Unbewältigte Konflikte

Michael Hofmanns Arbeitsbuch zu Schiller

Von Kai KöhlerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Kai Köhler

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

An Büchern zu Schiller, auch an einführenden, besteht kein Mangel, und die bevorstehenden Jubiläen von 2005 und 2009 werden weitere Produktionen hervorbringen. Michael Hofmann kann sich deshalb mit seinem "Arbeitsbuch" zu Schiller nicht damit begnügen, brauchbare Informationen zusammenzutragen, sondern muss durch Auswahl wie Akzentsetzung ein eigenes, deutlich umrissenes Schiller-Bild skizzieren.

Das Buch ist einerseits durchaus für eine partielle Nutzung konzipiert. Man sieht die studentische Referatsgruppe vor sich, die sich dankbar auf die gut zehn Seiten pro Drama bezieht; der pragmatische Blick auf die Interessen der wichtigsten Lesergruppe zieht Redundanzen nach sich, die eine durchgehende Lektüre zu einem geringen Vergnügen machen. Andererseits versucht Hofmann in kluger Selbstbeschränkung nicht, zu allem irgendetwas zu bringen. Um einige der komplexen Texte Schillers angemessen vorstellen zu können, sind andere nicht berücksichtigt. Der "Fiesco" ist ebenso wenig wie "Die Jungfrau von Orleans" und "Die Braut von Messina" interpretiert, die Lyrik ist recht kurz abgehandelt, und auch ein Kapitel zur "Geschichte des Abfalls der vereinigten Niederlande" fehlt. Die kommentierten Bibliografien vermitteln insgesamt einen guten Forschungsüberblick; gerade weil Hofmann keinem falschen Aktualitätsideal huldigt, vielmehr auch gute oder doch wenigstens einflussreiche ältere Arbeiten nennt. Schlechter als die Auswahl ist die Kommentierung, die nicht immer den Gebrauchswert des "Arbeitsbuchs" erhöht. Allzu oft ersetzen Werturteile ("frühe kreative Würdigung von Schillers Historik" einen Hinweis auf den spezifischen Inhalt, auch ist sicher niemandem mit der Information gedient, er finde in einem Buch "anregende, aber etwas weitschweifige Überlegungen".

Fast wirkt es, als habe sich Hofmann solch scheinbar formaler Aufgaben etwas lustlos entledigt, um lieber sein eigenes Schiller-Bild zu pointieren. Dieses Bild ist nicht komplett neu - was bei einem derart umfassend abgehandelten Autor auch nicht einzufordern ist. Gleichwohl ist es scharf konturiert. Hofmann distanziert sich von allen harmonisierenden Zügen in Schillers Texten; von Zügen, die frühere, konservativ gestimmte Interpreten nur allzu gern aufgriffen. Statt moralisierender Antworten auf die Fragen, die in Schillers Gegenwart auf der von Gewalt bestimmten Tagesordnung standen, entdeckt Hofmann besonders die Dramen als Versuchsanordnungen, in denen der meist zerstörerische Umgang von Individuen mit Macht durchgespielt wird. Insofern erscheint Schiller, ganz gegen das etablierte Klischee, als Autor, der klare Handlungsanweisungen verweigert. In Hofmanns überzeugender Lesart geraten auch sonst gerne eindeutig positiv bestimmte Figuren wie der Marquis Posa oder Wilhelm Tell in Konflikte, die keine eindeutige Auflösung erlauben.

Freilich: Unterliegt etwa Posa, wie Hofmann meint, einer Dialektik der Aufklärung, insofern Zweck und Mittel auseinander klaffen? Es liegt nahe, dass sich Hofmann auf Adorno und Horkheimer beruft, die, während sie im Exil ihre Theorie erarbeiteten, nun aber zu Recht eine Kriegsführung der Alliierten gegen das faschistische Deutschland befürworteten, die in ihren Mitteln weit über die harmlosen Manipulationen eines Posa hinausging. Ein Unterschied liegt im historischen Erleben: Kurz vor den Jahrzehnten europäischer Kriege, die von der Französischen Revolution eingeleitet wurden, konnte sogar der Trauerspieldichter Schiller mehr Hoffnung auf menschliche Vervollkommnung setzen als die beiden Flüchtlinge gegen Ende einer dreißigjährigen Konfliktphase. Doch auch der Dichter nahm die Notwendigkeit wahr, sich mit den unerfreulichen Alltäglichkeiten der Machtpolitik zu befassen. Die historischen Schriften, die im Anschluss an den "Don Carlos" entstanden, zeigen, wie sich Schiller ein Verständnis pragmatischen politischen Handelns erarbeitete.

Indem Hofmann das grundsätzlich Fragliche der Figuren hervorhebt, entgeht er jedenfalls der einen Gefahr, der Schiller-Interpreten noch jetzt vielfach erliegen: eine Figur zum Sprachrohr des Autors zu ernennen und derart arbeitssparend eine Interpretation zu begründen, die dann freilich weit unter der Komplexität der Werke bleibt. Insofern er das Offene der Werke hervorhebt, vermeidet er auch den anderen beliebten Fehler, die Dramen als Illustration von Schillers ästhetischer Theorie zu lesen. Den Bezug von Dichtung und Theorie stellt Hofmann gerade auf entgegengesetzter Ebene her: Auch die beiden großen Abhandlungen, "Ueber die ästhetische Erziehung des Menschen" und "Ueber naive und sentimentalische Dichtung" erscheinen in seiner Darstellung als Konfliktfelder. Schiller erprobt hier Gedanken, die auch am Ende nicht zum durchdachten System gerinnen. Hier sieht man die schon oben imaginierte Referatsgruppe enttäuscht sich abwenden - in einer hoffentlich produktiven Enttäuschung, die zur Erkenntnis führen kann, dass gerade im Nichtbewältigten das historische und gegenwärtige Problem seine Präsenz gewinnen kann.

Nach Hofmann zieht Schiller mit seiner Theorie des Erhabenen die Konsequenz aus der Konfliktlage und versucht entsprechend im dramatischen Spätwerk, das Aushalten von Widersprüchen statt ihrer Auflösung zu demonstrieren. Gerade hier zeige sich die Möglichkeit, an den Reflexionsstand einer sich postmodern reflektierenden Moderne anzuknüpfen. Leider ist Hofmanns Darstellung der Theorie des Erhabenen derart komprimiert, dass die für die Gesamtkonzeption weit reichenden Schlussfolgerungen nur schwer nachvollziehbar sind und man sich mit dem Glauben begnügen muss.

Nicht ganz glücklich ist auch die Einleitung zu "Schiller in seiner Epoche" angelegt. Nach einem knappen, doch informativen biografischen Teil werden auf gerade dreizehn Seiten "Schiller und die Strömungen seiner Zeit" abgehandelt, worunter Hofmann neben Einflüssen auf Schillers Bildungsweg auch dessen Haltung zur Französischen Revolution und, knapp skizziert, die theoretisch-ästhetischen Grundlagen versteht. Holzschnittartig ist eine Epochenzuordnung versucht, deren Resultat "Spätaufklärung" lautet, die nämlich eine Aufklärung sei, die über sich selbst zu reflektieren beginne. Ganz falsch ist das nicht, auch wenn Hofmanns Engführung mit einer postmodernen Moderne allzu viel an historischen Unterschieden einebnet - und man zudem das Maß, in dem die gegenwärtige Gesellschaft Selbstreflexion übt, nicht überschätzen sollte. Freilich bleibt das Kennwort grob, zumal Hofmann auch Empfindsamkeit und Sturm und Drang in den Prozess des Reflexivwerdens der Aufklärung einbezieht.

Dadurch wird das Besondere dieser "Spätaufklärung" undeutlich, und es erhebt sich die Frage, welchen Nutzen überhaupt dies Gruppenetikett besitzt. Für unser Verständnis Schillers ist auf diese Weise wenig gewonnen, was sich nicht auch durch genaue Lektüre erschließen lässt. Den meisten Nutzern des "Arbeitsbuchs" wäre wohl mit einer sozialgeschichtlichen Skizze eher gedient gewesen. Diese zwar lässt Hofmann mit der zutreffenden Begründung beiseite, dass die gesellschaftlichen Bedingungen der Epoche schon vielfach dargestellt wurden; das ließe sich allerdings auch gegen seine geistesgeschichtliche Bestimmung einwenden und gilt ohnehin nicht für einführende Literatur, die um die Wiederholung von Bekanntem nicht herumkommt.

Ein informativer Abschnitt über die Wirkung Schillers im In- und Ausland beschließt das Buch. Besondere Aufmerksamkeit schenkt Hofmann der Rezeption im "Dritten Reich". Dabei begnügt er sich nicht damit, wie üblich den Missbrauch eines daran unschuldigen Autors zu beklagen. Die Möglichkeit zur falschen Indienstnahme Schillers sieht Hofmann in dessen klassizistischem Idealismus angelegt, der auf Synthese und damit die Unterdrückung des Abweichenden ziele. Doch gilt wohl auch für den Faschismus, was Hofmann an anderer Stelle als Charakteristikum der Schiller-Rezeption überhaupt herausarbeitet: dass sie durch Fragmentierung, durch den Gebrauch einzelner Sentenzen, bestimmt ist. Gerade das Scheitern Schillers als Klassizist, das Hofmann betont, ermöglichte die unvermittelte politische Verwendung des Dichters. Freilich erklärten die Ideologen ihre Lieblingsfragmente sogleich zum ganzen Schiller. Hofmann dagegen stellt das Konfliktverhältnis der Teile heraus und markiert damit den Weg, Schiller für die Gegenwart produktiv zu machen.

Titelbild

Michael Hofmann: Schiller. Epoche - Werk - Wirkung.
Verlag C.H.Beck, München 2003.
216 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-10: 3406510108

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