Dead Man Talking

William S. Burroughs' Rückkehr in die akademische Zone

Von Jörg AubergRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jörg Auberg

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Bereits Jahre bevor William S. Burroughs (1914-1997) mit seinem Meisterwerk "Naked Lunch" mit einem Paukenschlag auf der literarischen Bühne erschien, war er eine prominente Figur im literarischen Betrieb. Jack Kerouac verewigte ihn als "Old Bull Lee" in seinem Roman "On the Road" (1957), während Allen Ginsberg in seinem Gedicht "Howl" (1956) das Werk als endlosen Roman ankündigte, der jeden wahnsinnig machen werde. Als der "Roman" 1959 schließlich erschien, fühlten sich professionelle Literaturkritiker bemüßigt, ihrem Ekel Ausdruck zu verleihen. "Glug, glug. It tastes disgusting", schrieb der anonyme Kritiker im "Times Literary Supplement", während Lady Edith Sitwell sich angewidert mit dem Hinweis abwandte, dass sie nicht den Rest ihres Lebens damit zuzubringen gedenke, mit der Nase an die Klobrillen anderer Leute genagelt zu sein. Obwohl Burroughs bis zuletzt das Etikett des drogensüchtigen, homosexuellen Skandalautors anhaftete, erlangte er in den sechziger Jahren eine Reputation als einer der wichtigsten Vertreter zeitgenössischer Literatur, was sich auch in der kritischen Anerkennung renommierter Literaturkritiker wie Eric Mottram und Tony Tanner niederschlug.

Das Altern der Avantgarde

In den folgenden Jahren stieß der ehemals verfemte auteur maudit ins literarische Establishment vor und wurde mit Filmen, Platten, Lesungen und zahllosen Interviews (die sowohl in seriösen Literaturzeitschriften wie auch in schwulen Underground-Magazinen erschienen) zum Entertainer im Betrieb. In der Langzeitbeobachtung "Burroughs" (1984) des 1989 an Aids gestorbenen Dokumentarfilmemachers Howard Brookner wird nicht nur der Lebensweg Burroughs aus einer begüterten bürgerlichen Familie im amerikanischen Mittelwesten in die Abgründe der Drogensucht und künstlerischen Avantgarde rekapituliert, sie führt auch das "Altern der Avantgarde" und ihre bruchlose Integration ins Bestehende vor Augen. In den achtziger Jahren, als es kein Wagnis mehr für die akademische Karriere war, für Burroughs einzutreten, rotteten sich schließlich auch Literaturwissenschaftler zu akademischen Fan-Phatrien zusammen, die Burroughs eher idolisierten denn kritisch analysierten, wobei einige seltsame intellektuelle Hakenschläge notwendig waren, um Burroughs für das eigene Fortkommen in den jeweiligen Racket-Hierarchien zu vereinnahmen. So attestierte die feministische Literaturwissenschaftlerin Robin Lydenberg dem als Misogyn ausgewiesenen Autor eine anti-patriarchale Perspektive im Sinne der Theoretikerin Julia Kristeva. In Denunziation "konventioneller, humanistischer Methoden" in literarischer Kritik und Analyse fieberte Lydenberg der von Burroughs anvisierten Explosion "aller Körper und Texte" entgegen. Schließlich verwischte die ohnehin schmale Grenze zwischen Kulturwissenschaft und Kulturindustrie, als Professorin Lydenberg unter dem Deckmantel der Literaturkritik die Werbetrommel für Burroughs' letzten Roman "The Western Lands" (1987) rührte. Damit integrierte sie sich ins umgreifende Geschäft, das seine Abnehmer - wie Lothar Baier seinerzeit schrieb - "mit dem Versprechen subversiver Freiheit und radikalen Abenteuers in Fan-Clubs" organisiert, welche die Objekte ihrer Idolatrie dann auch noch für intellektuelle Randgruppen halten.

Language is a virus

Nach seinem Tod schien Burroughs auf unabsehbare Zeit aus der akademischen Zone verschwunden zu sein, doch nun erlebt er mit einem interessanten Essayband jüngerer Akademiker, Autoren und Künstler unter dem Titel "Retaking the Universe: William S. Burroughs in the Age of Globalization" neue Aufmerksamkeit, wobei die Qualität der einzelnen Beiträge recht unterschiedlich ist. Obwohl der Untertitel insinuiert, das Werk Burroughs' sei unter dem Zeichen der Globalisierung neu zu interpretierten, fördern nur wenige Essays tatsächlich neue Erkenntnisse zutage. Obgleich die Welt seit den sechziger Jahren, in denen Burroughs mit seinen experimentellen Texten - vor allem mit der Trilogie "The Soft Machine" (1961), "The Ticket That Exploded" (1962; rev. 1967) und "Nova Express" (1964) - reüssierte, sich weiterentwickelte, hat sich nichts Gravierendes an den Herrschafts- und Machtverhältnissen verändert, die Burroughs mit seinem literarischen Werk attackierte. Wenn auch selbst häufig auf den "Drogenschriftsteller" reduziert, war "Junk" für ihn lediglich eine Metapher für die verschiedenen Ausprägungen von Abhängigkeit - wie Herrschaft, Kontrolle, Bürokratie, Sprache und Kommunikation, Sex und Liebe. In den Augen Burroughs' setzte sich die Gesellschaft ausnahmslos aus Süchtigen zusammen, und der einzige Ausweg, aus dem Gefängnis der vorgeprägten menschlichen Existenz zu entkommen, war die Flucht in den schwerelosen Raum, wo das Individuum aller Zwänge entledigt wäre. Wie ein Guerillero bewegte er sich als Schriftsteller auf den Territorien der Sprache, die seinem Verständnis nach ein Kontrollinstrument war, das mittels Wort und Bild das Bewusstsein fesselte. "Language is a virus", ist ein stets wiederkehrender Slogan in der Nova-Trilogie, und als Gegenprogramm entwarf Burroughs das "Schreiben der Stille". Unter dem Einfluss des englischen Malers und Schriftstellers Brion Gysin entwickelte er als Sabotage-Instrument die Technik des "Cut-ups", bei der Texte verschiedenster Art und Herkunft zerschnitten und nach dem Zufallsprinzip wieder zusammengefügt werden. Dabei benutzte Burroughs nicht allein eigenes Material und Montagen aus Ton- und Filmbändern, sondern plünderte auch schamlos literarische Werke von T. S. Eliot, Franz Kafka, Joseph Conrad, Graham Greene, Shakespeare und vielen anderen. Dies brachte ihm den Vorwurf des Plagiarismus ein, doch Burroughs und Gysin hielten dagegen, dass alle Kunst Material für neue Kunst sei.

Take the habit or The Lunch is served in academia

Der Fokus vieler Beiträge richtet sich auf die experimentelle und radikale Periode Burroughs' in den "Roaring Sixties", als er seine langjährige Drogenabhängigkeit überwunden hatte und in London mit Vertretern der englischen Avantgarde wie Gysin und dem Filmemacher Anthony Balch zusammenarbeitete. Im ersten Teil des Bandes versuchen die jeweiligen Autoren, Burroughs - manchmal etwas zwanghaft - in theoretische Kontexte einzubinden, als wäre er das einsame amerikanische Sprachrohr von einstmals modischen französischen Theorieschöpfern wie Jean-François Lyotard, Gilles Deleuze, Roland Barthes und Michel Foucault gewesen. An anderer Stelle wird in einer akademischen Fleißarbeit aufgelistet, welche Ähnlichkeiten zwischen Burroughs und den Exponenten der originalen "Frankfurter Schule" Max Horkheimer, Theodor W. Adorno und Herbert Marcuse bestehen, um schließlich das Fazit zu ziehen, dass sie sich über gleiche Phänomene der Moderne kritische Gedanken machten, doch zu gänzlich unterschiedlichen Schlüssen kämen. Am ehesten noch war Burroughs den Situationisten nahe, doch kam - wie Timothy S. Murphy in seinem Beitrag schreibt - ein Kontakt nie zustande, weil Burroughs' englischer Mittelsmann, der Schriftsteller Alexander Trocchi, aus dem situationistischen Club ausgeschlossen wurde, ehe ein projektiertes Treffen zwischen Burroughs und dem Club-Vorsteher Guy Debord stattfinden konnte. Die Ironie der Geschichte entgeht Murphy in seinem humorlosen Bemühen, die Brücke von Burroughs' individualistischen Guerilla-Strategien und den situationistisch stimulierten Mai-Ereignissen des Jahres 1968 zu den Aufständen der Zapatistas und den Protesten der Globalisierungskritiker in Seattle und Genua zu schlagen, als wäre die Geschichte eine der immerwährenden Revolten gegen das schlechte Bestehende. Aufgenommen wird Burroughs als literarische Ikone ins Arsenal der Revolte, wobei unterschlagen wird, dass Burroughs in der Tradition eines radikalen Individualanarchismus steht, den soziale Belange und politisches Engagement kaum kümmerten - ganz im Gegenteil: Politische Intervention führte in seinen Augen lediglich in eine Sackgasse.

Auf feindlichem Terrain

Der zweite Teil des Bandes unter dem Titel "Writing, Sign, Instrument: Language and Technology" versammelt dagegen einige originelle Essays, die dem widersprüchlichen Verhältnis Burroughs' zu Sprache, Medien und Technologien nachspüren. Bis zu einem gewissen Grad war er in seiner obsessiven Beschäftigung mit der Sprache und Technologie familiär vorbelastet: Burroughs' Großvater patentierte die erste Rechenmaschine, und die Burroughs Company, die diese Erfindung vermarktete, war bis in die achtziger Jahre ein Konkurrent von IBM, ehe sie im Konzern Unisys aufging. Sein Onkel Ivy Lee war ein PR-Spezialist, der in Zeiten großer sozialer Unruhen vor dem Ersten Weltkrieg Großkapitalisten wie Rockefeller in gutem Licht präsentierte und die Gesellschaft manipulierte. Upton Sinclair gab ihm den Spitznamen "Poison Ivy", und John Dos Passos nahm ihn als Vorbild für J. Ward Moorehouse in seiner "USA"-Trilogie (1930-1936). Burroughs nutzte elektronische Medientechnologien zugleich für die Manipulation und Subversion. Die Herrschaft, welche durch die Sprache perpetuiert wurde, machte er an den Monopolen globaler Großkonzerne wie IBM oder der Manipulation durch Medienkonzerne wie Henry Luces Time-Life-Fortune-Imperium fest, wobei in seinen Augen die Mechanismen der Herrschaft sich seit den Tagen der Maya-Priester nicht geändert hatten, welche die Bevölkerung mit monopolisiertem Wissen in Abhängigkeit hielten. Die von den Bildern und Hieroglyphen der Herrschaft umstellte Realität musste zurückerobert werden. "Storm the Reality Studio and retake the universe", heißt es programmatisch in "The Soft Machine".

Vom Kino zum Internet

Film und Kino sind ebenso rekurrierende Metaphern wie die Guerilleros und Partisanen, welche durch Burroughs' Szenerien und Landschaften die unzähligen Formen der Herrschaft attackieren und manchmal sogar wie die Piratenkommunarden in "Cities of the Red Night" (1981) eine libertäre Utopie zu realisieren versuchen. In dem Experimentalfilm "Towers Open Fire" (1963) stürmt der Autor mit Gasmaske und Kriegsgerät über die Leinwand und startet einen Angriff auf die Kräfte des Kapitalismus des zwanzigsten Jahrhunderts. Mit Recht bezeichnet Jamie Russell dieses Werk als einen Akt des "filmischen Terrorismus", doch ist es kaum eine symbolische Vorwegnahme der Anschläge auf das New Yorker World Trade Center am 11. September 2001, wie er mutmaßt. Burroughs' Partisanen waren literarische Fiktionen, die sich aus den Phänomenen der damaligen Zeit (wie den Guerillabewegungen in der Dritten Welt, den Aufständen in den amerikanischen Großstädten, militanten Gruppen wie den Black Panthers und den Young Lords sowie der Revolte einer internationalen Jugendkultur) nährte. Der Antihumanismus, wie ihn Burroughs in seinem Roman "The Wild Boys" (1971) beschrieb, war letztlich nur der Ausdruck der Sackgasse einer entfesselten Gewalt, in der sich die Untergrundkultur in den späten sechziger Jahren wiederfand, als deren Repräsentanten maoistische SDS-Splittergruppen wie die Weathermen gelten konnten, welche die libertär-egalitäre Utopie einer besseren Gesellschaft an einen desperaten Terrorismus in Gestalt einer versprengten Stadtguerilla verrieten und im "American way of violence" versanken. Mit dem Niedergang der Jugend- und Gegenkultur in den siebziger Jahren verschwand bei Burroughs die Hoffnung auf einen "revolutionären Agenten", und auch die Fantasie vermag nicht, ein Loch in die Zeit zu sprengen, durch das ein Entkommen möglich wäre. Am Ende des Romans "The Western Lands" muss der alte, auf einer Müllhalde hausende Schriftsteller erkennen, dass durch das Schreiben der Tod nicht zu überwinden ist, dass er das Ende all dessen erreicht hat, was mit Worten getan werden kann - und Erlösung gehört nicht zum Programm.

Erst nach seinem Tod wurde das Internet zu einem umspannenden Medium, in dem Burroughs' Themen der Manipulation und Herrschaft, Unterdrückung und Abhängigkeit, Bürokratisierung und Verdinglichung, Subversion und Sabotage aufs Neue zum Tragen kommen, als würde der Film mit neuen Darstellern in anderen Kulissen noch einmal abgespult. In einem originellen Text lässt der Informatiker und Schriftsteller Edward Desautels Figuren Burroughs' in einem total vernetzten Universum auferstehen und zum "Nova NetMob" mutieren. Ging Burroughs in den achtziger Jahren von der Science-Fiction der Nova-Trilogie immer weiter zurück in der Zeit - zu den Piraten des achtzehnten Jahrhunderts, zu den Western-Mythen des neunzehnten Jahrhunderts und schließlich zu den Ägyptern -, so wäre die Gegenwart mit ihren Netzwerk- und Internet-Technologien, diversen staatlichen und privatkapitalistischen Agenturen mit ihren Abhör- und Ausspionierungstechniken, zahllosen disparaten und desperaten virtuellen Gemeinschaften, deren Individualität sich hinter beliebig austauschbaren Identitäten und "Nicks" auflöst, der Desintegration sozialer und politischer Gruppen in Rackets das ideale Territorium, um die Fantasien Burroughs' zu "detournieren" und in einem neuen Kontext umzugestalten. Manche seiner kurzen, in Underground-Zeitschriften erschienenen Texte haben nichts von ihrer Faszination eingebüßt. Sein "Interview mit einem Virus" (das auf deutsch in dem 1979 von Carl Weissner herausgegebenen Band "Die alten Filme" im Augsburger Kleinverlag Maro erschien) ist ein kleines Meisterstück über die Wirksamkeit bösartiger Viren, das - angesichts anfälliger Ports im total (und zumindest ansatzweise totalitär) vernetzten System - gegenwärtig an Aktualität noch gewonnen hat. Leider geht lediglich Oliver Harris, der Herausgeber der Briefe Burroughs', in seinem Essay "Cutting up Politics" auf diese Miniaturen ein - und dies auch nur kurz. Immer wieder wird von den Autoren die Nova-Trilogie wie ein politischer, kultureller und literarischer Steinbruch bearbeitet, während andere Dinge in der Unterbelichtung verschwinden.

Eine vollkommene Enttäuschung stellt der letzte Teil des Bandes dar, der mit dem Titel "Alternatives: Realities and Resistances" überschrieben ist. Warum hier ein Essay von John Vernon aus dem Jahre 1972, der bestenfalls gepflegte akademische Langeweile verbreitet, aufgenommen wurde, während der Rest des Bandes aus Originalbeiträgen besteht, bleibt das Geheimnis der Herausgeber. Auch den übrigen Texten haftet der Geruch der üblichen akademischen Auftragsarbeiten an, die zur Kenntnis genommen, aber auch schnell wieder vergessen werden. Trotz aller Kritik ist dieser Band jedoch durchaus lesenswert und anregend. Vielleicht findet der alte Schriftsteller ungeachtet aller Widrigkeiten und Resignation doch irgendwann einen Nachfolger, der mit den Worten über das Ende hinaus jonglieren kann.

Titelbild

Davis Schneiderman / Philip Walsh (Hg.): Retaking the Universe. William S. Burroughs in the Age of Globalization.
Pluto Press, London 2004.
328 Seiten, 21,90 EUR.
ISBN-10: 0745320813

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