Gefährlich auf der Kante

Hwang Chi-Woos Gedichte "Sündhafte Sehnsucht"

Von Young-Ae ChonRSS-Newsfeed neuer Artikel von Young-Ae Chon

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Hwang Chi-Woo ist einer der beliebtesten zeitgenössischen Lyriker in Korea. Eine Auswahl aus seinem Gedichtband "Einmal werde ich in einer trübseligen Kneipe sitzen" (1998) wurde erfreulicherweise ins Deutsche übersetzt und erschien mit einem neuen Titel. Die Übersetzung wirkt befremdend, gibt Anlass zum Denken und Bedenken, erinnert der neue Titel doch stark an einen Trivialroman: "Sündhafte Sehnsucht" reflektiert über die Sehnsucht nach einem intensiveren Dasein.

Hwang Chi-Woos häufiger und sicherer Gebrauch der Umgangssprache ist ein Merkmal seiner Lyrik und weckt leicht einen gewissen Anschein von Trivialität. Dem verdankt übrigens seine Lyrik bei all ihren existenziellen wie politischen Fragestellungen ihre Popularität. Der Originaltitel ist aber mit seinem Hinweis auf ein Leitmotiv aufschlussreich: die Trübung einschließlich der Trübheit, der Betrübnis, des Trübsinns.

Wir wissen, welch ein Risiko es ist, Gedichte zu übersetzen, zumal in eine völlig anders strukturierte Sprache; aber wir wissen auch, wie viel Respekt dies verdient. Die große Entfernung zwischen den beiden Sprachen Deutsch und Koreanisch wäre eigentlich dadurch zu überbrücken, dass die Übersetzung auf einem tiefen Verständnis des Originaltextes basiert und der Übersetzer den poetischen Text einfühlsam in die Zielsprache übertragen kann. Dies kommt aber nur selten vor. Die reale Lage ist: Die Übersetzungen aus dem Koreanischen ins Deutsche gehen auf persönlichen, teilweise pflichtbewussten Einsatz noch weniger Übersetzer zurück. Um zu veranschaulichen, wie man sich um Kommunikation bemüht und was eben dadurch verloren geht, sei hier ein Gedicht aus unserem Band zitiert, dem ich meine wörtliche Übersetzung zum Vergleich gegenüberstelle:

Buddhistisches Gedankenspiel

Schwarze Blockkäfer in der Sonne!
Blindheit ist eine heilige Krankheit.

Der platte Leib einer Scholle am Boden des Aquariums
Gibt es für sie eine Außenwelt, sieht sie das bepackte Moped Vorbeifahren, wirklich?

Was soll man tun? Erkenntnis
Kommt immer zu spät.
Die grenzenlose Außenwelt, die Grenze, die man wissentlich nicht überschreiten kann;
Ein sich verdunkelnder Tag, während ein schwarzes Rind hinter der Tür blökt.

Meine Übersetzung mit Anmerkungen:

Denken über das Draußen, in Buddhas Haltung,
die Beine übereinandergeschlagen, das Kinn auf die Hand gestützt

[In dieser gelösten Haltung soll Buddha die Erleuchtung gekommen sein; die Haltung steht also für ein Denken ohne Zwang, ohne Anstrengung.]

Schwarze Blockkäfer, oder du "Großes Himmelsrind" in der Sonne,
Blindheit ist eine heilige Krankheit.

Der platte Butt auf dem Boden des Aquariums, auf dem Bauch liegend,
Schaut er nach draußen, wo ein beladenes Fahrrad vorbeifährt, hinaus, wird es gesehen?

Was kann man aber tun. Erkenntnis kommt
Nur zu spät.
Zwar erkannt, doch nicht zum Hinauszutreten ist das Draußen, das Unergründliche
Ein Tag verdunkelt sich, drinnen hinter der Tür weint ein schwarzes Rind.

[Das Rind steht normalerweise für Kraft und Erdverbundenheit, in der buddhistischen Vorstellung aber für das "Ich", das vor allem gesucht und gefunden werden soll. Dies ist häufig auf der Wand eines buddhistischen Tempels in "Zehn Bildern von der Kuh-Suche" dargestellt.]

Wenn man in erster Linie vermitteln will, Anmerkungen also vermeidet, wird gleich zu Beginn die Anspielung auf eine buddhistische Dimension geradezu verdrängt. Bei dem übrig gebliebenen "Gedankenspiel" ist der Vorgang nur schwer nachzuvollziehen. Was im Original wesentlich ins Spiel gebracht ist, nämlich: Schwarze Flecke in der Sonne, in die man schaut, bis man geblendet ist, lässt einen über die Blindheit, die Begrenztheit der Erkenntnis nachdenken und sie akzeptieren. Die schwarzen Flecken der Sonne sind zuerst bildlich als "Käfer" gefasst, die aber im Koreanischen ein Homonym für das "Große" bzw. das "Helden-Himmelsrind" ist. Dieses "Rind" ist dann am Schluss mit dem suchenden Ich identifiziert, dessen Trauer über vergebliche Mühe, über Begrenztheit bzw. Ausweglosigkeit das Adjektiv 'schwarz' nach sich zieht.

Es geht bei Hwang häufig um draußen und drinnen. Dazwischen besteht eine unsichtbare Trennwand, wie ein undurchdringlicher Schleier. Solche Wände, wie auch die Vielschichtigkeit der Welt, bleiben unentwegt im Bewusstsein des Dichters. Reflexionen darüber durchziehen seine Lyrik. Die Welt wird manchmal aus der Krebs-Perspektive angeschaut, als befände man sich mitten im Schlammwasser. Gesucht wird zuerst ein klarer Blick nach draußen, aber der Schleier trübt die Sicht und hindert den Betrachter, selbst bei aller Erkenntnis schließlich den Ausgang zu finden. Die Dinge in der Welt werden oft als Spiegelbilder, die nicht wahr sind, angeschaut. Hier gilt eine buddhistische Vorstellung: die Welt als Schein, die irdische Welt als Schlamm. Dennoch strebt Hwang im Schlamm eine klare Sicht an und träumt von einer Existenz, die der Lotusblume vergleichbar ist, die zwar im Schlamm wurzelt, doch für die Reinheit steht. Nicht zufällig heißt ein früherer Gedichtband des Dichters "Lotosblume im Krebsauge" (1990).

Mit dieser alten Grundidee von der Existenz begegnet der Dichter auch dem Alltag und seiner Misere: Politik und Gesellschaft. Mit der breiten Skala seiner Sprache - vom gehobenen Ton bis zum Jargon und Neologismus - wird der trübselige Alltag erfasst. Er wird zuerst beobachtet, diese Beobachtung wird dann nochmals distanziert betrachtet. Kurz: Die Inszenierungs-, aber auch die Selbststilisierungskunst ist dem Dichter nicht fremd. Das schöne Gedicht "Die Ordnung der Schuhe oder Der Weg der Vergänglichkeit" (Originaltitel: "Der Ort, den man die Schuhe ausgezogen betritt") ist ein Beispiel dafür. Um trotz der Wände und durch sie hindurch die Welt und auch sein potenzielles Publikum zu erreichen, setzt der Dichter verschiedene Mittel ein, die die Inszenierung eines Gedichtes ("Tagebuch über ein fettes Sofa", 1994) und die Ausstellung der Plastik aus Lehm ("Das Meer, das sich verdunkelnd glänzt", 1995) einschließen.

Andere Gedichtbände des Dichters heißen "Auch die Vögel verlassen die Welt" (1983) und "Vom Winterbaum zum Frühlingsbaum" (1985). Wie in unserem Band, ist auch dort die Vorstellung erhalten, dass sogar inmitten der problematischen Welt eine gesteigerte Existenz möglich ist.

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Chi-Woo Hwang: Sündhafte Sehnsucht. Ausgewählte Gedichte.
Übersetzt aus dem Koreanischen von Miy-He Kim und Sylvia Bräsel.
Abera Verlag, Hamburg 2003.
96 Seiten, 18,95 EUR.
ISBN-10: 3934376452

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