Proteus, Ariel, Monstrum

Jean Pauls Persönlichkeit, erhellt aus Berichten seiner Zeitgenossen

Von Christoph JürgensenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Christoph Jürgensen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Jean Paul hat das Lesepublikum schon immer gespalten: Die seriösen Weimarer Klassiker etwa lehnten ihn wegen der mangelnden Ordnung seiner Werke ab, während Thomas de Quincey gerade das "unbändige, wirbelnde, bizarre, kapriziöse, unberechenbare" dieser Prosa als besondere Qualität hervorhob und deshalb den "Proteus, Ariel, das Monstrum" Jean Paul allen anderen deutschen Autoren vorzog. Ähnlich lebendig und vielgestaltig wie das Werk muss auch Jean Pauls Charakter gewesen sein, wie sich der kürzlich erfolgten Neuauflage von Eduard Berends Sammlung "Jean Pauls Persönlichkeit in Berichten der Zeitgenossen" entnehmen lässt.

Eduard Berend, der nahezu sein gesamtes Forscherleben Jean Paul widmete, hatte eine erste Zusammenstellung von Zeugnissen zu dessen Persönlichkeit bereits im Jahre 1913 herausgegeben, noch bevor er mit der gewaltigen Arbeit an der historisch-kritischen Jean Paul-Ausgabe begann. 1956 erschien mit einer zweiten Sammlung von Briefen, Tagebuchauszügen und Lebenserinnerungen sozusagen eine zweite Auflage, die fast doppelt so umfangreich wie ihr Vorgänger war. Fungieren sollte sie, wie Berend in seinem Vorwort ausführt, nur als "Ergänzung zu der Gesamtausgabe von Jean Pauls Werken" - eine zu bescheidene Formulierung. Vielmehr legte er einen Band vor, der eine alternative, ja vielleicht sogar "die immer noch beste Biographie" (Thomas Wirtz) von Jean Paul bietet.

Glücklicherweise ist Berend nicht der Versuchung erlegen, nur positive, affirmative Stimmen in den Band aufzunehmen. Unter den Berichten finden sich also auch einige kritische bis böse Kommentare, wie etwa Schlegels Bemerkung zu Schleiermacher, Jean Paul sei "ein vollendeter Narr", Schillers berühmte Formulierung, Jean Paul sei ihm "fremd wie einer, der aus dem Mond gefallen ist", oder die Bemerkung von Garlieb Merkel, er fühle sich von ihm "unangenehm zurückgestoßen". Auch Widersprüchliches findet sich: Immer wieder wird berichtet, wie lebhaft im Gespräch Jean Paul sei, dass er die Menschen geradezu mit einem "Ozean" an Worten überschwemme, wohingegen Böttiger ihn als sehr zurückhaltend schildert und ein lakonisches "spricht wenig" vermerkt. Doch gerade diese Widersprüche und die gelegentlich feindseligen Bemerkungen tragen entscheidend zu dem lebendigen Eindruck von Jean Paul bei, den der Leser dieses Bandes erhält.

Mehrheitlich aber sind die Berichte über jenen Autor, der mit bürgerlichem Namen Johann Paul Friedrich Richter hieß, enthusiastisch. Die vielen Stimmen von begeisterten Lesern - und vor allem von begeisterten Leserinnen des "Hesperus", seines beim weiblichen Publikum äußerst erfolgreichen Romans - fügen sich nach und nach zu dem Porträt eines Menschen zusammen, der äußerst gesellig und von schnellem, scharfem Geist, zugleich aber von fast kindlichem Gemüt und sehr empfindsam, leicht zu Tränen gerührt war. Mit großer Begeisterung spricht er über Literatur, über Astronomie und andere Wissenschaften und verbindet dabei in einer auch für seine literarischen Werke charakteristischen Weise die disparatesten Themen. Natürlich ergeben sich im Verlauf des Bandes einige Wiederholungen, geraten vor allem die Beschreibungen von Besuchen bei dem berühmten Autor etwas stereotyp, doch das mindert die Lesefreude kaum. Zunächst wird häufig die Überraschung über die Physiognomie Jean Pauls mitgeteilt, die so gar nicht der Erwartung entspricht, die man von dem Verfasser so feinsinniger Werke hat, sondern mit Glatze und Doppelkinn eher einen groben und schlichten Eindruck erweckt. Bald allerdings sind die Bewunderer der Werke auch von dem Menschen Jean Paul eingenommen, der besonders in jungen Jahren vor "Witz, Geist, Gedankenfülle, Empfindungsglut sprudelt". Einige der Berichte sind übrigens derart ausführlich und präzise, dass sie sich als eigenständige Essays über Jean Paul lesen lassen, namentlich beispielsweise diejenigen von Karl August Varnhagen von Ense oder dem Verleger Karl Friedrich Kunz.

Und natürlich ist häufig davon die Rede, dass Jean Paul viel, ja zu viel trinkt - schließlich ist er der wohl bekannteste Biertrinker der Literaturgeschichte, ein Komplex, dem schon ganze Studien gewidmet wurden. Während Jean Paul selbst seinen enormen Bierkonsum mit gesundheitlichen Erwägung begründet, erregt er bei der restlichen Gesellschaft Besorgnis. Therese Huber etwa berichtet an Luise von Herder: "Da seine Flasche leer wird, wird seine Stirne röter, und um zwei Uhr ist sie violett; er ist dann aber nur aufgeregt, gut, herzlich, doch nicht betrunken - aber da klagt der Richter über Vollblütigkeit, über ein öfteres Aufhören des Schlagens vom Herzen, läßt sich vor acht Tagen zur Ader und hängt sich vor drei Tagen acht Blutegel an den Hals - und dazu leert er früh eine Flasche Schnaps, mittags Wein, abends Bier und Tee mit Arrak." Besonders eindringlich sind dann die umfangreichen Berichte aus Jean Pauls letzten fünfzehn Lebensjahren, in denen sich sein Gemüt durch die langsame Erblindung und die mangelnde Beachtung der späten Werke zunehmend verdüsterte. Und vor allem den frühen Tod seines Sohnes konnte er nicht verwinden; sein letzter großer Roman, der "Komet", blieb daher Fragment. Im Tagebuch von Platen findet sich aus dieser Zeit die Eintragung: "Er ist sehr gealtert, wahrscheinlich durch den Schmerz um den Tod seines Sohnes."

Diese Kompilation dem Leser wieder zugänglich zu machen, war eine begrüßenswerte Entscheidung des Böhlau Verlages. Ergänzt werden die Zeugnisse durch einen sorgfältigen, informativen Kommentar von Berend, der das Verhältnis von Jean Paul zu den jeweiligen Berichterstattern erläutert und dabei vorsichtige Hinweise gibt, wie deren Aussagen zu werten sind, sowie ein umfangreiches Register und einen Bildteil. Insgesamt gewährt der Band damit sowohl einen äußerst anschaulichen Blick auf den Menschen und die Dichterpersönlichkeit Jean Paul als auch auf das Geistesleben seiner Zeit und stellt daher nicht nur für Jean Paul-Forscher einen Gewinn dar.

Titelbild

Eduard Berend (Hg.): Jean Pauls Persönlichkeit in Berichten der Zeitgenossen.
Verlag Hermann Böhlaus Nachf. Weimar, Weimar 2001.
490 Seiten, 49,90 EUR.
ISBN-10: 3740011793

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