So und (nicht) anders

Ein Sammelband zum 40. Jubiläum des Klaus Wagenbach Verlags

Von Mario Alexander WeberRSS-Newsfeed neuer Artikel von Mario Alexander Weber

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wenn ein Verlag seine Leser lobt, könnte das auch peinlich werden. Nicht jedoch, wenn Klaus Wagenbach sich anlässlich des 40. Verlagsjubiläums im Vorwort der Anthologie "Warum so verlegen?" an "sein" Publikum wendet. An Leser, die sich "den Kopf auch mal von nicht mehrheitsfähigen Ideen durchlüften lassen." Leser, die als "wild" bezeichnet werden, da sie "auf eigene Faust" zum Buch greifen, sich "an- und aufregen lassen" - kurzum: ihren eigenen Willen haben und kritische Persönlichkeiten sind und deshalb sehr gerne Bücher aus dem Hause Wagenbach als Lektüre auswählen. Da fühlt man sich doch gleich ganz anders, wenn man den Blick über die Bücherregale schweifen lässt und dort tatsächlich etliche der charakteristischen Buchrücken aus diversen Wagenbach-Serien wie "SALTO", der Taschenbuch-Reihe "WAT" oder gar der legendären Quarthefte erblickt. 40 Jahre Klaus Wagenbach Verlag bedeuten neben dem verlegerischen Vorbild, in Zeiten monopolistischer Globalisierung den "Independentstatus" durchgehalten, erweitert, etabliert zu haben, auch: ein verdammt gutes Literaturprogramm. Natürlich bin ich befangen, aber gibt es jemanden, der nicht irgendwann ein Plakat von Erich Frieds "Was es ist" in seinem Zimmer hängen hatte (oder besser: noch immer hängen hat)? Ich blättere in "WAT 398", dem Band "Lebensschatten" von Erich Fried, dessen Gesamtwerk sich in der Obhut des Verlags befindet, und freue mich über den roten Vor- und Nachsatz (ja, die Wagenbach-Bücher befriedigen auch bibliophile Ansprüche), stoße auf Seite 62 auf das grandiose Gedicht "Ein Menschenkenner" (ist das bereits in der "Frankfurter Anthologie" besprochen worden?), finde 30 Seiten weiter die Frage:

Glaubst du
du bist noch
zu klein
um große
Fragen zu stellen?

Neben seiner "italienischen Ausrichtung" hat der Verlag in den vergangenen vierzig Jahren in seinem Programm gezeigt, dass Ästhetik, Witz und gesellschaftskritischer Anspruch abseits des Mainstreams zu Hause sind. Wer sich einen Einblick in das Programm und die Verlagsgeschichte verschaffen will, dem sei die (informative, sehr schön gestaltete, wunderbar lesbare und mit einem Preis von fünf Euro auch äußerst günstige) Anthologie empfohlen. Textauszüge von Wolf Biermann, Kurt Wolff, Peter Schneider, Ulrike Marie Meinhof, Pier Paolo Pasolini, Carlo Ginzburg, Norberto Bobbio und Michel Houellebecq - um nur wenige Namen zu nennen - insistieren: Ich brauche mehr davon! Dass einiges dieser Autoren in anderen Verlagen zugänglich ist, schmälert nicht die Bedeutung des Berliner Unternehmens. Wagenbach war es, der mit der Veröffentlichung des französischen Debutromans "Ausweitung der Kampfzone" den späteren "FAZ-Großschriftsteller" Michel Houellebecq nach Deutschland geholt hat. Analog zu Sam Phillips, der in Memphis mit seinem lokalen, unabhängigen Label "Sun-Records" erst den Aufstieg von Elvis Presley ermöglichte. Als echter "Independent" hat Wagenbach drei Funktionen: in Deutschland schwer vermittelbaren "Acts" eine (verlegerische) Heimat zu bieten, die "Ausbildung" zu gewährleisten und für das ökologische Gleichgewicht am Flussufer zu sorgen. Eine Verlagslandschaft ohne Wagenbach wäre wie die deutsche Top Ten der Musikcharts: gecastete, gehypte profillose Sänger und Sängerinnen aus "Deutschland sucht den Superstar", Mainstream-Importe aus den USA und England, weitere Retortenbands und Einfältigkeit. Also: Drei Akkorde, Atonalität und einen big Groove für Wagenbach. Bitte weitermachen!

Titelbild

Klaus Wagenbach (Hg.): Warum so verlegen. Über die Lust an Büchern und ihre Zukunft.
Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2004.
160 Seiten, 5,00 EUR.
ISBN-10: 3803124875

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