Sex und Lügen - auf Video

Von Kameras, Karotten und traumatisierendem Sex erzählt Thommie Bayers neuer Roman "Die gefährliche Frau"

Von Sandra SchäferRSS-Newsfeed neuer Artikel von Sandra Schäfer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"In Wirklichkeit tut Liebe weh. Das wissen alle, aber alle träumen weiter." Vera Sandin jedoch träumt nicht mehr.

Als Treuetesterin verdient sie sich ihren Lebensunterhalt, desillusioniert und desillusionierend. "Ist ihr Mann treu? Finden Sie es heraus" - so lockt sie ihre Kundschaft. "Ich stelle den Männern Fallen, verführe sie, biete mich an, bin der Traum, den sie längst schon nicht mehr zu träumen wagten" - so erlegt sie ihre Opfer und bannt bittere Wahrheiten, Sex und Lügen auf Video.

Doch auch wenn sich ihr Geldbeutel füllt und füllt durch diese Profession, so geht es Vera Sandin natürlich im Grunde um Rache am männlichen Geschlecht. In Rückblenden wird dem Leser und unter anderem ihrem neuesten Opfer, dem Schriftsteller Axel Behrendt, von ihrem Leben, von männlicher Gier, von weiblicher Eifersucht, von Konkurrenz und mannigfachen Demütigungen berichtet. Die Mutter eine "widerliche Sau", der Vater vollständig 'gerufmordet', lediglich die gute Murmi ist im Stande, Halt und Wärme zu geben. Freunde wie Freundinnen raubten die eine oder andere Unschuld, Männer waren schon immer bereit, teuer für Vera zu bezahlen - nach solchen Erfahrungen musste aus ihr eine solch desorientierte und desillusionierte Frau werden, die kein Mitleid mit ihrer Beute kennt, wie jeder Vulgärpsychologe stolz erkennen wird.

Axel Behrendt ist natürlich ganz anders als die vielen Männer vor ihm. Schon die Lektüre seines Buches legt völlig neue Seiten an Vera Sandin frei. Oder ist es lediglich das monatliche PMS? Behrendt also zeigt mitnichten männliche Gier, sondern ehrliches Interesse an ihrer Person. Und so erzählt sie. Mal die ganze Wahrheit, mal ein wenig mehr.

Dennoch: er ist ein Auftrag. Der ihr widerstrebt. Und dessen Hauptbeteiligter ihr mühelos widersteht und seine Frau aufrichtig liebt. Nur zögerlich gibt er ihrer Anziehungskraft mehr und mehr nach und auch mehr von sich preis.

Allerdings legt die Konstruktion des Romans an diesem Punkt schon allzu deutlich die Auflösung nahe - dabei hat der Leser doch auf weitere hundert Seiten Spannung gehofft. Einzig die Protagonisten ahnen nicht, was dem Leser in Leuchtbuchstaben entgegenblinkt. So strebt die Handlung der Katastrophe zu.

Eifersüchteleien sind schließlich ausgestanden, die quälendsten Erinnerungen erzählt, und "alles fand sich und paßte ineinander wie zwei Hälften eines Ganzen". Völlig aufgelöst will Vera Sandin zurückfinden zu ihrem professionellen Ich, bringt die Ergebnisse dieses erfüllten Auftrags zur Post und zerstört eine Ehe. Jedoch ganz anders, als sie erwartet hatte ... und wie der Leser, weiterlesend, weil doch noch auf eine unerwartete Wendung hoffend, als völlig erwartet bestätigt sehen muss.

Treffend und einfühlsam wie immer gelingt es Thommie Bayer in diesem Roman, Momentaufnahmen, Begebenheiten, Erinnerungen zu schildern - in der Gesamtheit jedoch scheint er von einem Klischee zum nächsten zu stolpern. Nachempfinden soll man die Traumata seiner Protagonistin - die Klischeehaftigkeit und allzu deutliche Hinweise jedoch lassen Motive wie Konsequenzen vorausahnen. Überraschend für den Leser gestalten sich eher noch einige der sexuellen Erfahrungen Vera Sandins: überaus demonstrative Beschreibungen abstoßender Erotik - nichts für romantische Träumer.

Bildlich und klar ist Thommie Bayers Sprache, wie man es von ihm erwartet. Er findet überraschend treffende Vergleiche und Beschreibungen, die für sich genommen den Leser in ihren Bann ziehen können. Und wenn der Roman auch kein Thriller ist, so liest er sich im Ganzen gut und unterhält. Doch allzu plakativ arbeitet Bayer bei der Charakterisierung seiner viel zu tragischen Heldin. Oder genauer gesagt: Der Autor Thommie Bayer lässt den Schriftsteller Axel Behrendt viel zu plakativ charakterisieren. Denn dies ist die einzige überraschende Wendung am Ende: Dass Axel Behrendt all dies in der Perspektive Vera Sandins erzählt, in der Hoffnung, seine Frau wiederzugewinnen. Und so ist der Roman tatsächlich nicht zur Rechtfertigung von Behrendts Schwäche, sondern von Vera Sandins schuldhafter Schuldlosigkeit geworden. Und so ist dem einzigen romantischen Träumer dieses Romans auch der einzige, wirklich überraschende Kunstgriff dieses Romans gelungen.

Das Herz ist nun mal eine miese Gegend. Vielleicht sollte sich Thommie Bayer mit seinem literarischen Schaffen lieber erneut den romantischen Träumern zuwenden - um so wieder eine größere Kongruenz zwischen Sprache und Inhalt zu erreichen.

Titelbild

Thommie Bayer: Die gefährliche Frau. Roman.
Piper Verlag, München 2004.
235 Seiten, 17,90 EUR.
ISBN-10: 3492045707

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