Mit vierzig Jahren ausgemustert

Rolf Dobelli fragt in seinem zweiten Roman eine arbeitslose Führungskraft: "Und was machen Sie beruflich?"

Von Christian SchneiderRSS-Newsfeed neuer Artikel von Christian Schneider

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Kündigung kommt überraschend. Sicher, die wirtschaftliche Rezession war schon seit längerem deutlich zu spüren, doch wenn sich ihre Auswirkungen plötzlich bis ins eigene Leben erstrecken, trifft die Nachricht mit voller Wucht. Gestern noch war Gehrer Marketingchef eines internationalen Konzerns, heute ist er arbeitslos.

In Rolf Dobellis Erstlingsroman "Fünfunddreißig" begegneten wir Gehrer an seinem fünfunddreißigsten Geburtstag trotz seines beruflichen Erfolges inmitten einer Midlifecrisis. Nun sind fünf Jahre vergangen und es ist nicht mehr er, der an seinem Beruf und der Sinnhaftigkeit seines Lebens zweifelt. Nein, es ist der Arbeitsmarkt, der an ihm und seinem Wert für die Firma zweifelt. Mit vierzig auf dem Abstellgleis. Wer Gehrer aus dem Roman "Fünfunddreißig" kennt, wird ahnen, dass er sich nicht leicht tun wird, dieses Gleis zu verlassen.

Gehrer beschäftigt sich nach der Kündigung mit sich selbst und durchlebt alle Tiefen, die ein Fall aus dem höheren Management in ein berufliches Nichts mit sich bringt. Während seine Frau Jeannette als Rechtsanwältin gerade auf der Karriereleiter immer weiter nach oben steigt, scheitert er daran, sich in der neuen Situation zurecht zu finden. Zunächst kommt die Lügenphase. Jeden Tag mit Anzug außer Haus, sich im Café von allen Menschen ertappt fühlen und schließlich der große Krach, als seine berufliche Situation von Jeannette entdeckt wird.

"Und was machen Sie beruflich?" Eine Frage, die nur einen kleinen Teil des menschlichen Lebens meinen kann. Doch für Gehrer wird diese Frage zur Frage nach dem Sinn seiner Existenz. Je mehr er sich von seinem Beruf entfernt, umso mehr entfernt er sich von allen sozialen Kontakten und Beziehungen. Die Frage nach dem Beruf stellt sich für ihn als die Eintrittskarte in das gesellschaftliche Leben dar. Der Neuanfang will ihm nicht gelingen. Selbstständigkeit? Nichts für Gehrer. Vorstellungsgespräche? "Herr Gehrer, mit 40 sind Sie nicht mehr der Jüngste!"

Rolf Dobelli bleibt auch im zweiten Gehrer-Roman seinem Thema treu. Das berufliche Leben als der alles dominierende Aspekt im Alltag eines Menschen wird in der aktuellen wirtschaftlichen Kältephase zur Falle. Dabei erzählt Dobelli keine Neuigkeiten. Er spielt mit Klischees, zeigt die eindimensionale Sicht in ihrer ganzen scheinbaren Ausweglosigkeit und lässt mit zwinkerndem Auge das Lachen über Gehrers Leiden zu. Wer Gehrer mit fünfunddreißig kennen gelernt hat, wird vom vierzigjährigen Gehrer nicht überrascht sein. Den wirklich vom beruflichen Rezessionsschicksal Geschlagenen vermag die Hilflosigkeit Gehrers vielleicht etwas Trost zu spenden. Ihm selbst freilich wird dies nicht viel nutzen.

Titelbild

Rolf Dobelli: Und was machen Sie beruflich? Roman.
Diogenes Verlag, Zürich 2004.
236 Seiten, 18,90 EUR.
ISBN-10: 3257064462

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