Literatur zeugt Literatur

Hörbuchadaptionen von Alfred Döblins Roman "Berlin Alexanderplatz"

Von Katja HachenbergRSS-Newsfeed neuer Artikel von Katja Hachenberg

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Sehen Sie, es wäre mir nicht möglich gewesen, gleichzeitig mit dem Roman etwa einen Film Alexanderplatz zu schreiben, oder ein Theaterstück daraus zu machen. Ich kannte ja Biberkopf viel zu wenig. [...] Richtig kennengelernt habe ich Biberkopf eigentlich erst ein halbes oder dreiviertel Jahr später. Dann sah ich ihn voll und ganz. Dann sah ich auch, dass ein Theaterstück sich nicht aus Alexanderplatz formen ließ. [...] Es konnte nur ein Rundfunk-Hörspiel oder ein Film werden" - so Alfred Döblin in einem Interview vor der Uraufführung der Verfilmung seines Romans durch Phil Jutzi am 8. Oktober 1931. Seine Aufgeschlossenheit gegenüber den neuen Medien Film und Rundfunk hatte Döblin in einer Reihe von Beiträgen dokumentiert, die entschieden dafür plädierten, deren ästhetische und rezeptive Möglichkeiten für die Literatur fruchtbar zu machen. Neben seiner Mitarbeit an der genannten Verfilmung sah Döblin in der Schaffung einer Hörspielfassung die Chance, sich den "ungeheuren Aktionsradius" des Radios zunutze zu machen. Im Mai 1930 wurde die Ausstrahlung des Hörspiels, in dem Döblin den Stoff seines Romans ganz auf das Schicksal seiner Hauptfigur reduzierte, angekündigt. Als Sprecher waren prominente Schauspieler engagiert worden. Doch dann wurde die Sendung kurzfristig aus dem Programm genommen mit der von Döblin selbst verkündeten Begründung, dass "viele Szenen im Funkhaus kaum darzustellen sind". Das Hörspiel, das erst über drei Jahrzehnte später als Neuinszenierung im Rundfunk seine Premiere erlebte, erschien als "nicht mikrophongeeignet". Moniert wurde eine zu große Zahl der "Stimmen", deren akustische Differenzierung schwierig sei.

Der intermediale Romantext forderte und fordert mediale Adaptionen geradezu heraus. Neben die Verfilmungen durch Jutzi und R. W. Fassbinder und die von Döblin erarbeitete Hörspielfassung treten eine im August 1967 vom SFB produzierte, 1987 von der "Deutschen Grammophon" in der "Reihe Hörbuch" recycelte Lesung des Romans von Hannes Messemer sowie ein im September 2003 erschienenes Hörbuch des Patmos-Verlags, in dem "das Multitalent" Ben Becker die Geschichte von Franz Biberkopf erzählt. Wie gelingt die Umsetzung der hochkomplexen Struktur von "Berlin Alexanderplatz" in ein Medium des rein Akustischen, wie bewahrt das Hörbuch die produktive Idee des Romans? Das Medium schreibt selbst mit an dem Text, den es, in der Adaption, verändert, und, als veränderten, zugleich bewahrt und fortschreibt: "Literatur zeugt Literatur", so ein poetologisches Diktum Döblins, wobei das Literarische immer neue mediale Formen annimmt.

Ben Becker spielte die Rolle des Biberkopf hochgelobt bereits vor einigen Jahren am Maxim Gorki Theater Berlin. Daran schloss sich die Hörbuch-Produktion des Patmos-Verlags an, auf die wiederum eine in den Monaten August bis Oktober 2004 bundesweit zelebrierte Lese-Show folgte, für die der Patmos Verlag und Ben Becker eine eigene szenische Bühnenlesefassung mit Soundcollagen und Lichteffekten erarbeitet haben. Becker, erfolgreich beteiligt an Audioproduktionen wie "Panikpräsident", "Rilke Projekt 1-3" und "Fieber. Tagebuch eines Aussätzigen", gilt, mit dem Beherrschen der "Berliner Schnauze", als Idealbesetzung des Franz Biberkopf. Spielt Becker den Biberkopf, oder liest er ihn? Bereits das recht umfangreiche Booklet zum Hörbuch, das eine politische Lesart des Romans akzentuiert, bietet dem Schauspieler, der Biberkopfs Geschichte erzählt, eine Bühne für die eigene Inszenierung: Der Sprecher präsentiert sich hier als Protagonist. Das Hörbuch kürzt die enorme inhaltliche und formale Vielschichtigkeit der Romanvorlage auf eine Erzählzeit von knapp drei Stunden Dauer. 19 Tracks ermöglichen die gezielte Ansteuerbarkeit einzelner Textpassagen, wobei die einzelnen Tracks mit den Zwischenüberschriften der Textvorlage betitelt werden. Ein lesender Vergleich mit Döblins Text gestaltet sich dabei nicht immer einfach, da Track/Zwischenüberschrift/zitierter Romanpassus keinesfalls immer übereinstimmen. Döblins Text erleidet nicht allein eine beinahe unerhörte Reduktion von Komplexität, was seine inhaltlichen Strukturen angeht - weg gekürzt werden beispielsweise die Vorrede zum Roman (diese ist allerdings im Booklet abgedruckt), der Aufenthalt Biberkopfs in der Irrenanstalt, das wichtige "Lied des Todes", das auf metaphorischer Ebene zentrale Schlachthof-Motiv, das Hiob-Thema oder die im Roman leitmotivisch zitierte Formel vom "Schnitter Tod". Der Pressung der erzählten Zeit auf die dreistündige Erzählzeit fallen vor allem auch die formalen Qualitäten des Textes zum Opfer: Die Montage verschiedenartigster sprachlicher Elemente wie Reklameslogans, Schlagerzitate, Nachrichtenfetzen und so fort, die Collagierung der disparatesten Eindrücke, die Simultaneität des Erfahrenen, die Bewegtheit der Darstellung, der diskontinuierliche Stil. Ben Becker erzählt - eine kontinuierlich sich abspulende, eindimensional gelagerte, gut zu hörende und damit rezeptionsfreundliche Geschichte, die zwar, getragen von der Stimme Beckers, einen kohärenten Erzählraum auszubilden vermag, der allerdings der Verflochtenheit und dem Beziehungsreichtum seiner literarischen Vorlage nicht gerecht wird. Der von Becker erzählte Raum erscheint eigentümlich leer, unbevölkert vom bunten Stimmenreichtum der Romanvorlage.

Da wird die Lesung des Romans durch den ebenfalls an mehreren Hörbuch-Produktionen beteiligten Hannes Messemer dem Text weitaus eher gerecht. Die neun Langspiel-Kassetten, die bei "Amazon.de" im Gegensatz zum pompös vermarkteten Becker-Hörbuch (2.424) lediglich auf Verkaufsrang 248.714 rangieren, verfügen über eine Gesamtlänge von zwölf Stunden, so dass der gelesene Text in seinem Facettenreichtum sich über eine ausreichende Erzählzeit hinweg entfalten kann. Es finden sich nur wenige Kürzungen, so dass die zentralen Themen und Leitmotive gelesen zu ihrem Recht kommen. Messemer gibt den auftretenden Charakteren ihre eigenen Stimmen, spricht besonders den Franz Biberkopf mit starker Präsenz, schöpft alle klanglichen Potenziale, die die Vorlage bietet, in differenzierten stimmlichen Schattierungen aus. Problematisch erscheint, wie im Becker-Hörbuch, dabei die streckenweise Diffusion von Erzählerfigur und Protagonist, die nicht immer exakt mögliche Verortbarkeit des "wer spricht?".

Die Wirkungsgeschichte der Werke Döblins, ihr schöpferisches Potenzial ist ungebrochen. Die Hörbuchadaptionen seiner Werke, exemplarische Beispiele des seit einigen Jahren andauernden enormen Booms der "akustischen Bücher", deuten dabei immer auch hin auf eine zu verzeichnende Verschiebung in der Schreibung von Literaturgeschichte: Zu bemerken ist eine Rückkehr der Literatur zu ihrem Ursprung, zum gesprochenen Wort, und eine damit zusammenhängende Rückgewinnung des agierenden, hier: stimmlich agierenden Körpers beim Vermitteln (und Rezipieren) von Literatur.

Kein Bild

Alfred Döblin: Berlin Alexanderplatz. 9 Toncassetten. Mit Beiträgen von Hannes Messemer.
Universal Music Entertainment Deutsche Grammophon, Hamburg 1987.
820 Minuten, 56,00 EUR.
ISBN-10: 3932784979

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch

Titelbild

Alfred Döblin: Berlin Alexanderplatz. Interpretiert von Ben Becker. 3 CDs.
Patmos Verlag, Düsseldorf 2003.
175 Minuten, 19,95 EUR.
ISBN-10: 3491910757

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch