Zwischen Pädagogik und Heiligenverehrung

Reflexionen und neue Literatur zu Dichterhäusern und Gedenkstätten

Von Michael GriskoRSS-Newsfeed neuer Artikel von Michael Grisko

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Reflexion über museale Präsentationen hat Konjunktur. Neben der künstlerischen Praxis im engeren Sinne gerät auch die Situation der literarischen Gedenkstätte bzw. des Literaturmuseums immer stärker in den Blick der Praktiker und Theoretiker. Dabei zeigt sich eine auch in den Bücherregalen nachvollziehbare Dreiteilung. Zum einen bedient ein immer größer werdendes Spektrum an Büchern die touristische Neugier auf diese kulturellen Sonntagsausflugsziele. Neben den Katalogen der einzelnen Häuser und nationalen Enzyklopädien finden sich zunehmend durch persönliche Vorlieben oder regionale Ballungen bestimmte Anthologien. Letztere können sogar zu ganzen Führern werden, wie sie etwa für Sachsen und Thüringen vorliegen. Anders als beispielsweise die literarischen Führer und Stadtpläne, die auf die Vielfalt der in Städten vorhandenen Orte, Straßen, Gedenktafeln und Handlungstopografien abheben, scheint in den letzten Jahren ein neuer Markt für die essayistische Betrachtung einzelner Häuser entstanden zu sein. Es ist eine Melange aus Literatur-, Zeit- und Rezeptionsgeschichte, aber auch Hinweisen zur Biografie, verbunden mit einem anekdotischen Human-Touch, der in den Regalen reüssiert und sich vor allem an den interessierten Kulturtouristen wendet.

Diesen touristisch orientierten Blick bedient z. B. das Autorengespann Weiss/Wonneberger. In gleich zwei Büchern haben sie Dichterhäuser in und um Dresden in den Blick genommen. Ihr Begriff des Dichterhauses ist weit gefasst und schließt ein eigentliches Wohnhaus des Schriftstellers ebenso ein wie Häuser, in denen Dichter zu Besuch waren. Da viele der vorgestellten Häuser heute nicht als Museum besichtigt werden können, ist die Zusammenstellung jedoch etwas disparat. Ihr Vorteil dagegen ist das handliche Format. Gebunden und verkauft zu einem attraktiven Preis bieten die Bücher neben den knappen historischen Exkursen und zeitgenössischen Hinweisen zur Nutzung auch einschlägige Servicetipps zur Anfahrt, zu den Öffnungszeiten und Eintrittspreisen. Da die im Blick stehenden Dichter nicht durchgängig zur ersten Garde der deutschen Literaturgeschichte gehören, ist es auch ein Stück wohl dosierter Kulturgeschichte, das man sich in knappen, mit zahlreichen Abbildungen angereicherten Häuserporträts zuführen kann.

Stärker aus der Binnenperspektive berichten zwei Tagungsbände mit dem ebenso reizvollen wie vielversprechenden Titel "Zwischen Reliquienkult und Reizüberflutung. Möglichkeiten der Konzeption und Gestaltung von Literaturausstellungen" und "Dichter und ihre Häuser. Die Zukunft der Vergangenheit". Die Autoren des zweitgenannten sind durchgängig Leiter bekannter Literaturhäuser in Deutschland. Auf knapp 250 Seiten entfaltet sich ein nationales Literaturmuseums- und Dichterhauspanorama zu Autoren wie Hermann Hesse (Calw), Kurt Tucholsky (Rheinsberg), Bertolt Brecht (Augsburg und Berlin), Heinrich Heine (Düsseldorf), Georg Büchner (Marburg), Theodor Storm (Husum), Karl May (Radebeul), Friedrich Hebbel (Wesselburen), Lessing (Kamenz), Johann Wolfgang von Goethe (Frankfurt), aber auch mit Institutionen wie dem Buddenbrookhaus in Lübeck und der Literaturmuseumslandschaft in Baden-Württemberg.

Die Einleitung versteht die Häuser zu Recht als "Propagandisten" der Literatur. Als übergreifende Fragestellungen führt der Herausgeber die Strategien nach der Vergegenwärtigung der Literaturgeschichte an. Dies vor allem mit Blick auf junge Leute und den Einsatz von modernen Medien bis hin zum Internet. Die Beiträge haben weitgehend den Rededuktus der Vortragsfassung beibehalten und liefern aus der kompetenten Binnenperspektive eine Einführung in die Geschichte und Struktur des Hauses. Sie erläutern in einer analytischen Verbindung den Aufbau der einzelnen Häuser und die zugrunde liegende Konzeption. Damit verbunden ist die Reflexion des Selbstverständnisses der einzelnen Leiter. Selbstverständlich zeigen sich die darüber hinaus wirksam werdenden pragmatischen Notwendigkeiten in der Ausrichtung der Häuser, die sich aus ihrer Geschichte, ihrer lokalen Einbindung, aber auch aus der Person des jeweiligen Kurators ergeben. Dies wird vor allem an den Notwendigkeiten der neu gegründeten Häuser und deren historischer Genese deutlich. Eng verbunden damit ist auch eine Analyse der derzeitigen Finanzsituation der Kommunen und Sponsoren. Unterstützt werden die Argumentationen durch zahlreiche Farbabbildungen. Was man jedoch trotz des Hinweises auf den fehlenden Königsweg der Häuser ein wenig vermisst, ist vor allem die Dokumentation einer sich anschließenden Diskussion.

Ebenfalls aus der Praxis heraus ist das Buch "Zwischen Reliquienkult und Reizüberflutung. Möglichkeiten der Konzeption und Gestaltung von Literaturausstellungen" entstanden. Dessen Beiträge fallen deutlich heterogener aus, als der Titel es vermuten lässt. Sie reichen von allgemeinen Museumsentwicklungen in Deutschland über das Drehbuch als wissenschaftliche Grundlage von Literaturausstellungen bis hin zu Berichten, wie aus einem betagten Rittergut das westfälische Literaturmuseum wurde und wie die Neugestaltung des Fritz-Reuter-Museums aussieht. Daneben stehen Einlassungen zur speziellen Problematik einer Ausstellung, eine allgemeine Betrachtung über die Unmöglichkeit, Literatur angemessen auszustellen und Hinweise zu Möglichkeiten des Kultursponsorings. Deutlich werden die unterschiedlich gelagerten Schwierigkeiten, sowohl im ästhetischen als auch strukturellen Bereich mit dem Phänomen ausgestellte Literatur - sei es als Gedenkstätte oder als Wanderausstellung - umzugehen. Die Vielfältigkeit der angesprochenen Probleme und Lösungen vermittelt einen ausgezeichneten Einblick in die zeitgenössische Praxis der Literaturausstellung und empfiehlt sich somit auch zur einführenden Lektüre.

Titelbild

Hans Wißkirchen (Hg.): Dichter und ihre Häuser. Die Zukunft der Vergangenheit.
Schmidt-Römhild Verlag, Lübeck 2002.
243 Seiten, 19,80 EUR.
ISBN-10: 3795012538

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch

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Christiane Kussin (Hg.): Zwischen Reliquienkult und Reizüberflutung. Möglichkeiten der Konzeption und Gestaltung von Literaturausstellungen.
Arbeitsgemeinschaft Literarischer Gesellschaften und Gedenkstätten e.V., Berlin 2002.
171 Seiten, 15,00 EUR.

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Titelbild

Norbert Weiß / Jens Wonneberger: Dichterhäuser um Dresden.
be.bra verlag, Berlin 2004.
80 Seiten, 9,95 EUR.
ISBN-10: 3898090477

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch

Titelbild

Norbert Weiß / Jens Wonneberger: Dresdner Dichterhäuser.
be.bra verlag, Berlin 2004.
78 Seiten, 9,95 EUR.
ISBN-10: 3930863804

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