Von Bildern, Macht und Lebenskunst

Foucaults Auseinandersetzung mit den Künsten

Von Rainer ZuchRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rainer Zuch

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Michel Foucault ist nun 20 Jahre tot, und alle schreiben über ihn. In den letzten Jahrzehnten tauchte er in philosophischen, soziologischen, psychologischen, historischen, literaturwissenschaftlichen, kunstgeschichtlichen und medienwissenschaftlichen Diskursen auf. Das ist kein Wunder, war er doch ein außerordentlich vielseitiger Autor mit breit gefächerten Interessen, der den diversen Fachwelten zugleich die Möglichkeit der Destillation einiger griffiger Leitmotive bietet: Diskurs, Macht, Praxis, Archäologie, Dispositiv und Kunst.

Der Sammelband "Foucault und die Künste" thematisiert einen solchen philosophischen Schlüsselbegriff. Wenn man jedoch von Foucaults Beschäftigung mit den Künsten spricht, ist es hilfreich, sich erst einmal darüber klar zu werden, was gemeint ist. Foucault setzte sich nämlich sowohl mit den bildenden Künsten als auch mit Kunst im denkbar weitesten Sinn auseinander. Der Band orientiert sich an der maximalistischen Definition, geht es doch um den Begriff der Kunst im Sinne von "techné" wie auch um die "Lebenskunst" als eine Ästhetik der Existenz, die Kunst der Lebensführung. Der Kunst-Diskurs führt also mitten hinein in das Werk des hauptsächlich als Strukturalist bekannten Philosophen.

Die bildenden Künste und ihre Nachbardisziplinen sind dabei durchaus markant vertreten. Die Aufsätze von Thierry de Duve und Michael Glasmeier beschäftigen sich mit Foucaults Verhältnis zu Manet, Magritte und Broodthaers; Pravu Mazumdar vergleicht Foucaults und Benjamins Konzepte von Repräsentation und Aura in der Kunst der Moderne. Weitere Themen sind die Fotografie (Bernd Stiegler) und die "Medien" (Wolfgang Ernst); der Begriff des "Mediums" wird hier der Beschränkung auf elektronische und/oder Massenmedien entkleidet und in seiner ureigensten Bedeutung gebraucht. Literatur und Sprache ist das Thema von Arne Klawitter. Andreas Hiepko thematisiert Foucaults Übersetzungen.

Aber wie gesagt, das Verständnis von "Kunst" ist ein wesentlich weiteres. Peter Weibel diskutiert mit Kunst und Macht ein für Foucault zentrales Diskursverhältnis. Macht spielt auch in den "Räumen der Regierung" von Thomas Lenke eine wichtige Rolle. Walter Seitter geht auf Kriegs-, Friedens- und Geschichtskunst ein. Der Zusammenhang von "Ordnung" und "Wissen" am Beispiel der Bibliothek als Schematisierungs- und Archivierungssystem von Wissen ist das Thema von Ulrich J. Schneider. Wilhelm Schmid schließlich nimmt Foucaults Verständnis der "Lebenskunst" in den Blick, während René de Ceccatty daran mit der Rolle der Homosexualität anschließt.

Foucaults Macht-Diskurse begegnen jedoch in mehreren Texten und das von Peter Weibel angesprochene Begriffspaar ebenso. Dass die Konstitution bzw. die Konstruktion des Subjekts immer mit der Frage nach Macht verbunden sei, ist ein zentraler Aspekt in Judith Revels klarem und durchdachtem Beitrag zu Foucaults Selbstkonstruktion als Autor. Sie stellt heraus, dass er sich seiner Selbstmächtigkeit gerade durch seine Weigerung versichert, als ein kohärenter und kontinuierlicher Autor zu erscheinen und die Einheit des Subjekts mit dem Begriff der Diskontinuität bricht. Im modernen Sinne repräsentiert er in seinem Werk chronologisch und diachronisch mehrere Autoren.

Wilhelm Schmids Diskussion der "Lebenskunst" schlägt in die gleiche Kerbe: In der Antike war die Vorstellung vom Leben als Kunstwerk mit einer Idee von Selbstmächtigkeit verbunden, die das Selbst in Gestalt eines in sich ruhenden Pols stärken sollte, was auch bedeutete, den unausweichlichen Widrigkeiten des Lebens mit Gelassenheit zu begegnen. Der Vorstellung eines einheitlichen und ruhenden Selbst tritt in der Moderne wie in der Postmoderne die Vorstellung eines brüchigen Selbst entgegen, welches das Leben und das Subjekt als Experiment und Möglichkeitsfeld begreift und dies gegen die normativen und regulierenden Machtansprüche der entwickelten bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft verteidigen muss. Bereits der Begriff der "Ästhetik der Existenz" demonstriert eine Frontstellung gegen die Forderungen nach Funktionalisierung und Verwertbarkeit des Subjekts und scheint heute aktueller denn je zu sein. Den Wandlungen der "Lebenskunst" entsprechen dabei die Wandlungen im Verständnis von "Kunst".

Aber auch die bildenden Künste sind untrennbar mit dem Begriff der Macht verwoben: Nicht nur sind sie in zahlreiche soziale, institutionelle wie auch diskursive Machtverhältnisse eingebunden, wie Weibel herausstellt; vor allem übt ein Kunstwerk Macht durch seinen Charakter als repräsentierendes Zeichen aus. Die Autoren, die die bildenden Künste in ihren Fokus nehmen, fragen denn auch nach den Erscheinungsformen der Repräsentation: Was wird wie und warum repräsentiert, und was wird dadurch, dass etwas sichtbar gemacht wird, gleichzeitig unsichtbar gemacht (Mazumdar)? Nicht zuletzt geht es um die sich im Repräsentationsraum zwischen Künstler, Werk und Betrachter entfaltende Macht des Blickes, der als aktiver, sein Gegenüber als Objekt konstituierender begriffen wird. Im Kunstwerk hat er zwei Seiten: den Blick des Künstlers, der seine Objekte im Bild erschafft und die aus dem Bild heraus auf die Betrachtenden einwirken, und den Blick eben der Betrachtenden, die ihrerseits das Bild als Objekt konstituieren und in ihre Lebensentwürfe integrieren.

Die Frage nach der Sichtbarkeit bezieht sich bei Foucault nicht nur auf das Verhältnis von Repräsentation und Nichtrepräsentation in der Darstellung, sondern auch auf das Medium selbst. Die von Mazumdar für die bildende Kunst aufgeworfene Frage nach der Transparenz der Repräsentation kann formuliert werden als die Frage, ob sich das Bild als Medium unsichtbar machen will, indem es als "Fenster" fungiert, oder ob es als materielles Objekt selbst in Erscheinung tritt. In Wolfgang Ernsts Diskussion von Foucaults Medienverständnis taucht dies als Frage nach der Sichtbarkeit des Mediums wieder auf: Medien haben die Tendenz, sich als solche unsichtbar zu machen, sind aber als historisch gebundene und technisch bedingte Dispositive zu begreifen und ihre Funktion als Archivträger und Informationsspeicher durch eine Medienarchäologie sichtbar zu machen. Ernst zufolge bleibt Foucault jedoch auf der Ebene der Zeichen stehen und berücksichtigt zu wenig die Materialität von Archiv und Medium.

Zum Schluss noch eine kleine Meckerei. Die über die bloßen Texte hinausgehende Ausstattung des Buches lässt leider etwas zu wünschen übrig. So fehlen Angaben zu den Autoren sowie ein Register, aber bekanntlich geht der Suhrkamp Verlag damit generell eher sparsam um. Dessen ungeachtet liegt hier ein vielseitiger und anregender Band vor, der auch als Einführung in das Werk Foucaults genutzt werden kann.

Titelbild

Peter Gente (Hg.): Foucault und die Künste.
Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 2004.
338 Seiten, 13,00 EUR.
ISBN-10: 3518292676

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