Die Ordnungen der Medientheorien

Eine Einführung in die Einführungsliteratur

Von Sven GramppRSS-Newsfeed neuer Artikel von Sven Grampp und Jörg SeifertRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jörg Seifert

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Es scheint an der Zeit, das immer größer gewordene und mittlerweile kaum noch übersichtliche Feld programmatisch-theoretischer Beiträge zum Bereich Medien zu sichern und zu ordnen." Mit diesem Satz eröffnet Werner Faulstich seinen bereits 1991 veröffentlichten Einführungsband "Medientheorien". Gut eine Dekade später ist das medientheoretische Feld mit Sicherheit noch weit größer und unübersichtlicher als Anfang der 1990er-Jahre. Doch inzwischen gibt es eine Vielzahl an Autoren und Verlagen, die ähnlich wie Faulstich die Zeit gekommen sehen, Ordnung in dieses Feld zu bringen. In den letzten Jahren sind in dicht gedrängter Folge medientheoretische Quellentextsammlungen und Einführungen veröffentlicht worden (ganz zu schweigen von medienwissenschaftlichen Einführungen generell). Allein vom Verlagskollektiv UTB wurden seit 2000 drei medientheoretische Einführungsbände herausgebracht bzw. neu aufgelegt. Die inflationäre Veröffentlichung von Einführungen und Überblicksdarstellungen resultiert wohl nicht zuletzt aus der wissenschaftstheoretischen Problematik, dass sich die Medienwissenschaft offenbar noch immer weitgehend uneinig über ihren Gegenstand und ihre zentralen disziplinären Anbindungen und Methoden ist. Zudem entstehen die Einführungen wohl auch aus dem ganz praktischen Problem der Unmengen medienwissenschaftlicher Studenten, die darüber informiert und orientiert werden sollen (wollen?), was sie da eigentlich studieren. Ganz zu schweigen davon, dass es bei der Bereitstellung dieser Art von Orientierungswissen wohl auch um die Besetzung eines prestigeträchtigen, wissenschaftspolitisch relevanten und ökonomisch rentablen Feldes geht.

Je nach Ordnungs- und Selektionsprinzip zeichnen die Einführungen zuweilen sehr unterschiedliche und selektive Bilder. So erwähnt Werner Faulstich, der explizit die wichtigsten medientheoretischen Richtungen darzustellen sucht, mit keinem Wort die für andere Einführungsbände zentralen medientheoretischen Positionen V. Flussers oder F. A. Kittlers. Geschuldet ist dies freilich Faulstichs Bestreben, seiner Meinung nach falsche wissenschaftliche Auswüchse abzuwehren. Dieser normative Zug wird in seiner späteren, allgemeinen "Einführung in die Medienwissenschaft" deutlicher ausgeführt. Dort spricht er in Bezug auf Texte von Flusser oder Kittler von Pseudo-Medientheorien, die "vielfach gigantische Luftblasen [...], irrationale Konzepte, bestenfalls philosophische Visionen oder literarische Entwürfe" darstellten, jedoch in keiner Weise wissenschaftstheoretischen Standards entsprächen. Ob dieses Verdikt zutrifft, sei dahingestellt; abzulesen an diesem kurzen Verweis ist auf jeden Fall, dass die medientheoretische Zone eine umkämpfte ist. Überdies wird hierbei die diskursanalytische Hypothese bestätigt, dass die ordnende Beschreibung ihr Objekt zurichtet und anderes - sei es nun auf Grund machtstrategischer Interessen oder nicht - konstitutiv ausschließt bzw. verdrängt.

Die 'Ordnungen' der Medientheorie(n), die in den jeweiligen Einführungen entworfen werden, sind, wie bereits angeführt, sehr unterschiedlich, teilweise sogar untereinander inkompatibel. Es dürfte nicht uninteressant sein zu untersuchen, welche Arten von Ordnungen sich dabei abzeichnen und welche Ähnlichkeiten und Differenzen sich hieraus ergeben. Zudem scheint es uns, mit Faulstich gesprochen, nunmehr an der Zeit, das größer gewordene Feld der medientheoretischen Einführungen selbst zu ordnen (freilich immer eingedenk der Tatsache, dass auch wir unsere Objekte diskursiv zurichten). Der naiven Leitmaxime verpflichtet 'Was drauf steht, ist auch drin', haben wir ausschließlich Einführungsbücher in die Medientheorie(n) untersucht, die ihren Einführungs- und Überblickscharakter schon im Titel bzw. auf dem Einband anzeigen. Um sowohl ein Mindestmaß an Transparenz und Vergleichbarkeit zu gewährleisten als auch eine differenzierte Analyse zu ermöglichen, wurde jeder Einführungsband nach den folgenden Aspekten untersucht:

- Funktion: Zunächst fragen wir nach den Zielen der Verfasser und der ihren Bänden explizit zugewiesenen Funktion (beispielsweise Ordnungs-/Orientierungsfunktion oder auch Einübung kritischen Denkens).

- Selektion: Daraus ergibt sich unmittelbar die Frage danach, welche Theorien die Autoren in ihre Bände aufgenommen, welche sie ausgeschlossen und nach welchen Kriterien sie diese geordnet haben (etwa nach Schulen oder Autoren).

- Gegenstandskonstitution: Dieses Kriterium zielt auf die wissenschaftstheoretisch interessante Frage nach dem Objektbereich der Medientheorie: Konstituieren die einzelnen Medientheorien je einen anderen Gegenstand oder ist - zumindest in Umrissen - ein allen gemeinsamer Objektbereich erkennbar? Dies impliziert wiederum die grundsätzliche Frage nach dem Medienbegriff.

- Eng damit verbunden ist die Frage der Vernetzung der einzelnen Kapitel der jeweiligen Publikationen: Ist ein strukturales oder genealogisches Konzept erkennbar oder werden additiv Theorien aneinander gereiht etc.?

- Beurteilung: Werden die Medientheorien vorrangig kritisch oder affirmativ beschrieben, normativ oder deskriptiv? Wie werden die zukünftigen Erfolgschancen von Medientheorie beurteilt? Wie sollte eine 'gute' Medientheorie aussehen?

- Wissenschaftshistorische Verortung: Hierbei geht es darum, wie die Medientheorien in die allgemeine wissenschaftliche Entwicklung integriert, ob sie als Teil eines kontinuierlichen Ausdifferenzierungsprozesses verstanden werden oder als Auftakt eines generellen Paradigmenwechsels (Stichwort medial turn). Daran anknüpfend schienen die Fragen der disziplinären Anbindung, Herkunft oder Nähe sowie nach den Auswirkungen relevant, die die Medientheorien aus der Sicht der Autoren möglicherweise auf die jeweiligen geistes-, kultur- und sozialwissenschaftlichen Disziplinen bzw. den gesamten traditionellen Fächerkanon haben.

- Relation zu gesellschaftlichen Prozessen: Schließlich stellen wir die Frage, ob - und wenn ja, wie - in den Einführungen das Verhältnis von medientheoretischen Bestrebungen und generellen gesellschaftlichen Entwicklungen verstanden wird: Ist Medientheorie eine Folge von neueren medientechnischen Umwälzungen oder von rein subjektivem Interesse, oder ist sie schlicht Folge der Ausdifferenzierung des wissenschaftlichen Systems?

Werner Faulstich: "Medientheorien. Einführung und Überblick" und Daniela Kloock / Angela Spahr: "Medientheorien. Eine Einführung"

Faulstich will mit seiner 1991 erschienenen Einführung nicht nur die seines Erachtens wichtigsten Medientheorien vorstellen, sondern bietet darüber hinaus auch ein Systematisierungsraster an. Er ordnet die unterschiedlichen Theorieentwürfe nach vier Typen: (1) Einzelmedientheorien (bei denen er aber nur die Film- und Radiotheorie 'exemplarisch' vorstellt, darunter auch im eigentlichen Sinne nicht vollständig systematisch ausbuchstabierte Entwürfe, wie den von B. Brecht, aber auch umfassendere theoretische Entwürfe etwa von R. Arnheim oder Ch. Metz), (2) kommunikationstheoretische Medientheorien (Theorien, die aus der Kommunikationswissenschaft und Publizistik stammen, etwa die Theorie von G. Maletzke), (3) gesellschaftskritische Medientheorien (hierunter fallen Entwürfe von M. Horkheimer und Th. W. Adorno oder auch von H. M. Enzensberger) und (4) systemtheoretische Medientheorien (T. Parsons, N. Luhmann, S. J. Schmidt). Auf gerade mal zwei der knapp 200 Seiten erwähnt Faulstich mit H. M. McLuhan einen der Ansätze, die man heute - und sicherlich wohl auch schon in den 1990ern - zuallererst mit dem Begriff Medientheorien in Verbindung bringen würde. Verweist Faulstich selbst darauf, sich am "herrschenden wissenschaftlichen Diskurs" zu orientieren, so lässt sich daraus wohl schließen, dass er diese Art von Medientheorien nicht als wissenschaftlich ernst zu nehmende Entwürfe akzeptiert (siehe hierzu auch die Kritik Faulstichs in seiner "Einführung in die Medienwissenschaft" von 2002).

Die sechs Jahre später erschienene Einführung von Kloock und Spahr liest sich in dieser Hinsicht geradezu als Gegenentwurf zum medientheoretischen Kanon Faulstichs. Mit Walter Benjamin haben die Bände lediglich einen Theoretiker gemeinsam, auf den sie - freilich mit gänzlich unterschiedlichen Interpretationen - beide näher eingehen. Sonst behandelt die Einführung von Kloock/Spahr mit H. M. McLuhan, V. Flusser, N. Postman, P. Virilio und F. A. Kittler vorrangig Autoren, auf die Faulstich - abgesehen von der kurzen Erwähnung McLuhans - dagegen vollständig verzichtet. Dargestellt werden die Theorien der einzelnen Autoren additiv und ohne Differenzierung nach Typen. Kriterien für die Aufnahme waren, laut Kloock/Spahr, dass die 'Medien' selbst und nicht etwa die Inhalte im Mittelpunkt der Theorien stehen und dass sie ferner "als konstitutive Faktoren von Kultur" angesehen werden. Erstmals werde "eine Zusammenstellung von Ansätzen unternommen, deren Gemeinsamkeit am ehesten die Bezeichnung 'kulturwissenschaftliche' Medientheorien treffen könnte." Ausgeschlossen wird hierbei das gesamte Spektrum der Theorietypen Faulstichs (ohne diesen im Übrigen auch nur zu erwähnen). Die Einzelmedientheorien werden ausgeschlossen, weil sie keine umfassende Medientheorie entwickelten, publizistische und kommunikationswissenschaftliche Theorien, weil diese vor allem auf die Medieninhalte und -wirkungen achteten und vorrangig die Medien als neutrale Übermittlungsinstanzen betrachteten. Der Entwurf von Horkheimer/Adorno (und damit die gesamten gesellschaftskritischen Theorien) sowie Luhmanns Theorie (also die Systemtheorie) werden ausgeschlossen, weil deren Grundkategorie nicht die Medien seien, sondern im ersten Fall die Ökonomie und im zweiten die Gesellschaft. In dem sehr kurz gehaltenen Einleitungskapitel von Kloock/Spahr werden die Selektionskriterien leider nur angerissen und nicht weiter präzisiert.

Steht bei Kloock/Spahr ansonsten die Darstellung einzelner Autoren im Vordergrund, versucht Faulstich neben der Beschreibung der einzelnen Theorieentwürfe immer auch übergreifende Prinzipien und Logiken zu eruieren, nach denen die unterschiedlichen Theorietypen funktionieren. Darüber hinaus macht er eine strukturelle und genealogische Prozesslogik von den Einzelmedientheorien zu den systemtheoretischen Medientheorien aus, auf die noch näher einzugehen sein wird, und erstellt somit einen integrierenden Rahmen für seine Einführung. Bei Kloock/Spahr hingegen gibt es weder strukturelle noch genealogische Vernetzungen, allenfalls eine chronologische Reihung von W. Benjamin zu F. A. Kittler lässt sich feststellen. Vielleicht resultiert diese lose Verknüpfung auch aus dem Sammelband-Charakter des Buches, das allerdings nicht als solcher gehandelt wird, obwohl neben Kloock und Spahr selbst auch B. Rossner und A. Kümmel einzelne Kapitel verfasst haben.

Sowohl Faulstich als auch Kloock/Spahr wollen mit ihren Einführungen Überblick und Orientierung über gängige Medientheorien bieten. Wo Kloock/Spahr jedoch zurückhaltend formulieren - sie möchten lediglich "den Einstieg ins Thema erleichtern" - will Faulstich auch "Zusammenhänge neu herstellen" und den wissenschaftlichen Diskurs vorantreiben: "Neben dem Korrigieren und dem Tradieren war die Hoffnung auf Innovation sicherlich das ausschlaggebende Motiv." Darüber hinaus glaubt er, dass Medientheorien direkte "Handlungsanweisungen [...] für die kritische Reflexion und produktive Weiterentwicklung heutiger Medienentwicklungen" geben können - womit (auch) die praktische Relevanz und Wirkkraft medientheoretischer Überlegungen für Faulstich außer Frage steht. Gerade deshalb aber müsse eine "kritische Reflexion und Beurteilung" der gängigen Medientheorien stattfinden, um den wissenschaftlichen Diskurs und dessen Handlungsanweisungen zu verbessern, was Faulstich mit seiner Einführung zu leisten hofft. Kloock/Spahr verfolgen dagegen nicht primär wissenschaftskritische Ziele. Allein die Konfrontation unterschiedlicher Theorien soll zur Verdeutlichung offener methodologischer und inhaltlicher Fragen beitragen.

Folgt man Faulstichs Rekonstruktion des medientheoretischen Feldes, so zeichnet sich eine Prozesslogik ab, bei der der Gegenstand der Medientheorien immer weiter ausgedehnt wird und von einem eher technischen Verständnis des Objektbereiches zu einem eher funktionalen voranschreitet. Bilde etwa bei den Einzelmedientheorien die spezifische Materialität das Medium und konstituiere bei den kommunikationstheoretischen Medientheorien der technische Träger den Gegenstandsbereich, hat er sich in der Systemtheorie bis hin zu symbolisch generalisierten Medien wie Geld oder Liebe erweitert. Mit dem an Luhmanns Systemtheorie geschulten Konstruktivismus S. J. Schmidts, so Faulstich, sei nun eine funktionale Theorie entwickelt, die es vermöge, auch technische Elemente zu integrieren. Bei Schmidt werde das sich im Laufe des 20. Jahrhunderts etablierende "Mediensystem als soziales System" verstanden und zu einem konstitutiven, ja dem entscheidenden Faktor gesellschaftlicher Wirklichkeit erkoren. Dabei werden Medien weder nur als neutraler Mittler von Inhalten verstanden (wie in den kommunikationstheoretischen Ansätzen), noch als Mittel der repressiven Manipulation (wie in den gesellschaftskritischen). Zudem ermögliche die Theorie Schmidts einen umfassenden Blick auf die technischen Medien (im Gegensatz zu den Einzelmedientheorien). Folgerichtig benennt Faulstich Schmidts Konzeption als den aussichtsreichsten Kandidaten für eine angemessene Medientheorie.

Kloock/Spahr wiederum verweisen zwar auf die nicht einheitliche Verwendung des Medienbegriffs, verstehen aber dennoch "technische Artefakte", die "Strukturen der Weltwahrnehmung präformieren", als gemeinsamen Nenner der vorgestellten Theorien. So lassen sich - natürlich unter der Gefahr der Vereinfachung - die Medientheorien, die Faulstich und Kloock/Spahr behandeln, in die Dichotomie funktional vs. technizistisch einpassen. Während sich Kloock/Spahr auf Theorien berufen, die Medien als technische (Kommunikations-)Mittel in den Vordergrund rücken, da sie von deren präformierender, wenn nicht gar determinierender Wirkung auf alle anderen gesellschaftlichen Teilpraktiken ausgehen, beschreibt Faulstich primär funktionale Medientheorien, die technische Mittel in einen funktionalen und sozialen Kontext stellen. Dabei werden technische Ausformungen, Eigenheiten und Entwicklungen nicht als vorgängige Prozesse verstanden, sondern in den Verlauf kultureller Entwicklungen und Praktiken eingepasst - etwa in den Kontext des ökonomischen oder evolutionären Prozesses funktionaler Differenzierung. Kurz gesagt: Tendieren die von Kloock/Spahr vorgestellten Theorien eher zu einem Technikdeterminismus, so neigen die von Faulstich vorgestellten eher zu einer Technikvergessenheit.

Wie bereits erwähnt, sieht Faulstich die aussichtsreichsten Kandidaten für eine angemessene Medientheorie im Feld der Systemtheorie und dort vor allem in der Theorie S. J. Schmidts. (Es entbehrt allerdings nicht der Ironie - dies sei nur am Rande bemerkt -, dass Faulstich elf Jahre später auch diese vermeintlich 'zukunftsträchtigste' Medientheorie unter die wissenschaftstheoretisch inakzeptablen "Pseudo-Medientheorien" subsumieren wird.) Mit den anderen Theorietypen geht Faulstich dagegen bereits 1991 hart ins Gericht. Die Zeit der Einzelmedientheorien sei abgelaufen, weil sie nicht in der Lage seien, Gesetzesaussagen zu generieren. Die kommunikationstheoretischen Ansätze wiederum verständen die Medien nur als neutrale Träger und würden so im Grunde zu keiner angemessenen Beschreibung der Eigengesetzlichkeit medialer Anordnungen führen können. Sie seien, wie auch die gesellschaftskritischen Medientheorien, die wiederum nur eine kritische aber letztlich unwissenschaftliche Reaktion auf die affirmativen und empirisch ausgerichteten kommunikationstheoretischen Tendenzen gewesen seien, nur "zeitlich begrenzte Zwischenspiele" gewesen. Kloock/Spahr gehen mit den von ihnen ausgewählten Theorien weniger streng um. Vielmehr beurteilen sie diese fast durchgängig positiv und werben um Verständnis für zunächst krude oder unverständlich Erscheinendes. Zwar plädieren sie nicht für eine universale Medientheorie, die als eine Art Metatheorie die traditionellen geistes- und kulturwissenschaftlichen Disziplinen überragen und lenken soll, trotzdem sind sie bestrebt, auf Grundlage der vorgestellten Theorien "die Arbeit an einer zukünftigen kulturwissenschaftlichen Medientheorie, die unterschiedlichen Fächern Anschlussstellen" bietet, voranzutreiben. Im Umkehrschluss lässt sich vermuten, dass Kloock/Spahr die nicht behandelten bzw. explizit ausgeschlossenen Theorien kommunikationswissenschaftlicher und gesellschaftskritischer Provenienz sowie systemtheoretische Entwürfe als nicht geeignet dafür erachten.

Bei Faulstich entwickeln sich die Medientheorien aus unterschiedlichen disziplinären Zusammenhängen. Gerade die kommunikationstheoretischen und systemtheoretischen Entwürfe entstammen dabei vorrangig aus sozialwissenschaftlichen Fächern, die sich allmählich mit Fragen der Medien beschäftigen. Faulstich erweckt hierbei den Eindruck einer kontinuierlichen Ausdifferenzierung der Forschungslandschaft. Dagegen verstehen Kloock/Spahr die von ihnen vorgestellten Theorien eher als zäsurale Eingriffe in traditionelle geistes- und kulturwissenschaftliche Beschäftigungsfelder, hervorgebracht von einzelnen Autoren, die sowohl die traditionelle geisteswissenschaftliche Methode als auch die sozialwissenschaftliche kritisieren und nach den technologischen Grundlagen der Wahrnehmung und der Kultur fragen. Während noch in den 1970er-Jahren politische Fragestellungen bei der Beschäftigung mit Medien im Vordergrund gestanden hätten und die Beschäftigung vor allem im sozialwissenschaftlichen Milieu stattgefunden habe, seien inzwischen auch die Kultur- und Geisteswissenschaften auf dieses Thema aufmerksam geworden. Seither werden die Geistes- und Kulturwissenschaften durch die Medientheorien über ihre Technikvergessenheit 'informiert'. Demgemäß soll die von Kloock/Spahr geforderte "kulturwissenschaftliche Medientheorie" zwar Anschlussstellen an unterschiedliche Fächer bieten, aber diese eben auch auf mediale Fragen hin umstrukturieren.

Auf die Frage, warum sich überhaupt so etwas wie Medientheorie etabliert, erhält man bei Kloock/Spahr konsequenterweise die Antwort, dass die medientheoretischen Entwürfe Reaktionen auf die "wachsende Bedeutung von Medientechnologien in allen Teilen der Gesellschaft" darstellen. Vor allem seit sich gesellschaftliche Kommunikation und Organisation im "Modus des Digitalen" befänden, werde die mediale Präfiguration der Gesellschaft zunehmend evident und erklärungsbedürftig. Faulstich sieht dies ähnlich, setzt nur etwas früher an. Durch die evolutionäre Ausdifferenzierung eines eigenständigen Mediensystems spätestens im 20. Jahrhundert und durch den zunehmenden Einfluss der Medien auf unsere Weltwahrnehmung sei Medientheorie notwendig geworden, nicht zuletzt, wie Faulstich enthusiastisch und zugleich vage formuliert, um koordinierend für das produktive und kreative Handeln der Mitglieder solch einer 'Mediengesellschaft' zu operieren. Da sich aber schon zweimal zuvor in der Geschichte analog ein "totaler Umschlag" der Kommunikation ergeben habe, nämlich mit der Einführung der Sprache und später der Schrift, plädiert Faulstich für einen Perspektivenwechsel in der Medientheorie - neben die Theoriebildung im Hinblick auf die gegenwärtige Mediengesellschaft müsse eine mediengeschichtliche Betrachtung treten: "Medientheorie muß sich hier nur stärker als Mediengeschichte begreifen." Faulstich peilt also nichts Geringeres an als ein Projekt, das technische Aspekte des Medialen mit funktionalen verknüpft und überdies die historische Dimension mit einbezieht. Mehr als solch ein Anpeilen gibt uns Faulstich in seiner Einführung nicht mit auf den Weg. Seit 1997 läuft indes sein Projekt, Universalgeschichte als Mediengeschichte (neu) zu schreiben. Dieses Mammutprojekt ist auf zehn (!) Bände angelegt, womit er womöglich dem in seiner medientheoretischen Einführung formulierten Anspruch nachkommen will.

Die Einführungen von Faulstich und Kloock/Spahr wirken sehr gegenläufig in ihren Grundtendenzen. Sie blenden jedoch beide - und das ist die Gemeinsamkeit - jeweils einen Großteil dessen aus, was als Medientheorie firmiert, und zwar genau die Theorien, die jeweils die andere Einführung behandelt. Das ist wohl ihren unterschiedlichen Interessen geschuldet, beweist aber auch eindrücklich das bereits erwähnte Ringen um Definitionsmacht innerhalb der medientheoretischen Zone.

Rainer Leschke: "Einführung in die Medientheorie" und Stefan Weber (Hg.): "Theorien der Medien. Von der Kulturkritik bis zum Konstruktivismus"

Auch in den Folgejahren konnte sich noch kein allgemein verbindlicher Kanon der Medientheorie(n) herausbilden. Deutlich wird dies u. a. an zwei weiteren, 2003 veröffentlichten Einführungen: einer Monographie von Rainer Leschke und einem von Stefan Weber herausgegebenen Sammelband. Einige Argumente, wie z. B. das nahezu gleichzeitige Erscheinen oder die Herausarbeitung eines jeweils eigenständigen Ordnungsmodells sprechen dafür, die beiden Bände vergleichend gegenüberzustellen, und Webers Anmerkung, dass Leschkes und die von ihm selbst herausgegebene Publikation "ähnlich breit angelegt" seien, scheint dieses Vorhaben geradezu herauszufordern.

Dabei verwundert nicht, dass auch zwischen diesen Einführungen die Unterschiede überwiegen, zumal die Bände bereits in Konzeption und Anspruch maßgeblich divergieren. Webers Band ist als Lehr- und Studienbuch inklusive zahlreicher Übungsfragen angelegt, das auch als Nachschlagewerk Verwendung finden soll. Versucht Weber, "in die Breite theoretischen Denkens im medienkulturwissenschaftlichen Bereich einzuführen" und "die Vielfalt der theoretischen Stränge 'im großen Bogen'" darzustellen, so ist es Leschkes dezidiertes Anliegen, "vor allem anderen Problembewusstsein und kritische Kompetenz" zu fördern. Leschke ist bestrebt, ein strukturelles Ordnungsmodell zu entwerfen, in das - wie schon bei Faulstich - die Geschichte der Disziplin einbezogen wird. Zugleich möchte er zeigen, "wie Theorien mit ihrem Gegenstand umgehen [und] wie mit Theorien umgegangen werden kann", um schließlich auch "ein wenig in jene theoretische Trickkiste einzuweihen, mit der Theorien nun einmal operieren".

Webers Band mag - die Verkaufszahlen scheinen dies zu bestätigen - dem Anspruch an ein Nachschlagewerk, bei dem die einzelnen Kapitel unabhängig voneinander problemlos gelesen werden können, durchaus gerecht werden. Hierzu trägt sicher die vom Herausgeber vorgegebene gleiche Binnenstruktur eines jeden Kapitels bei - jeweils eine kurze Geschichte, die Grundbegriffe, Konzepte und Modelle, theoretische und empirische Anwendungen sowie Kritik und Weiterentwicklung der einzelnen Theorien. Webers Band entspricht somit auch eher als Leschkes Publikation den Erwartungen an eine klassische Einführung, die dem mit der Materie weniger vertrauten Leser wichtige Positionen gut gegliedert und in überschaubarem Umfang vermittelt. Dagegen gestaltet sich der Gesamtüberblick hier doch eher problematisch, worüber auch Webers explizite Bejahung des "Theorien-Pluralismus [...], mit allen logischen Konsequenzen für empirische und praktische Arbeit", die man auch als präventive Flucht nach vorn interpretieren könnte, nicht hinwegtäuschen kann. Eine der "logischen Konsequenzen" dieser Haltung für Webers Publikation selbst scheint die additive Aneinanderreihung der verschiedenen Theoriestränge in Gestalt der einzelnen Kapitel zu sein, die sich teilweise auch innerhalb dieser fortsetzt. Leschke dagegen wehrt sich in seinem Band entschieden gegen ein solch additives "und dann", weil es - so Leschke - "weder einen Erkenntniseffekt [erzeuge] noch [...] über einen Erklärungsanspruch" verfüge.

Deutlich wird dieser Aspekt besonders bei den postmodernen Medienontologien: Vermag Leschke sehr überzeugend das mit dem "Imperativ der Einfachheit" einhergehende "Ausufern" der "verselbstständigten Medienontologien" zu Universalontologien zu entlarven, so scheint der Strang der postmodernen Medientheorien bei Weber dagegen nur ein gleichberechtigter unter vielen anderen zu sein. Daher gelingt es Weber mit seinem Band auch nicht so deutlich wie Leschke, das Spezifische der postmodernen Medienontologien herauszuarbeiten: Trotz der Inkonsequenz eines "vehementen Affronts" gegen die Geisteswissenschaften in deren eigenem Schoß - Leschke kennzeichnet eine dergestaltige Medientheorie mit einem Seitenhieb auf Kittler und Virilio als "Aufhebung der Literaturwissenschaft mit anderen Mitteln" - haben die postmodernen Ontologien erstmals einen Gegenstand der Medienwissenschaften geschaffen. Sieht also Leschke am ehesten die "Generellen Medienontologien" als eigenständige Theorien einer sich etablierenden Medienwissenschaft an, so schließt Weber gerade die genuinen Fachtheorien der Medien- und Kommunikationswissenschaft aufgrund ihrer begrenzten Reichweite aus seinen Betrachtungen aus. Allerdings versteht er unter genuinen Fachtheorien nicht etwa die Positionen von Virilio, Kittler & Co., sondern primär empirisch-quantitative "Wirkungs- und Nutzungstheorien".

An diesem Beispiel zeigt sich, dass Leschke und Weber offensichtlich nicht nur unterschiedliche Auffassungen vom Gegenstand der Medientheorien, sondern bereits von der Definition der Medienwissenschaft bzw. -wissenschaften selbst haben. Weber spricht von den Disziplinen der Medienwissenschaft, wobei er weder Erstere noch Letztere näher benennt, implizit aber mehrfach die Publizistik-, Medien- und Kommunikationswissenschaft als Einheit begreift. Dagegen erachtet der Literaturwissenschaftler und Philosoph Rainer Leschke hier durchaus eine Differenzierung für erforderlich: Medien- und Kommunikationswissenschaften versteht er als Konkurrenzdisziplinen, in deren Verhältnis zueinander er eine Verschiebung der Gewichte konstatiert, die Weber - der selbst Publizistik- und Kommunikationswissenschaften studiert hat - nicht thematisiert: Bezeichnete die Medienanalyse entsprechend der Laswell-Formel von 1948 einen Teilbereich der Kommunikationswissenschaften, so stellt nach Leschke mittlerweile die Massenkommunikationsforschung einen Teilbereich der Medientheorie dar.

Diese unterschiedlichen Positionen verdeutlichen die schon eingangs geschilderte Tatsache, dass auch 2003 der Kampf um die Definitionsmacht der Gegenstände und Disziplin(en) der Medienwissenschaft(en) noch nicht abgeschlossen ist. Somit sind Leschke und Weber selbst Teil des Prozesses, den Ersterer einschließlich seiner konstitutiven Regeln zu reflektieren versucht. Dass sich Leschkes Band primär auf einer Meta-Ebene bewegt, darauf hat - neben dem Autor selbst - auch bereits Oliver Pfohlmann in seiner Sammelrezension der Februarausgabe 2004 von literaturkritik.de hingewiesen (vgl. literaturkritik.de 02/2004). Pfohlmann sieht in Leschkes Band offensichtlich das Potential zu einem wissenschaftstheoretischen Klassiker wie etwa Thomas S. Kuhns "Struktur wissenschaftlicher Revolutionen". Zu dieser Einschätzung trägt sicher auch die bemerkenswert kohärente und bis auf wenige Ausnahmen in sich schlüssig wirkende Darstellung von Zusammenhängen und Hintergründen einer evolutionären Theoriebildung bei. Dass Webers Band dies nicht leistet, kann man allerdings kaum dem Herausgeber zum Vorwurf machen, liegt dies doch zu nicht unwesentlichen Teilen in der Natur von Sammelbänden begründet.

Betrachten wir aber einmal etwas detaillierter die beiden Ordnungsmodelle, die Leschke und Weber entwerfen: Ist es bei Leschke die Kategorie der Zeit, die als grundsätzliches strukturierendes Moment auf das Konvolut von Medientheorien einwirkt, so positioniert Weber die ausgewählten Theoriestränge in einem dreidimensionalen Theorien-Raum, den er über die drei Achsen Techno-Optimismus/-Pessimismus, Abstraktionsgrad/Komplexität und Einzelmedien/viele Medien aufspannt. Im ersten Fall haben wir es also mit einem evolutionären Phasenmodell, im zweiten mit einem Beispiel expliziten Komparatismus zu tun.

Leschke zeichnet einen Ausdifferenzierungsprozess auf mehreren Ebenen. Während dieser auf der Objektebene als Übergang von der Betrachtung eines Einzelmediums zum Mediensystem dargestellt wird, beschreibt Leschke auf der "Protagonistenebene" einen Wechsel unterschiedlicher Personen- und Interessensgruppen, die sich im Verlaufe der Geschichte eines Mediums mit diesem auseinander setzen. Auf der Theorieebene schließlich kann Leschke unterschiedliche Typen und -kategorien in sein Modell mit den Phasen: "primäre Intermedialität", "Einzelmedienontologien", "generelle Medientheorien", "generelle Medienontologien" und "sekundäre Intermedialität" integrieren, das wiederum Oliver Pfohlmann in seiner Sammelrezension ausführlich beschrieben hat.

Grundsätzlich geht es anfangs um die Definitionsmacht über ein neues Medium. Später werden Medien als Gegenstand und mögliche Applikation allgemeinerer Theorien, die Leschke generelle Theorien nennt, wahrgenommen. Diese, bei Weber als Basistheorien bezeichnet, sind für Leschke nur von begrenztem Interesse, dagegen stellen sie den alleinigen Gegenstand von Webers Betrachtung dar. Das schränkt freilich die Vergleichbarkeit beider Bände ein, wenngleich Claus Pias und Frank Hartmann in ihren Kapiteln "Poststrukturalistische Medientheorien" und "Medienphilosophische Theorien" in Webers Band auch medienontologische Positionen verhandeln. Diese sieht Leschke klar in der Tradition der Geistes- und Literaturwissenschaften, die nach einer beständigen Erweiterung ihres Objektbereichs - im konkreten Fall auf technische Artefakte - streben. Er konstatiert einen "weitgehend ungetrübte[n] hermeneutische[n] Theorieduktus", der seit McLuhan in den Medienontologien praktiziert werde.

Webers Ordnung präsentiert sich im Gegensatz zu der Leschkes nicht als historische Entwicklung, sondern in Gestalt einer Momentaufnahme, wobei die Breite der diskutierten Ansätze - wie schon erwähnt - einen Gesamtüberblick erschwert und die additive Struktur trotz einiger Verweise der Einzeltexte aufeinander kaum Zusammenhänge erkennen lässt. Problematisch ist bereits die graphische Darstellung des Theorien-Raums in einem Koordinatensystem, die auf Einsteiger eher verwirrend wirken muss, lässt sich doch kaum unterscheiden, ob eine bestimmte Theorie nun besonders weit rechts/links auf der x-Achse oder besonders weit hinten/vorn auf der z-Achse positioniert wurde.

Über die Motivation, diesen Raum zu entwerfen, lässt sich nur spekulieren. Weber stellt seinem Koordinatensystem eine kurze Darstellung von insgesamt zwölf "binären Fronten auf einer den Basistheorien übergeordneten paradigmatischen Ebene" voran - im Rahmen einer Einführung ein durchaus sinnvolles Unterfangen, ebenso wie die anschließende Auflistung von zehn "Leitdifferenzen innerhalb einer Basistheorie". Da Weber die These vertritt, dass Basistheorien im interdisziplinären Diskurs, im Widerstreit der Positionen entstehen, hat also offensichtlich die Beobachtung paradigmatischer Oppositionen und die gleichzeitige Erkenntnis "einer grundsätzlichen Gradualität zwischen den einzelnen Polen" Webers Vorhaben zumindest maßgeblich beflügelt.

Theoriebildung ist damit für Weber in weitaus stärkerem Maß ein Produkt subjektiver Faktoren, wie etwa von weltanschaulichen Fragen geprägter Paradigmenkämpfe, als dies bei Leschke der Fall ist. Hier steht vielmehr die Prozessdynamik im Vordergrund, die neben Paradigmenwechseln in anderen Disziplinen entscheidend durch Aspekte wie die Auswirkungen eines neuen Mediums auf das bisherige Mediensystem, die Geschwindigkeit der technischen Entwicklung oder auch historisch-gesellschaftliche Rahmenbedingungen beeinflusst wird. Offenbar hat sich Weber ganz bewusst gegen eine solche Systematik entschieden, will er doch mit seinem Sammelband explizit einer Sichtweise entgegenwirken, "die unter Theorien lediglich und ausschließlich intellektuelle Reflexe auf historisch bedingte Kontexte sieht". Schade ist nur, dass Weber dem nichts entgegenzusetzen hat außer der Feststellung: "Es wäre [...] kurzsichtig, Theorien als bloße modische Gags zu interpretieren"."

Es überrascht nicht, dass sich die beiden Bände auch in ihrem Schluss grundlegend unterscheiden: Kommt Leschke am Ende zu einem ernüchternden Resümee hinsichtlich des derzeitigen Standes gegenwärtiger Medientheoriebildung - er macht "viel Unsinn" aus und rät zu einer 'Abwarten-und-Teetrinken-Strategie', bis die "Goldgräberstimmung" in der Medienwissenschaft verflogen sei und man zum wissenschaftlichen Normalbetrieb übergehen könne - so fehlt eine derartige Bilanz bei Weber völlig. Doch welches Fazit soll man auch aus der additiven Auffächerung eines derart breiten Spektrums ziehen? Lediglich eine Warnung vor "einem oberflächlichen theory-shopping, einem theoretischen Eklektizismus" gibt Weber seinen Lesern mit auf den Weg, wobei sich der Verdacht einschleicht, dass dies zumindest nicht ohne die Sorge geschieht, mit der vehementen Beschwörung des "Theorien-Pluralismus" diese Geister möglicherweise selbst herbei gerufen zu haben.

Bei allem Respekt vor der Leistung Rainer Leschkes, das wohl derzeit überzeugendste strukturelle Ordnungsmodell der Medientheorien und deren Generierung vorweisen zu können, scheint es unzulässig, nicht auch auf den normativen Charakter dieses Modells hinzuweisen. Die einzelnen Phasen der Theoriebildung wie auch die unterschiedliche Theorierelevanz verschiedener Medien erhalten eine Verbindlichkeit, die offensichtlich keine anderen Motivationen der theoretischen Auseinandersetzung mit Medien, wie z. B. die von Weber angesprochenen subjektiven Faktoren, zulässt. So scheint auf Leschke eine Auseinandersetzung mit Medien, die ihre ursprüngliche Bedeutung eingebüßt haben bzw. diese nie hatten, müßig oder bestenfalls anachronistisch zu wirken. Werner Faulstich, der sich Anfang der 1980er-Jahre noch einmal dem Radio zuwendet, nachdem die meisten Theorien hierzu in seiner Phase als Leitmedium entstanden, bezeichnet er kurzerhand als "theoretischen Nachzügler", wodurch auch Faulstichs Radiotheorie in die Kausalität des evolutionären Schemas integriert werden kann. Andererseits scheint ein bedeutendes und viel diskutiertes Medium nach Leschkes Dafürhalten immer auch gleich einen hohen theoretischen Anspruch zu provozieren. Nur so lässt sich erklären, warum die Reflexionen von Götz Großklaus zum Computer den Einzelmedienontologien zugeordnet werden, obwohl der Akzent bei Großklaus eher auf den Veränderungen im Verständnis von Zeit und Raum, bedingt durch unterschiedliche Medien liegt, als auf der erschöpfenden Erklärung des Computers aus sich selbst heraus (vgl. hierzu Götz Großklaus: Medien-Zeit, Medien-Raum. Frankfurt a. M. 1997).

Trotz der punktuellen Kritik ist abschließend festzuhalten: Leschkes Band mag zwar - um noch einmal Webers vergleichende Bemerkung aufzugreifen - ähnlich breit angelegt sein wie dessen Einführung, bietet aber ungleich mehr Substanz und Potential zur Ordnung des medientheoretischen Feldes.

Alice Lagaay / David Lauer (Hg.): "Medientheorien. Eine philosophische Einführung"

Kaum ein Jahr später kam eine weitere Einführung auf den Markt, die im Gegensatz zu allen anderen hier besprochenen keinen generellen Überblick über Medientheorien geben will, sondern im Untertitel bereits eine vermeintliche Spezialisierung ankündigt: Es gehe um eine philosophische Einführung. Elf zentrale zeitgenössische Medientheorien sollen in elf Einzelstudien dargestellt werden, vorrangig von Nachwuchswissenschaftlern, die im Umfeld von Sybille Krämer an der Schnittstelle zwischen Philosophie und Medientheorie arbeiten. Diese Medientheorien werden auf ihr philosophisches Potenzial hin befragt und wie bei Kloock/Spahr autorenzentriert und chronologisch geordnet vorgestellt. Darunter sind Ansätze von inzwischen kanonisierten Autoren wie H. M. McLuhan, D. de Kerckhove, N. Luhmann, J. Baudrillard, P. Virilio, V. Flusser und F. A. Kittler, aber auch jüngere Autoren wie H. Winkler, M. Seel, M. Sandbothe und L. Manovich sind berücksichtigt. Im Einleitungskapitel der Herausgeber werden rudimentäre Hinweise darauf gegeben, wie die vorgestellten Theorien zu ordnen seien (beispielsweise enger versus weiter Medienbegriff, Medienapriorismus versus Medienmarginalismus). Weiter wird dies aber nicht ausgeführt, geschweige denn systematisch präzisiert. Zumindest wird die Auswahl der Autoren kurz mit einer Formulierung begründet, die sich beinahe wörtlich schon bei Kloock/Spahr finden lässt. Lautet dort die Entscheidung für bestimmte Theorien, dass sie Medien "als konstitutive Faktoren von Kultur" verständen, heißt es bei Lagaay/Lauer - den Gegenstand noch etwas ausweitend: "[E]s geht um Medien als konstitutive Faktoren von Selbst, Gesellschaft und Kultur überhaupt". Demgemäß werden wie bei Kloock/Spahr Forschungen, die sich eher den Medieninhalten als den Medien selbst widmen, sowie empirisch-quantitative Ansätze und Einzelmedientheorien ausgeschlossen, darüber hinaus aber ebenso Ansätze, die nicht explizit über einen Medienbegriff verfügen. Aufgrund der ähnlichen Justierungen dürfte es nicht überraschen, dass die meisten von Kloock/Spahr behandelten Autoren auch bei Lagaay/Lauer wiederkehren. Letztere nehmen jedoch neben neueren, zum Zeitpunkt der Publikation von Kloock/Spahr noch nicht bekannten Autoren, weiterhin auch solche auf, die Kloock/Spahr explizit ausgeschlossen haben. Vor allem der Fall N. Luhmann ist hier interessant. Bei Kloock/Spahr liegt der Ausschluss Luhmanns wohl darin begründet, dass ihr Medienbegriff stark technikzentriert ist, Luhmanns Theorie jedoch von der Gesellschaft und nicht von den Medien ausgeht. Löst man sich von dieser Zentrierung und folgt stattdessen der Feststellung Lagaays/Lauers, dass der Medienbegriff im Theoriediskurs "zunehmend aus[ge]weitet" werde, dann kommen auch Ansätze in den Blick, die eben einen weiten Medienbegriff etablieren, wie z. B. das Medium/Form-Konzept Luhmanns, bei dem der Medienbegriff dezidiert nicht technisch-materialistisch, sondern beobachtungsrelativ gedacht wird - was wiederum zur Folge hat, dass im Grunde alles, je nach Perspektive, zum Medium werden kann. Dass solch ein weitgefasstes Konzept aufgenommen wird, ist wohl dem genuin philosophischen Zuschnitt der Einführung geschuldet, denn es lässt sich an philosophische Traditionen wie die der Form/Inhalt-Diskussion anschließen oder auch an die Frage nach der prinzipiellen Vermitteltheit (Medialität) unseres Weltzuganges und überdies mit neueren Autoren in Verbindung bringen, die 'medienphilosophischen' Fragestellungen nachgehen (wie etwa der ebenfalls in dem Band von Lagaay/Lauer behandelte M. Seel).

Damit wird auch schon die zentrale Zielsetzung des Bandes erkennbar: "Die Autorinnen und Autoren erproben die Anschlussfähigkeit der ausgewählten Medientheorien an philosophische Fragestellungen und gehen deren möglichen Beiträge zu einem zeitgenössischen und zukünftigem Mediendenken in philosophischer Perspektive nach." Der Band tritt überdies mit dem Anspruch an, ältere medientheoretische Autoren zu rehabilitieren, die als unwissenschaftlich oder doch zumindest als konfus gelten (vgl. etwa die bereits weiter oben angeführte Beurteilung einiger Medientheorien bei Faulstich). Die Re-Lektüre McLuhans etwa soll verhindern, dass er zu wenig komplex und einseitig als Technikdeterminist gelesen wird. Wie immer man auch zu den einzelnen Ergebnissen dieser Re-Lektüren stehen mag, sind diese - wie bei einem Sammelband nicht anders zu erwarten - mal gewitzt und nachvollziehbar, mal unklar und uneinsichtig. Mit den Re-Lektüren wird jedenfalls ein traditionelles Aufgabengebiet der Philosophie betreten: oberflächliche Lektüren werden kritisiert und die angemessene Interpretation und Klärung der Begriffe soll an deren Stelle treten.

Lagaay/Lauer sind sich mit allen anderen Autoren der hier untersuchten Einführungen einig: Es gibt keine "verbindliche Bestimmung dessen, was denn eigentlich unter einem Medium zu verstehen ist". Demgemäß gebe es Medientheorien auch "nur im Plural". Nichtsdestotrotz sehen die Herausgeber eine Tendenz im wissenschaftlichen Diskurs, den Medienbegriff nicht mehr nur auf einzelne Medien anzuwenden und auch nicht mehr als Bezeichnung für neutrale Kommunikationsmittel zu verstehen. "Im Verlaufe seiner jüngsten Karriere scheint der Medienbegriff sich einerseits zunehmend auszuweiten (praktisch alles kann, wie die Dinge stehen, als Medium thematisiert werden) und anderseits zunehmend tiefer angesetzt werden." Dieses 'Tieferlegen' bewirkt es laut Lagaay/Lauer, dass sich der Begriff "als Bezeichnung für konstitutive Faktoren des menschlichen Selbst- und Weltverhältnisses überhaupt" etabliert. Solch eine Beschreibung der Medien eröffnet natürlich ein (vielleicht doch etwas arg) weites Feld der Bestimmungsmöglichkeiten, zudem verbunden mit dem zumindest erklärungsbedürftigen Postulat einer starken Wirkmächtigkeit der Medien.

Auf jeden Fall wird der Medienbegriff, wenn man ihn - wie die Herausgeber implizieren - als Bezeichnung für alle möglichen Formen der Vermitteltheit unseres 'Selbst- und Weltzuganges' versteht, beinahe zwangsläufig zum Kandidaten für einen "diskurskonstituierenden Schlüsselbegriff" in den Geistes-, Kultur- und Sozialwissenschaften. Die zur Sprache gebrachten Medientheorien und deren Medienbegriffe bestätigen dies über alle zum Teil erheblichen Differenzen hinweg. Ihre jeweiligen philosophischen Implikationen werden in dem Einführungsband ausgearbeitet. Dadurch erhält man eine vielfältige und vielstimmige Veranschaulichung medientheoretisch perspektivierter philosophischer Fragen und Anknüpfungspunkte - sei es durch radikale technizistische Provokationen der primär um den Geist und das reine Denken kreisenden philosophischen Tradition (D. de Kerckhove), sei es durch die Verbindung zu pragmatischen Fragestellungen (M. Sandbothe) bis hin zu Positionen, die mit der Kritischen Theorie zu verknüpfen sind (H. Winkler). Negativ fällt aber auf, dass dies alles nicht in eine übergreifende Systematik gebracht wird und demgemäß zur Begriffsklärung zwar vielleicht Anreiz gibt, aber eben keine Klärung selbst schafft, was im Grunde ja eine genuin philosophische Aufgabe wäre, gerade auch die einer philosophischen Einführung. Der Band gibt somit nicht, wie es im einleitenden Kapitel heißt, eine "grundlegende Orientierung in einer vielstimmigen Debatte", sondern eher 'eine vielstimmige Orientierung in einer grundlegenden Debatte'.

En passant erwähnen Lagaay/Lauer auch Faulstich und nennen ihn einen "empirischen Medienwissenschaftler", dessen medientheoretische Bestrebung in diametralem Gegensatz zu ihren eigenen stehe. Jedoch versuchen Lagaay/Lauer auch den Eindruck zu vermeiden, es gehe ihnen um eine Art technikdeterministische Unterwanderung und Verwandlung der Geistes- und Kulturwissenschaften. Gerade bei Positionen, die andernorts - je nach Lager - als radikal verschrien gelten oder gefeiert werden, versucht der Band eine moderate Lesart zu etablieren. Wie bereist erwähnt, wird beispielsweise McLuhan nicht als Technikdeterminist vorgestellt (wie etwa bei Kloock/Spahr, aber auch bei Weber und Leschke). Ebenso räumt Sybille Krämer im Kapitel über F. A. Kittler technikdeterministische Tendenzen in dessen Theorie ein, um jedoch anschließend andere philosophisch anschlussfähigere Faktoren in Kittlers Arbeiten zu beleuchten. Nichtsdestotrotz bestehen die Herausgeber darauf, dass die Etablierung des Medienbegriffs und der -theorien zu einer Neuperspektivierung der Grundlagen der Geistes-, Kultur- und Sozialwissenschaften überhaupt beitrage. Diese Wissenschaften müssten ihre Gegenstände "durch und in Medienverhältnisse konstituiert" neu begreifen lernen. Lagaay/Lauer fordern also eine erneute philosophische Grundlagenreflexion, eine zwar, die, so die Herausgeber beschwichtigend, 'nur' "Arbeit an alten Problemen mit neuen Begriffen" darstelle, jedoch genau besehen als notwendiger medienphilosophischer Grundlagen- und Revisionsdiskurs für die gesamten humanwissenschaftlichen Disziplinen lanciert wird.

Was die wissenschaftshistorische Verortung anbelangt, machen Lagaay/Lauer drei zentrale Strömungen aus, die für den heteronomen medientheoretischen Diskurs grundlegend gewesen seien: die so genannte Toronto School (Innis, Havelock, McLuhan), die Kybernetik und den (Post-)Strukturalismus. Diese Strömungen seien von Anfang an quer gestanden zu den Tendenzen der sich in Deutschland seit den 1950er-Jahren etablierenden empirischen Massenkommunikationsforschung. Jüngere medientheoretisch versierte Autoren rekurrieren darüber hinaus vor allem auf deutschsprachige bzw. angelsächsische Philosophietraditionen, sei es auf den Pragmatismus im Falle Sandbothes, sei es die Erkenntnistheorie in Kant'scher Tradition im Falle Seels. Sind die 'Klassiker' der Medientheorie tendenziell radikal und polemisch gegen traditionelle geisteswissenschaftliche Fragestellungen gerichtet - man denke etwa an Kittlers berühmt berüchtigten Slogan von der Austreibung des Geistes aus der Geisteswissenschaft - sind die späteren Autoren, zumindest in der Lesart von Lagaay/Lauer, moderater. Sie versuchen, eine Verbindung zwischen Geist und Technik herzustellen und somit eine Mittelposition zwischen Medienmarginalismus und -apriorismus einzunehmen. Diesen Weg geht die Einführung von Lagaay/Lauer selbst: Es werden nicht nur philosophische Anknüpfungspunkte in diversen Medientheorien gesucht, vielmehr geschieht dies immer auch mit Blick auf ihre Anschlussfähigkeit an unterschiedliche Diskurse. Damit sollen moderate Interpretationsangebote bereitgestellt werden, mit deren Hilfe der Medienbegriff sukzessive als 'diskurskonstituierender Schlüsselbegriff' etabliert werden kann und zwar jenseits der Front zwischen technizistischen und funktionalen Medientheorien.

Überzeugt sind Lagaay/Lauer davon, dass "medientheoretischer Reflexionsbedarf immer im Zusammenhang mit konkreten historischen Medienumbrüchen" entstehe. Die "explosionsartig wachsende gesellschaftliche Bedeutung technischer Kommunikationsmedien, allen voran des Computers" sei der Grund für die Häufung medientheoretischer Reflexionsarbeit. Seltsam mutet hier an - wie im Übrigen auch bei Kloock/Spahr und selbst bei den elaborierten Betrachtungen Leschkes -, dass die Thematisierung von etwas als Medium allein auf Grund bestimmter gesellschaftlicher respektive technischer Entwicklungen quasi automatisch einsetzen soll. Das Verhältnis von Diskurs und soziologischen und technischen Bedingtheiten wird hier monokausal aufgelöst - erst der Computer, dann die (Medien-)Theorie. Dass aber das Reden über bestimmte Dinge diese zuallererst modelliert oder doch zumindest selektiert und dabei Einfluss etwa auf die Akzeptanz neuer Techniken hat oder - grundsätzlicher - überhaupt erst etwas als neue (Medien-)Technik erkennen lässt, wird nicht oder doch nur marginal beachtet. Außerdem kann der Zusammenhang zwischen technologischem Wandel und dem Sprechen darüber auch deswegen nicht als einfache kausale Durchdringung des Letzteren durch den Ersteren verstanden werden, weil der wissenschaftliche Diskurs systemtheoretisch gesprochen zwar durch die Technik irritiert werden kann, jedoch konstitutiv nach den eigenen Prinzipien und nicht nach denen des technischen Wandels darauf reagiert, was schlicht an der kategorialen Differenz beider Bereiche liegt. Beide Aspekte führen zu Fragen, die unseres Erachtens wissenschaftstheoretische und somit philosophische Fragen sind. Sie kommen aber so wenig in der philosophischen Einführung zur Sprache wie auch in den anderen Bänden.

Von Faulstich bis Lagaay/Lauer - Konturen im "Feld der Ordnungen"

Die untersuchten Einführungen verfolgen, wie unschwer zu erkennen sein dürfte, teilweise sehr unterschiedliche Prinzipien, weisen aber auch einige Ähnlichkeiten auf. Ohne diese hier noch einmal detailliert auszubuchstabieren, möchten wir abschließend auf einige Aspekte verweisen, die uns besonders interessant erscheinen. Ordnet man die Einführungen auf einer zeitlichen Ebene an, dann lässt sich der Prozess des 'Genres' Einführung in die Medientheorie(n) zwar nicht in eine stringente Prozesslogik bringen, geschweige denn in ein Phasenmodell à la Leschke zwängen, doch zumindest einige Verschiebungen lassen sich immerhin angeben.

Stehen noch 1991 bei W. Faulstich die sozialwissenschaftlich orientierten Medientheorien im Vordergrund, bei denen vor allem die systemtheoretisch orientierten Medientheorien, die mit einem funktionalen Medienbegriff operieren, als zukunftsträchtigste Entwürfe verstanden werden, sind es in der sechs Jahre später erschienenen Einführung von Kloock/Spahr ganz andere Autoren, die das medientheoretische Feld bestimmen. Sie kommen vor allem aus dem geistes- und kulturwissenschaftlichen Sektor, operieren hauptsächlich zumeist mit einem materialistischen Medienbegriff und zielen auf nichts weniger als auf einen Paradigmenwechsel in den Geistes- und Kulturwissenschaften oder doch zumindest auf deren Revision. Quantitative Methoden und Theorien der Sozialwissenschaften werden bei Kloock/Spahr als mögliche Medientheorien strikt abgelehnt.

Bei Weber werden funktionale wie technizistische Medientheorien dargestellt (ohne dass sie vom Herausgeber so benannt werden). Dieses Kompendium umfasst eine beeindruckende Bandbreite medientheoretischer Reflexionen. Es bleibt aber bei einem Sammelsurium unterschiedlichster Medientheorien. Akzeptiert man Webers Entscheidung für den'Theorien-Pluralismus', dann ist an diesem Zuschnitt freilich nichts auszusetzen.

Wenige Monate vor Webers Einführung erschien die Publikation von Leschke, der es versteht, in seiner wissenschaftstheoretisch ambitionierten und kritischen Einführung, Typen von Theorien zu unterscheiden und in ein evolutionäres Phasenmodell einzubinden. Damit ist Leschkes formale Herangehensweise der von Faulstich nicht unähnlich. Dürfte Leschkes Systematik von Faulstichs Entwurf zumindest inspiriert sein, so geht Leschke in seiner Differenzierung weit über Faulstich hinaus, dessen "Verschleifen" von philosophischen und medienwissenschaftlichen Medienbegriffen er als problematisch ansieht. Während Faulstich in seiner Typenbildung die technizistischen Medientheorien verwirft, kann Leschke plausibel zeigen, wie diese - er nennt sie "allgemeine Medienontologien" - Vorschläge für einen eigenständigen Gegenstandsbereich der Medienwissenschaft entwickeln und sich gleichzeitig erhebliche Probleme mit diesem Anspruch einhandeln. Darüber hinaus verdeutlicht er, dass funktionale Medientheorien, die bei ihm unter der Bezeichnung "generelle Medientheorien" firmieren, aus Disziplinen stammen, die keinen genuin medientheoretischen oder -wissenschaftlichen Gegenstand generieren, sondern Theorien darstellen, die unter anderem eben auch auf Medien applizierbar sind.

Die Einführungen von Leschke und Weber erfüllen für die Medienwissenschaft - eine Disziplin oder besser ein Konglomerat von Disziplinen also, das sich zwar institutionell etabliert hat, bei dem jedoch noch immer die Frage der weiteren methodischen Ausrichtung und epistemologischen Konturierung im Raum steht - klassische Funktionen der Selbstfindung: Geht es bei Weber um enzyklopädisches Sammeln, steht bei Leschke die selbst- und metareflexive Befragung der konstitutiven Elemente von Medienwissenschaft im Vordergrund. Wenngleich sich beide noch nicht so recht festlegen, in welche Richtung die Reise weitergehen mag, so gibt es hierzu doch zumindest Andeutungen: Wie bereits Faulstich 1991 im kostruktivistischen Ansatz S. J. Schmidts die eigentlich einzige fundierte und zukunftsträchtige Medientheorie sah, so konstatiert auch Leschke 2003 - wenngleich er den Konstruktivismus einer differenzierteren Kritik unterzieht - immerhin, dass weder die Medienontologien noch die Kommunikationswissenschaften "dem konstruktivistischen Ansinnen auf der Ebene genereller Theorie überhaupt etwas entgegenzusetzen hätten". Ebenso ist Weber der Auffassung, "dass Systemtheorie und Konstruktivismus wohl die gegenwärtig am komplexesten entwickelten Theoriegebäude sind". Daher verortet er diese "an oberster Stelle" in seinem Theorien-Raum, wenngleich er sich gegen eine rein konstruktivistische oder systemtheoretische Kommunikationswissenschaft verwehrt.

In der zuletzt erschienenen Einführung von Lagaay/Lauer fehlt Schmidts Position dagegen völlig, nur in einer kurzen Fußnotennotiz findet er Erwähnung. Mit dem Untertitel "Eine philosophische Einführung" bezeichnet diese Publikation - wie schon erwähnt - vermeintlich eine Einschränkung und Spezialisierung, geht es hier doch offenbar eher um die Erkundung der Anschlussfähigkeit ausgewählter Medientheorien an genuin philosophische Fragestellungen als um die Suche nach einem angemessenen Kandidaten für die theoretische Fundierung einer Medienwissenschaft. Genauer betrachtet, forcieren die Herausgeber dann eben auch - ähnlich wie schon Kloock/Spahr - die Etablierung eines Grundlagendiskurses, der die Kultur- und Geisteswissenschaften medientheoretisch informieren und umgestalten soll, und zwar ebenfalls unter Ausschluss von empirisch-quantitativen sozialwissenschaftlichen Medientheorien.

Im Unterschied zu Kloock/Spahr berücksichtigen Lagaay/Lauer aber durchaus auch funktionale Medientheorien wie etwa die Luhmanns. Darüber hinaus unterziehen sie die technizistischen Medientheoretiker einer Re-Lektüre, die diese stellenweise moderater erscheinen lässt, als sie vielleicht tatsächlich sind, und die neueren medienphilosophischen Theorien bespricht, die sehr darauf bedacht sind, einen Mittelweg zwischen funktionalen und technizistischen Medientheorien zu finden (etwa M. Sandbothe). Stehen Faulstich und Kloock/Spahr noch verstärkt unter dem Einfluss offener wie verdeckter Grabenkämpfe, etabliert die Einführung Lagaay/Lauer - so zumindest unser Eindruck - einen moderateren Ton, bei dem das Bemühen um kommunikative Anschlussfähigkeit der 'medientheoretischen Avantgarde' an klassische geisteswissenschaftliche Positionen offensichtlich wird.

Zu Beginn haben wir uns darauf festgelegt, nur Bücher zu untersuchen, die den Anspruch, eine medientheoretische Einführungs- und Überblicksdarstellung zu sein, bereits im Titel tragen. Nun wollen wir schließlich umgekehrt fragen: Ist auch wirklich 'drin, was draufsteht'? Noch einmal ist es Stefan Weber, der den Anstoß zu den folgenden abschließenden Bemerkungen bot. Verleiht Weber am Ende seines Bandes einigen Einführungen in die Medienwissenschaft präzisere, "redlichere" Titel um sich von ihnen zu distanzieren, so wollen wir zum Schluss einen ähnlichen Versuch unternehmen, um die besprochenen Publikationen ein wenig gegeneinander abzugrenzen.

Webers Band - um gleich mit diesem zu beginnen - sollte im Gegensatz zu Leschkes Arbeit unbedingt den Begriff "Einführung" im Titel tragen. Unser Vorschlag: "Basistheorien für die Medien - eine Einführung." Leschkes Band sollte in etwa so kompliziert klingen wie sein Buch auch ist, etwa: "Der Prozess evolutionärer Theoriegenerierung, dargestellt am Beispiel der Medientheorie." Faulstichs Band könnte den Titel tragen: "Medientheorien - eine sozialwissenschaftlich perspektivierte Einführung" und der Band von Lagaay/Lauer sollte besser heißen: "Medientheorie und Philosophie - Anknüpfungspunkte. Eine Auswahl". Ein schöner und gleichsam treffender Titel für den Band von D. Kloock und A. Spahr wäre aus unserer Sicht: "Wo die wilden Kerle wohnen. Ausgewählte Medientheoretiker."

Titelbild

Werner Faulstich: Medientheorien.
Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1999.
190 Seiten, 11,50 EUR.
ISBN-10: 3525335741

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch

Titelbild

Daniela Kloock / Angela Spahr: Medientheorien. Eine Einführung. 2., korr. und erweiterte Auflage.
UTB für Wissenschaft, Stuttgart 2000.
293 Seiten, 16,90 EUR.
ISBN-10: 3825219860

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch

Titelbild

Werner Faulstich: Einführung in die Medienwissenschaft. Probleme - Methoden - Domänen.
Wilhelm Fink Verlag, München 2002.
353 Seiten, 16,90 EUR.
ISBN-10: 3825224074

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch

Titelbild

Rainer Leschke: Einführung in die Medientheorie.
UTB für Wissenschaft, Stuttgart 2003.
339 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-10: 3825223868

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch

Titelbild

Stefan Weber (Hg.): Theorien der Medien. Von der Kulturkritik bis zum Konstruktivismus.
UTB für Wissenschaft, Stuttgart 2003.
360 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-10: 3825224244

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch

Titelbild

Alice Lagaay / David Lauer (Hg.): Medientheorien. Eine philosophische Einführung.
Campus Verlag, Frankfurt a. M. 2004.
323 Seiten, 18,90 EUR.
ISBN-10: 3593375176

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch