Das Land, die Existenz, die Lehre

Gedichte koreanischer Autoren

Von Kai KöhlerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Kai Köhler

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

So übertrieben es wäre, Korea als Land der Lyrik zu bezeichnen - die Lyrik hat dort noch einen gesicherten Status im literarischen Leben und eine breitere Leserschaft als in Deutschland. Schon deshalb ist Kenntnis koreanischer Lyrik für eine Kenntnis der koreanischen Literatur überhaupt erforderlich.

Gleichzeitig ist Lyrik schwieriger zu übertragen als andere Gattungen. Wo beim Drama, beim Roman und bei der Erzählung Handlung und Charaktere eine Übereinstimmung von Original und Übersetzung gewährleisten, besteht Lyrik zu einem größeren Teil aus jener Arbeit an der Sprache, die in einer anderen Sprache nur annährungsweise zu erfassen ist; hinzukommt, dass koreanische Gedichte kaum je von europäischer Metrik geprägt sind. Die Schwierigkeit adäquater Vermittlung stellt sich zudem stofflich gerade bei älteren Autoren, deren Jugend noch ländlich, vor der späten und rapiden Verstädterung des koreanischen Südens, bestimmt war. Drei von ihnen sind hier mit eigenen Gedichtbänden vorgestellt.

Am bekanntesten in Südkorea ist Ko Un, geboren 1933. Sein Leben ist wechselvoll. Als junger Mann mit den Schrecken des Korea-Krieges konfrontiert, wurde er 1952 buddhistischer Mönch. Ein Jahrzehnt später wandte er sich, nach raschem Aufstieg in der Klosterhierarchie und einem ersten Gedichtband, von der Religion ab, arbeitete fast ohne Bezahlung als Lehrer auf einer abgelegenen Insel und lebte dann in der Hauptstadt Seoul. Die krisenhafte Konfrontation mit der Großstadt führte 1970 zu einem zweiten Suizidversuch - nachdem er bereits im Krieg versucht hatte, sich das Leben zu nehmen. Wenig später änderte Ko seine Poetik erneut radikal, setzte sich 1973 vom Nihilismus des vorangegangenen Jahrzehnts ab und wurde zum politisch gegen die Militärdiktatur Park Chung-Hees engagierten Autor. Diese Entscheidung führte zu Inhaftierung und Folter und nach dem Militärputsch des Generals Chun Doo-Hwan zu einem Todesurteil, das erst nach vielen Monaten des Bangens aufgehoben wurde. Seit 1983 lebt Ko auf dem Land, etwa 60 Kilometer südlich von Seoul, und schreibt äußerst produktiv. Neben zahlreichen Einzelbänden entstehen die zyklischen Dichtungen "Zehntausend Leben" (9 Bände) und, noch unvollendet, "Der Berg Peaktu" (seit 1991).

Freilich weckt ein solcher Ausstoß auch Skepsis. Wer pro Jahr mindestens einen Gedichtband auf den Markt wirft, hält nur schwer ein hohes Niveau; übrigens ein Problem südkoreanischer Literatur überhaupt. "Er hat in fünfzehn Jahren zehn Romane, sieben Novellen und drei Essays geschrieben. [...] Das bedeutet, daß er nicht sehr viel veröffentlicht hat", heißt es über einen fiktiven Schriftsteller in Lee Sung-Us Roman "Die Rückseite des Lebens". In Deutschland wäre jener Park Bugil zu Recht als Vielschreiber verrufen. Wenn Ko Un in seinen neueren Werken, wie das Nachwort zum vorliegenden Band "Ein Tag voller Wind" verrät, sich der Sprache der "einfachen Leute" zuwendet, kann dies gerade zum Vorwand für oberflächliche Durcharbeitung werden.

Die Zusammenstellung, eine Auswahl aus zwei Lyrikbänden von 1992 und 1994 bestätigt den Verdacht nicht. Meist führt Ko seine Motive konsequent durch, statt unter dem Vorwand, dem Volk aufs Maul zu schauen, beliebig zu schwätzen. Freilich sind jene Motive selbst solche einer ländlichen Vergangenheit. Ko schreibt eine Naturlyrik wie kein deutscher Autor, der in den Kanon will, es seit sechzig Jahren wagen würde. Mond- und Sternenlicht, Schilfrohr und Gerstenfeld erscheinen ohne jedwede Ironisierung. Kos lyrisches Ich ist auch da, wo es sich selbst zu vergewissern sucht, ungebrochen. Im besten Fall - wo Ko Naturnähe mit der Betrachtung von Vergänglichkeit zu koppeln weiß - vermag das noch einmal anzurühren. Doch führt ein Weg in diese Welt zurück? Von Paris und Manhattan, die wohl als Metropolen für das 19. und des 20. Jahrhunderts stehen, will Ko jedenfalls nur die Abwasserkanäle beachtet sehen; in Seoul könne man sogar "das Ende der Menschheit besichtigen".

Das scheint ein wenig übertrieben; und die Moderne überwindet man nicht durch Ablehnung, sondern indem man sie durcharbeitet. Ko dagegen lobt eine Welt, die ein Jahrzehnt nach der Veröffentlichung der Originale schon vergangen wirkt. Nur so kann man heute die Sammlung lesen: als Denkmal für etwas, das nicht mehr ist. Und aus dem Verlorenen schöpft Ko das Beste: keine starre konfuzianistische Ethik, sondern eine am individuellen Bedürfnis orientierte Lebenslust und eine Auflehnung noch im Tod, wie sie das Titelgedicht formuliert: "Zu sterben an einem Tag voller Wind / ist die allergrößte Auflehnung. / [...] Am hellsten leuchtet in dieser Welt / ein Tag voller Wind."

Eine solche Vitalität braucht die Alltagssprache, die Lim Jong-Dae in seinem Nachwort als konstitutiv für die Poetik Kos herausstellt. Tatsächlich werden durch das Deutsch, das er und sein Ko-Übersetzer Jürgen Abel gewählt haben, die eingängigen Aussagen nicht unter komplexer Metaphorik und metrischer Gelehrsamkeit begraben. Das Ergebnis klingt stellenweise freilich so problematisch wie viele westliche Kahlschlaglyrik: nach einer Prosa, die Zeilenbrüche aufweist, weil sich das für Gedichte eben so gehört. Die Übertragung bewahrt den sprechnahen Gestus der Lyrik Kos. Nicht immer aber wird deutlich, worin eigentlich ihr Kunstcharakter besteht.

Traditionell wirken auch die Gedichte, die der 1935 geborene Shin Kyongnim in seinem Band "Mutter, Großmutter - Silhouetten" (koreanisches Original 1998) versammelt hat. Sprache und Metaphorik sind fast durchgehend leicht verständlich; und ein Vers wie: "Schmaler Mondschein am Kalenderende bleibt im Versteck" ist eine Ausnahme. Die Gedichte sind in fünf Teile gruppiert, die erst im Rückblick ihre Funktion erweisen. Die Gedichte des ersten Teils sind, ähnlich wie die Kos, voller Naturbilder. Jahreszeiten und Pflanzen spielen eine wichtige Rolle; die Menschen, bei aller Armut und bei allen Konflikten, scheinen doch organischer Bestandteil einer regelhaften Welt, ohne dass Shin Härten leugnen oder falsche Sinnprokuktion betreiben würde. Darum können diesen Naturkreisen die biographischen Kreise des zweiten Teils entsprechen, in denen erstmals in dieser Sammlung Politisches und gleichzeitig Städtisches zur Sprache kommt. Zum Erinnerungsraum wird nun auch die Großstadt Seoul, die in ihrer Bau- und Abreißwut so gar nicht dafür geeignet scheint: gerade im Verlust der Erinnerungsorte, die nun neu überbaut sind.

So wie diese Leben im Rückblick fremd sind, so bleiben auch die Tiere, denen am Beginn des dritten Teils Gedichte gewidmet sind, auf Distanz. Auch hier wieder finden sich dann Ichs mit Lebensläufen voller Brüche, Leben vor einem Ende, das Rundung nicht erlaubt. Der vierte Teil fasst zunächst die Motive der vorangegangenen zusammen, um mit einem großen Gedicht der Anklage zu enden: "Nicht nur verwest nun dieses Land". Shins Bilanz der ökonomisch so erfolgreichen Modernisierung ist vernichtend: Resultat ist eine vergiftete, zugemüllte Gegend, in der keine sinnliche Erfahrung mehr möglich ist: "Und die Alten sitzen hustend in der Kneipe / Wickeln krankes Schweinefleisch in chemiegetränkte Salatblätter."

Das implizite Lob des Sinnlichen verhindert, dass das Gedicht, in dem die Perspektive Shins sich in den Schlussversen auf die ganze Welt ausweitet, zur ökologischen Verzichtpredigt verkommt. Überhaupt preist Shin, wie Ko konfuzianistischer Moral abhold, den Lebensgenuss, soweit er eben zu erlangen ist. "Im Schatten meines Vaters" ist eines der biographischen Gedichte im zweiten Teil, eines der besten des Bandes. Der Vater des Ich pflegt einen unsoliden Lebenswandel, der den Abscheu der Familie, auch des Sohnes, auslöst. Tatsächlich macht der Sohn alles anders, zum Wohlgefallen sogar des Vaters, und erlebt den "Triumph", das Alter, in dem seinen Vater der Schlag traf, bei weitem zu übertreffen. Ein einziger Blick in den Spiegel macht alles zunichte; "statt meiner / steht Vater da, kleinherzig und feig", ein Vater, der sein "Maul nicht aufreißt, nicht zu prahlen versteht, / Ein armer, alter Vater."

So überzeugend lobt Shin ein erfülltes Leben, wenngleich er die Opfer nicht leugnet: die Mutter, die mit "wutschmalen Lippen" die Prostituierten ertragen musste, die der Vater anschleppt, die Großmutter, die "ihre schwache Faust" gegen die "Schande" schwang, und der Sohn, dessen Lebensprogramm sich im sinnlosen Hass auf den Vater erschöpft. Damit erscheint das Lob der Vitalität gebrochen und im überschaubaren Bereich der Familie als widersprüchlich. Im größeren Bereich der Politik dagegen scheitert Shin und fällt auf Moral zurück. "Ob wir's nicht zu eilig hatten / Mit dem guten Leben, das wir suchten?", fragt er - und fragt doch nicht, in welchem Elend in der globalisierten Welt diejenigen leben müssen, die es nicht eilig genug hatten. Das Problem liegt in der geschichtlichen Konstellation, nicht in einem Fehler des Subjekts.

Leider verharrt der politische, fünfte Teil in Moral. Vor allem sind die Gedichte im sich kapitalisierenden China angesiedelt, auch im in dieser Hinsicht ebenfalls problematischen Vietnam. Überzeugend notiert Shin den Verfall; fotogeile Westtouristen dort, im ursprünglichen Sinne geile Besucher hier, die Prostituierte abschleppen, während die einheimischen Zuschauer Wut überkommt. Aber noch die Lehrerin in China, die ihre Pflicht tut und darum Schönheit repräsentiert. Im Schlussgedicht "Sanftes, trauriges Lächeln" dann der Blick auf eine freundliche Buddha-Figur, die auf lange Sicht vielleicht Hass zu überwinden vermag.

Als Lösung scheint das zu einfach; der "giftige Kapitalismus", ist er denn, wie Shin meint, Auslöser des Übels, wird keinem Lächeln weichen. Politisch bleibt Shins Blick an der Oberfläche, erfasst er nicht, in welchen Widersprüchen sich diejenigen bewegten und bewegen, die, ausgehend sei es von kapitalistischen, sei es von sozialistischen Vorstellungen, Korea, China oder Vietnam modernisieren - müssen. Shin identifiziert sich, wie das allzu kurze Nachwort vermeldet, "mit der Masse der einfachen Leute", ohne zu bedenken, welche realen Alternativen für diese "Masse" bestehen. Es redet, anders als im Nachwort behauptet, kein "unausgesprochene ,Wir', das an die Stelle des individualistischen westlichen Ich romantischer Tradition tritt". Dieser Weg zurück - mit dem im Bezug auf angebliche Volkspoesie schon die Romantiker kokettierten - ist ein für allemal versperrt. Shins lyrisches Ich ist nicht autobiographisch. Offensichtlich sind es verschiedene Perspektiven, die er einnimmt. Aber jede markiert eine Individualität, ein einzelnes Leben, das nicht in einem Ganzen aufgeht.

In einem Punkt aber ist das Nachwort hilfreich. Wichtig ist der Reichtum an Rhythmen, der die Gedichte durchzieht. Dass Shin sie von schamanistischen Rezitationen, wie sie bis vor einer Generation in Korea noch verbreitet waren, abgeleitet hat, muss man glauben; das Resultat jedenfalls überzeugt und stellt dichterisch jenes Moment dar, das die eigene lyrische Sprache Shins auszeichnet. Es handelt sich um nichts, was mit gewohnten westlichen Versmaßen vergleichbar ist. Die freien Rhythmen Shins ergeben glatte Verläufe wie auch Stauungen, monotone Reihungen wie überraschende Betonungen. Um dieses Potenzial auszuschöpfen, sollte man die Gedichte laut lesen; zumindest den Rhythmus klopfen. Für die Betonungen der Originale überzeugende deutsche Entsprechungen gefunden zu haben, ist das Hauptverdienst der Übersetzer Park Jinhyung und Matthias Augustin.

Vor völlig anderem Hintergrund schreibt der 1930 geborene Park Ynhui. Nach einem Studium u. a. an der Sorbonne in Korea als Romanist tätig, wechselte er zur Philosophie, die er 25 Jahre in den USA vertrat. Auf die Emeritierung folgten Gastdozenturen in Harvard, Seoul, Mainz, Tokyo und Pohang. Unter den mehr als vierzig Buchveröffentlichungen Parks findet sich eine Studie zu Mallarmé ebenso wie Bücher zur analytischen Philosophie und Gedichtbände auf Koreanisch und auf Englisch; in vorliegendem Buch sind Parks englischsprachige Gedichte ins Deutsche übertragen. Schon ein solches Leben lässt keine land- und heimatverbundene Kunst wie bei Ko oder Shin erwarten.

Dem vielfältigen Werk zwischen Literaturwissenschaft, Philosophie und Dichtung entspricht vielmehr ein Essay, der ein knappes Fünftel des Buches einnimmt und das Verhältnis von Philosophie und Poesie grundlegend bestimmen soll. Dabei freilich geht es reichlich abstrakt zu, abstrakt im negativen Sinne, insofern Park das Wesen von Mensch, Sprache, Erkenntnis, Dichtung und Reflexion zu definieren und miteinander ins Verhältnis zu setzen versucht. Mittels Sprache werde eine Erkenntnis möglich, durch die der Mensch Welt nicht nur widerspiegele, sondern mit Sinn versehe und dadurch neu konstruiere. Philosophie und Poesie erscheinen dabei als zwei auf die Pole Abstraktion und Konkretion bezogene Erkenntnisweisen, die einander sowohl ausschließen als auch, da vereinzelt unzureichend, einander bedingen. Sie zu vereinigen sei unmöglich; die vollendete Synthese wäre die Position Gottes, die Park mit dem von ihm in bemerkenswerter Spannung zur analytischen Philosophie offenbar geschätzten Sartre für unmöglich erklärt.

Hier deuten sich mancherlei Gefährdungen an. Zunächst hat ja Dichtung kein Wesen, sondern historisch und kulturell unterschiedliche Funktionen, die auch etwa auf subjektiven Ausdruck und eingreifendes Handeln, auf Geselligkeit wie Normvermittlung zielen können; und jenes Funktionale prägt auch große Bereiche der Philosophie, die tatsächlich nur selten auf reine Erkenntnis zielte. Auch mag man bezweifeln, ob gerade die Gattung Lyrik jenen Totalitätsanspruch einzulösen vermag, den Park der Dichtung wie der Philosophie zuschreibt. Der Essay, der, nur vielleicht wegen der Übersetzung durch Heike Lee, nicht den Ansprüchen an sprachlich-gedankliche Präzision genügt, die an gültiges Philosophieren zu stellen sind, beschließt zum Glück den Band. Man liest deshalb die Gedichte nicht unter dem Aspekt, ob sie dem philosophischen Programm Genüge tun. Dennoch bleibt vielfach der Eindruck, dass Konkretes nur aufgerufen ist, um einem vorab formulierten Gedanken Gestalt zu geben. Wenn "unsre Schreie / die Tränen, das Lachen, / der Schmerz und die Worte" "Zwischen Substanz und Existenz" angesiedelt sind, wirkt das programmatisch schlecht. Wenig originell sind Gedichte vor allem in der zweiten Hälfte des Bandes, die die Vergeblichkeit von Dichtung und Streben thematisieren; gerade weil wohl jeder, der geistig zu schaffen sucht, ein solches Gefühl schon vielmals hatte, wurde es derart oft ins Gedicht gesetzt, dass ein neuer Aspekt, eine erhellende Formel wohl kaum mehr zu finden ist.

Viel überzeugendere Töne entstehen, wenn der Weltreisende auf eigene Erfahrungen zurückgreift. Was Park über den Korea-Krieg und über dann andere Kriege dichtet, wirkt welthaltig; so auch der Konflikt seines Lebensprogrammes mit dem der gleichwohl vielleicht geliebten Mutter, die für den wahrheitssuchenden Sohn sich vor allem eine glückliche Familie vorstellt. "Denken an meine Mutter", so der Titel des Gedichts, bedeutet Denken an die Tränen beim regelmäßigen Abflug und schließlich ein Denken an sie "ohne ein andres Gefühl als Fremdheit". Hier wird ein historischer, nicht allein ein begrifflicher Konflikt sichtbar.

Interessant aus deutscher Sicht dagegen ist Parks Celan-Rezeption. In seinem Vorwort zur deutschen Ausgabe hebt Park die Bedeutung hervor, die Celan für ihn (neben Hölderlin und Trakl) hatte, und gleich drei der Gedichte Parks sind im Titel Celan gewidmet. Doch erscheint ihm, der im Rahmen der eigenen historischen Erfahrung Gutes zu leisten vermag, Celan als Vorbild gerade als jener Dichter der Abstraktion, als der er leider oft missverstanden wurde: "Du schriebst unverständliche Worte. / Du sangst unsinnige Lieder. / Du schriebst Gedichte und Gedichte ganz ohne Sinn", behauptet Park, zwei Verse, bevor er mit der "Todesfuge" jenes Gedicht Celans nennt, dessen historischer Bezug in Deutschland deutlich ist. Daraus ist zu lernen, dass der Völkermord an den Juden in Ostasien keineswegs einen Zivilisationsbruch repräsentiert; dass die avancierteste Lyrik den Ansatz zur verharmlosender Lesart in sich trägt; dass also die Moderne nicht an sich internationales Vorbild sein kann, sondern allenfalls ein Repertoire an Schreibweisen bereitstellt, das mit je aktuellen Konflikten in Bezug zu setzen ist.

Dafür keine Perspektive beim Modernisten Park? Doch, in wenigen Gedichten, und zwar dort, wo Park auf die Form von Lehrsätzen ostasiatischer Meister zurückgreift; der Übersetzer Karl Reinhard Fiebe, seit 1957 im Gespräch mit Park, weist darauf hin. Wo scheinbar das Paradoxe zusammengezwängt und keine Erkenntnis vorformuliert ist, da gewinnt der Leser den Spielraum, der zum Lernen notwendig ist. "Mondo cane" heißt eines dieser Gedichte, die in eine Information oder gar eine Moral nicht aufzulösen sind:

"Maus frißt Reis, / Katz frißt Maus, / Spinne frißt Spinne / nach Begattung. // Hund frißt Knochen, / Schwein frißt Hund, / Mensch frißt Schwein, / Wurm frißt Mensch // Sie ißt Schwein, / Ich ess Huhn, / Leben ist Essen, / Essen ist Tod."

In diesen besten Texten sind das kulturell Besondere: die Denkaufgabe des Lehrers für seinen Schüler, und der universelle Zusammenhang von Leben, Essen und Tod vereint. Wenn überhaupt, so kommt hier das Gedicht der behaupteten Totalität nahe. Ein solcher Glücksfall ist nicht beliebig reproduzierbar; wenigstens einige Male ereignet er sich in den Gedichten Park Ynhuis.

Titelbild

Un Ko: Ein Tag voller Wind. Gedichte.
Übersetzt aus dem Koreanischen von Jong-Dae Lim und Jürgen Abel.
Pendragon Verlag, Bielefeld 2002.
96 Seiten, 12,80 EUR.
ISBN-10: 3929096986

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Titelbild

Kyongnim Shin: Mutter, Grossmutter - Silhouetten. Gedichte.
Übersetzt aus dem Koreanischen von Jinhyung Park und Matthias Augustin.
Edition Peperkorn, Thunum/Ostfriesland 2003.
102 Seiten, 13,00 EUR.
ISBN-10: 3929181525

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Titelbild

Ynhui Park: Zerbrochene Wörter. Gedichte.
Übersetzt aus dem Englischen von Karl Reinhard Friebe.
Abera Verlag, Hamburg 2004.
96 Seiten, 18,95 EUR.
ISBN-10: 3934376576

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