinn für die Realität und deren Bedingtheit aus den Augen. Sehr genau diagnostiziert sie, warum die Nationalsozialisten in Deutschland Erfolg haben konnten: es sind die Friedensbedingungen, die Politik Frankreichs, die steigende Arbeitslosigkeit und die mit ihr einhergehende Demoralisierung des Volkes sowie die Schwäche des Staates, die Unfähigkeit zur "internationalen Verständigung und Duldung" und nicht zuletzt zum "menschlichen und kulturellen Fortschritt": "Viele hatten die besten Absichten, viele versuchten, in diesem Geist zu handeln - es ist misslungen, 14 Jahre lang und am Schluss brach der Staat zusammen wie ein Kartenhaus."

Doch eine ebenso scharfe Absage erteilt Annemarie Schwarzenbach bereits in jenem Augenblick all denen, die bis heute an einer Dämonisierung des Nationalsozialismus stricken: "Nur einer, der von geschichtlichen Gesetzen insbesondere von Ursache und Wirkung keine Ahnung hat, kann behaupten, die bösen Nazis kamen und haben den guten Sozialdemokraten einen Strich durch die Rechnung gemacht."

Trotz aller Klarheit bei der Sicht auf die Umstände und ihre Ursachen formuliert sich bei ihr eine Fassungslosigkeit, der man sich angesichts der Entwicklungen nach 1933 bis heute nicht entziehen kann: "Schließlich sind diese uniformierten Straßenräuber und Landsknechte mit ihrer barbarischen Verwilderung tatsächlich dieselben Leute, die vor einigen Jahren mit ihren Mädchen mit Spielball und Faltboot zum Wochenende loszogen und ohne Grund waren sie den Verführungen der Volksredner auch nicht zugänglich."

Jener lange Brief aus Berlin soll zugleich der letzte aus Deutschland sein. Die Absenderadressen verraten viel über ein unruhiges, getriebenes Leben. Annemarie Schwarzenbach war wesentlich beteiligt an der Finanzierung von Klaus Manns Exilzeitschrift "Die Sammlung" - so kommt es, dass immer wieder von komplizierten Überweisungen von und in alle Welt die Rede ist. Sie selbst veröffentlichte zu Lebzeiten neben ihren Reportagen ebenfalls einige Werke, so etwa ihren Roman "Freunde um Bernhard" (1931), oder die "Lyrische Novelle" (1933).

Im Ganzen sind die Briefe in zunehmendem Maß Zeugnis einer inneren Verlorenheit. Ihre Morphium-Abhängigkeit führte zu einer ganzen Reihe von psychischen Zusammenbrüchen und Entziehungskuren. 1935 unternahm sie einen Selbstmordversuch. Dennoch begann sie kurz danach eine weitere, ihre nunmehr dritte Asienreise. Fünf Jahre später formulierte sie ihre Gedanken in einem Brief an Klaus Mann: "Und vielleicht ist es wirklich so, dass ich unglücklich sein will, das heißt die Spannungen von außen brauche und darum schon wieder auf die Landstraße möchte"

Im Laufe der späten 30er Jahre werden die Briefe drängender in der Bitte um Antwort - in der Anrede des jeweiligen Briefpartners, doch auch in der Befragung der eigenen Person. Immer wieder werden kleine, fast philosophische Betrachtungen eingeflochten, die sich mit der Frage nach gültigen Formen des Widerstands befassen und mit dem Problem der Zugehörigkeit zu den Mann-Geschwistern. Erschüttert zeigt sich Annemarie Schwarzenbach in einem Brief vom 1. August 1940 an Klaus Mann. Sie bezieht sich auf eine Aussage seinerseits, die ihr wohl "morbiden Trotz" bescheinigte und eine "Sucht, leiden zu wollen", wenn sie sagt: "Das traf mich sehr, weil es mir schon oft und immer von kompetenter und wohlmeinender Seite vorgeworfen wurde." Weiter heißt es:

"Schau, ich setze mich ernstlich damit, mit mir also, auseinander. Ich weiß, dass wir dringende Aufgaben haben, die dringenden Einsatz verlangen. Ich verstehe deshalb auch, dass auf Dich, wie sehr erst auf Erika, meine Unruhe so wirken muss, wie früher meine mangelnde Verfügbarkeit, weil ich den Mohnfeldern erlag. Aber halten wir's doch fest, dass immerhin der Unterschied prinzipiell ist, ob ich krank bin, oder aber ob ich es nicht fertig bringe, meine Art zu schreiben mit den Forderungen des normalen Lebens zu vereinen. Du siehst, den Vorwurf des morbiden Trotzes möchte ich ablehnen."

Es sind dies Worte einer von wiederholten Entziehungskuren und Rückfällen, sowie verschiedenen psychoanalytischen Behandlungen gezeichneten Frau, beständig in eine Apologie ihres Lebens verstrickt, die sich mit Sicherheit bereits früh in dem Verhältnis zu den Eltern zu manifestieren begann. Doch es ist auch das verzweifelter werdende Werben um die Gunst des Geschwisterpaares, das sich, bereits seit langem geographisch an anderen Orten, nun auch menschlich zu entfernen beginnt: "Vergiss nicht, lieber Klaus, dass ich trotz allem und immer sehr treu, anhänglich und auch lieb bin."

Das Werben bekommt eine bittere Note, nachdem der Gipfel der Einsamkeit überschritten ist. 1940 wird Annemarie Schwarzenbach für 3 Wochen zur psychiatrischen Behandlung eingewiesen, weil sie in Amerika ihre Freundin Margot von Opel tätlich angegriffen hat. In einem Brief vom Januar 1941, gerichtet an Klaus, kann man deutlich hören, wie sehr sie es als Kränkung empfindet, dass es allein ihr Bruder war, der Anstrengungen unternommen hatte, sie dort wieder heraus zu holen: "Ich habe mich manchmal gefragt, was Du, auch was Eri Euch wohl vorgestellt haben mögt, wer sich meiner wohl annehme, wer mich aus den Händen der Polizei hole, oder gibt es solche Grenzen der Freundschaft, dass, wenn einer wirklich 'in trouble' ist, man ihn in solchem Elend einfach umkommen lässt?

Aber lassen wir das. Ich glaube, es war mein grundsätzlicher und schwerwiegender Irrtum, der Irrtum eines halben Lebens, dass ich immer geworben, gebeten, Hilfe erwartet habe, immer mich beweisen und bewähren, immer eine Antwort wollte."

Der Brief endet ernüchtert, auch was ihre Beziehung zu den Mann-Geschwistern angeht. Nach der Erfahrung in der Psychiatrie scheint Annemarie Schwarzenbach geläutert zu sein von ihrer Sehnsucht nach künstlichen Paradiesen, jenen 'Mohnfeldern', wie sie ihre Abhängigkeit zu umschreiben vorzog. Es folgt eine Briefpause von etwa einem halben Jahr, das Hörbuch endet mit letzten Briefen vor allem aus dem Kongo. Es handelt sich um Reisebeschreibungen mit eingestreuten Anekdoten über Ausweichmanöver, die deutschen Soldaten gelten, einer Menge Lokalkolorit und nicht zuletzt einer ganzen Reihe von Betrachtungen, die sich mit Deutschland und der immer unausweichlicheren Niederlage befassen. Trotz oder vielleicht gerade wegen der geographischen Entfernung fühlt sich Annemarie Schwarzenbach dem Geschehen in Europa so nah wie nirgend sonst. Im mächtigen Windschatten des Europa in rasender Geschwindigkeit durchfegenden Krieges sieht sie Afrika erstarken: "Während die Mutterländer die Qual der Niederlage erleiden, entwickeln die Kolonien immer größere wirtschaftliche Stärke, Unabhängigkeit und Selbstvertrauen. Es würde mich nicht überraschen, wenn der Krieg hier die Vereinigten Staaten Afrikas vorbereiten würde."

Schwarzenbach befasst sich auch mit der Frage nach den Möglichkeiten, die Afrika als Stützpunkt für auf Deutschland gerichtete antifaschistische Radiosendungen bieten könnte und versucht so erneut, sich den Geschwistern Mann anzunähern. Dennoch ist ein gewisser, auf Vorsicht bedachter Abstand zu bemerken, bei aller Freundschaft in den Worten eines letzten Briefes an Erika Mann, trotz aller offensichtlichen Wünsche nach einer erneuten Annäherung.

Der letzte Brief in der vorliegenden Sammlung ist auf den 2. September 1942 datiert und geht an Klaus Mann. Er wird von der Schweiz aus geschrieben. Die Absenderin freut sich, wieder zu Hause zu sein und spricht davon, einen Roman veröffentlichen zu wollen, dessen Manuskript bereits vorliegt: "Das Wunder eines Baumes". Dazu führt sie aus:

"Ich habe das Gefühl, dass ich zum ersten Mal schreibe, wie ich es sollte. Dabei gebe ich mein Bestes. Ich scheue keine Mühe. Das Ergebnis ist sehr überraschend und weit jenseits meines eigenen Wissens oder Denkens. Dennoch finde ich, wenn ich es lese, dass jedes Wort und jede Zeile wahr ist und direkt aus der gemeinsamen Quelle von Erfahrung und Unschuld kommt."

Der Roman wird nicht vollendet werden. Die Kommunikation bricht ab nach diesem Gruß, den sie Klaus Mann auf den Weg gibt und der ihr letzter sein soll: "Grüsse Deine Eltern, Golo und alle Freunde von mir und herzlichste und liebste Grüsse an Erika. Schreibe bald und Du kannst unserer uralten Freundschaft und meiner Zärtlichkeit sicher sein."

Am 15. November 1942 stirbt Annemarie Schwarzenbach drei Wochen nach einem unglücklichen Fahrradunfall. Es ist, als wäre ein Leben abgeschnitten, nachdem es gerade erst wieder auf Kurs gebracht worden war.

Hannelore Elsner spricht diese sehr gut ausgewählten und behutsam gekürzten Briefe. Das Material erfährt durch ihre feine, klar artikulierte Stimme eine enorme Umsetzung. Es ist ein bestimmter Ton zwischen der Erfahrung einer reifen Frau und dem Timbre eines frühreifen Mädchens, der sie als Sprecherin gerade dieser Briefe derart perfekt besetzt scheinen lässt: sie ist gleichermaßen überzeugend als die schmachtende Annemarie der 30er Jahre und als die am Boden zerstörte Miss Schwarzenbach, die, gerade der Psychiatrie entronnen, an Klaus einen bitteren Brief schreibt. In ihrer Stimme findet man den Zorn über die erdrückende, auf Kontrolle bedachte Mutterliebe ebenso authentisch, wie das matte Staunen einer von Tropenkrankheiten gebeutelten Besucherin ferner Welten. Es zeichnet Hannelore Elsner aus, dass sie es dabei niemals nötig hat, sich in den Vordergrund zu spielen oder ihre Wirkung zu strapazieren; ihre Stimme ist ganz einfach authentisch und präsent.

Das sehr informative Beiheft rundet neben der ansprechenden Gestaltung der Hülle diese sehr gelungene Hörbuchproduktion ab.

Titelbild

Annemarie Schwarzenbach: "Wir werden es schon zuwege bringen, das Leben". Briefe an Erika und Klaus Mann 1930-1942. 3 CDs.
Kein & Aber Verlag, Zürich 2003.
165 Min., 19,90 EUR.
ISBN-10: 3036911405

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