Trügerische Reden

Ein Blick in die geheime Welt der weiblichen Lüge

Von Mechthilde VahsenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Mechthilde Vahsen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ljudmila Ulitzkaja, russische Erzählerin ersten Ranges, ist dem deutschsprachigen Publikum seit Jahren bekannt. Mit Romanen wie "Medea und ihre Kinder", "Ein fröhliches Begräbnis" oder "Reise in den siebenten Himmel" erschrieb sie sich eine breite Fangemeinde. Ihr Markenzeichen: ein schlichter Stil, der gekonnt Weisheiten in Szene setzt, überschaubare Handlungen und immer wieder skurrile Figuren, bunt, schillernd, vielfältig, alltäglich und berührend. So werden unterhaltsame Geschichten erzählt, die aus dem "wahren Leben" zu kommen scheinen.

Der Band "Die Lügen der Frauen" liest sich gewohnt gut und steht als weiteres Beispiel für die Fähigkeit der Autorin, Schlichtheit und Poesie zusammen zu bringen.

Diesmal ist es die Figur der Shenja, der die Episoden zugeordnet sind. Mal im Ferienort, mal in Moskau, mal in Zürich trifft sie auf Frauen, die von ihrem Leben berichten, Dramen und Schicksalsschläge gibt es dabei reichlich, so dass Shenja vor Empathie fast zergeht, aber: Es ist alles erfunden, wie durch Zufälle herauskommt.

Die Lügen der Frauen sind Ausdruck der Suche nach einer Erklärung für die verhasste eigene Lage, sie würzen abendliches Beisammensein oder befriedigen klischeegetränkte Neugier. Die Begegnungen führen ob dieser groben Misshandlung der Zuhörerin Shenja dann auch in Sackgassen. Erst in der letzten Geschichte - die Hauptfigur erleidet einen tragischen Unfall und sitzt im Rollstuhl - holt die Beschuldigung einer Freundin Shenja aus ihrer Resignation. Deren Vorwurf, sie habe bisher nur Lügen erzählt, wenn sie davon gesprochen habe, dass man sich Mühe geben muss und den Mut nicht verlieren darf, bringt die innere Wende: Shenja wendet sich wieder dem Leben zu, wie sie es bisher stets getan hat.

Die einzelnen Erzählungen stehen etwas unvermittelt nebeneinander, ein übergeordnetes Bild ergibt sich nicht, man könnte sie fast als Episoden oder Facetten eines Themas bezeichnen, von denen einige den Leser/die Leserin zuweilen irritiert stehen lassen. Trotzdem lesenswert, Ulitzkaja eben. Und eine sehr gute Übersetzung.

Titelbild

Ljudmila Ulitzkaja: Die Lügen der Frauen.
Übersetzt aus dem Russischen von Ganna-Maria Braungardt.
Carl Hanser Verlag, München 2003.
165 Seiten, 16,90 EUR.
ISBN-10: 3446203605

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