Schillers unabgegoltene Aktualität

Peter-André Alt über Schillers Leben und Werk

Von Ursula HomannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ursula Homann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Vor einigen Jahren veröffentlichte Peter-André Alt, Jahrgang 1960, Professor für Neuere deutsche Literaturgeschichte an der Universität Würzburg, eine wegweisende zweibändige Schiller-Biografie (vgl. Ralf Hertel in literaturkritik.de 12/2000). Nun hat er zum Schiller-Jahr eine kleine kompakte Einführung in Schillers Leben und Werk vorgelegt, wobei er vieles, was an Schiller wichtig war und noch ist, auf den Punkt bringt und auf wenig Raum eine Fülle von Informationen bietet, allerdings in einem manchmal etwas sperrigen Stil.

"Friedrich Schillers Leben", schreibt Alt, "stand unter dem Diktat der literarischen Arbeit." Große Liebschaften, religiöse Leidenschaften, Verwerfungen, Konversionen und Reisen habe es in seinem Leben nicht gegeben, und viele fremde Orte habe er nur in der Phantasie, jenseits der praktischen Erfahrung kennen gelernt. Zudem saß er anders als Goethe niemals am Kabinettstisch eines deutschen Fürstenhofes. "Den Spuren des antiken Rom ist er im Gegensatz zu den großen Italienreisenden seiner Zeit nicht selbst nachgegangen; die Französische Revolution blieb für ihn ebenso ein Zeitungsereignis wie der Krieg der alten Mächte gegen Frankreich und der Aufstieg Napoleon Bonapartes."

Offensichtlich bedurfte Schiller der empirischen Anschauung nicht, um für zentrale Konfliktfälle und Umbrüche seiner Zeit die Diagnose zu stellen. Auch sah er sich nicht ausschließlich als Schriftsteller der Deutschen, sondern als literarischen Weltbürger und kosmopolitischen Autor, dessen intellektuelle Aufmerksamkeit in erster Linie den historischen Prozessen der europäischen Kultur, kaum aber nationalen Einzelinteressen galt. Für ihn bestand, nach eigenem Bekunden, "das Vorrecht und die Pflicht des Philosophen wie des Dichters, zu keinem Volk und zu keiner Zeit zu gehören, sondern im eigentlichen Sinne des Wortes der Zeitgenoße aller Zeiten zu seyn."

Schillers Leben war geprägt durch literarische Anerkennung und künstlerischen Ruhm, wie ihn zuvor, mit Ausnahme Goethes, kein zweiter Autor in Deutschland errungen hat, befindet Alt und sieht in der damals zunehmenden Alphabetisierung der Bevölkerung, im expandierenden Buchmarkt, im Anwachsen des weiblichen Lesepublikums und der Ausbreitung bürgerlicher Wertvorstellungen im Zeichen des Gefühlsideals der Empfindsamkeit die äußeren Voraussetzungen für die gesellschaftliche Anerkennung, die ein Schriftsteller im ausgehenden 18. Jahrhundert gewinnen konnte.

Mit seinem Debütdrama "Die Räuber" wurde Schiller zu einem gefeierten Schriftsteller. Wie begeistert, ja stürmisch dieses Stück bei der Premiere aufgenommen wurde, geht aus einem von Alt zitierten Augenzeugenbericht hervor, in dem es heißt: "Das Theater glich einem Irrenhause, rollende Augen, geballte Fäuste, stampfende Füße, heisere Aufschreie im Zuschauerraum! Fremde Menschen fielen einander schluchzend in die Arme, Frauen wankten, einer Ohnmacht nahe, zur Türe. Es war eine allgemeine Auflösung wie im Chaos, aus dessen Nebel eine neue Schöpfung bricht."

Durch eigene Zeitschriften schuf sich Schiller schon früh ein Forum, das der Verbreitung seiner künstlerischen Ziele diente. Das "Wirtembergische Repertorium", die "Thalia" und die "Horen" wurden für ihn zur publizistischen Plattform. Gefördert wurde Schiller durch aufstrebende Verleger wie Göschen in Leipzig und Cotta in Stuttgart. Auch an Ehrungen fehlte es nicht in seinem Leben: Ende Dezember 1785 verlieh ihm der Herzog Carl August den Titel des Weimarischen Rates, Mitte Dezember 1788 erfolgte, angeregt durch Goethe, die Berufung auf eine außerordentliche Professur für Philosophie an der Universität Jena, zu Beginn des Jahres 1790 die Ernennung zum Hofrat durch den Erbprinzen von Sachsen-Coburg und Ende August 1792 die Ernennung zum Ehrenbürger Frankreichs durch die Pariser Nationalversammlung. 1802 wurde Schiller in den Adelsstand erhoben.

Dunkle Punkte in seiner Biografie und schwerwiegende Rückschläge kommen in dem Büchlein gleichfalls zur Sprache. Doch gehörte es wohl zu den Grundmustern in Schillers Leben, dass ihm in Notlagen Unterstützung durch generöse Helfer zuteil wurde, wie etwa durch den Dresdener Oberkonsistorialrat Christian Gottfried Körner und dessen Freunde. In Weimar ebneten ihm 1787 Wieland und Herder den Weg zu den einschlägigen Literatur- und Hofzirkeln. Die Freundschaft zu Goethe, die sich nach vielen Anlaufschwierigkeiten erst in seinem letzten Lebensjahrzehnt entwickelte und die, wie Alt zu Recht feststellt, in der Geschichte der deutschen Literatur nichts Vergleichbares hat, gehört ebenfalls zu den hellen Seiten in Schillers Leben wie auch die Ehe mit Charlotte von Lengefeld, die sich nach ihrer Heirat ganz auf die Erfüllung häuslicher Pflichten konzentrierte und ihre zentrale Aufgabe darin sah, Schiller die nötige Schreibruhe zu ermöglichen, ohne dabei nach eigenem Bekunden selbst unglücklich zu sein.

Große Teile seines heute als klassisch bezeichneten Werkes hat Schiller im wahrsten Sinne des Wortes dem Tod abgerungen und sich mit eiserner Disziplin trotz periodisch wiederkehrender Krankheitsschübe dem Diktat der literarischen Produktion unterworfen. In seinen Texten findet man indes kein Wort über die Krankheit.

Peter-André Alt verfolgt kurz die einzelnen Stationen in Schillers Leben und widmet seiner Lyrik und seinen Dramen längere sachkundige Kapitel. In einzelnen Abschnitten würdigt er den Publizisten und Erzähler, den Wegbereiter des modernen Kriminalromans sowie den Historiker Friedrich Schiller. Sowohl im Bereich der Geschichtsschreibung wie im Bereich der Ästhetik war der Dichter, laut Alt, ein methodisch emanzipierter und gerade daher unorthodoxer Aufklärer.

Seine nach 1792 entstandenen ästhetischen Studien zeugen von einer intensiven theoretischen Auseinandersetzung mit der Philosophie Kants, doch sind sie zugleich auch eine Reaktion auf die Revolution in Frankreich. Der Umschlagpunkt, an dem sich Schillers Sympathien für die Politik der Nationalversammlung in offene Ablehnung verwandeln, ist, so der Verfasser, genau markierbar, nämlich durch den Beginn des Prozesses gegen Ludwig XVI., der mit der Verhängung des Todesurteils endete. Von jenem Zeitpunkt an vertrat Schiller strikt die Überzeugung, dass der Mensch zur Freiheitsfähigkeit erst erzogen werden müsse.

Schillers Hoffnung auf die erzieherische Wirkung der Kunst, mahnt Alt, sollte ernst genommen werden, auch wenn sie im Horizont der wechselnden Schreckensherrschaften der Moderne illusionär anmutet. "Ihr Ursprungsort ist ein dialektisches Denken, das sich selbst kontrolliert, indem es seinen dynamischen Charakter als Element einer modernen Bewusstseinsgeschichte begreift. Schillers unabgegoltene Aktualität liegt in dieser offenen Reflexionskultur begründet, die sein Werk zum Element einer progressiven Aufklärung mit dem Treibsatz der permanenten Kritik am 'Status quo' werden lässt."

Titelbild

Peter-André Alt: Friedrich Schiller.
Verlag C.H.Beck, München 2004.
128 Seiten, 7,90 EUR.
ISBN-10: 340650857X

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