Die Ehe als Seitensprung der Geschichte

Marie-Luise Schwarz-Schilling über die Entwicklung der Institution Ehe

Von Katarzyna Rogacka-MichelsRSS-Newsfeed neuer Artikel von Katarzyna Rogacka-Michels

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Vorstellung, dass die Ehe nur ein Seitensprung der Geschichte sei, erfreut sicherlich einige Ehegegner. Marie-Luise Schwarz-Schilling hat sich eines Themas angenommen, das über 5.000 Jahre alt und immer noch aktuell ist. Als Motivation zu diesem Buch gibt die Autorin das Scheitern vieler Ehen in ihrem Umfeld an. Das Scheitern der gesamten Institution Ehe hat ihrer Meinung nach hauptsächlich mit der Geschichte der Ehe und den daraus folgenden Prägungen zu tun. Dies versucht sie zu beweisen und verliert dabei leider an wissenschaftlicher Seriosität.

Rund die Hälfte des Buches befasst sich mit der Geschichte der Ehe und anderen "ehelosen Beziehungsformen" der Weltgeschichte. Die Untersuchung beginnt im Neolithikum mit "frauenbestimmten Gesellschaften" und geht über die frühfeudale und feudale Ehe zur bürgerlichen Liebesehe, die bis heute in demokratisierter Form praktiziert wird. Die Autorin versucht mit Theorien aufzuräumen, die noch in den 70er Jahren verkündeten, dass Ehe und Familie älter seien als die menschliche Kultur. An dieser Stelle vertritt sie eine soziologische und anthropologische Position, nach der die Mutter-Kind-Dyade Kern der menschlichen Kleingruppe und Basis für die Entstehung der Sippe sei. Am Beispiel einiger anthropologischer Funde werden die ersten Formen der Sippenordnung vorgestellt. Kennzeichnend ist für sie vor allem "die Herrschaft ohne Sexualität", die erreicht wird durch die Verlagerung der Sexualität nach außen; das heißt, die Mitglieder einer Sippe verkehren mit Mitgliedern aus einer anderen Sippe und alle kümmern sich gemeinsam um die Nachkommen der mütterlichen Linie. Diese Lebensform schließt die Sexualität als Machtpotenzial innerhalb einer Gruppe und einer sexuellen Beziehung aus.

Etwa 4.000 Jahre v. Chr. entsteht ein mächtiger "Männerbund" mit einem "belief-system", der vor allem für den Schutz der Gemeinde zuständig ist. Die Männer führen jetzt Kriege und werden zu Helden. Im Verlauf dieses Prozesses kommt es zu einer Rollenverschiebung, zum "Raub und Tausch der Frauen", wie Schwarz-Schilling es formuliert. Nicht die Männer wandern nachts zu den Frauen - wie es noch in der Sippe der Fall war -, sondern die Frauen werden zum Mann gebracht. Der Frauentausch ermöglicht für die Stammesangehörigen männlicher Bunde eine Ausweitung der Existenzsicherungskette für die Stammesmitglieder. Um dies zu legalisieren, erfinden Herrscher für sich und ihre Krieger eine Bindung der Frau an den Mann - die Ehe. Im Katholizismus wird sie sogar zum heiligen Sakrament und die Frau zur Dienerin des Mannes, so wie die Kirche Dienerin Gottes ist. Für die Autorin stellt der Krieg den Wegbereiter des Patriarchats dar.

Die Unterordnung der Frau unter einen Mann, so lautet die These, "war eher ein Staatsziel als ein individuelles Ziel." Als Beleg für die Durchsetzung der Männerherrschaft auf der gesellschaftlichen Ebene führt Schwarz-Schilling die Mythen und die Religionsgeschichte an: Die Muttergöttin, die als Symbol der Fruchtbarkeit und Wiedergeburt fungierte, wird von männlichen Gottheiten abgelöst, vielleicht sogar gestürzt und die Frau zur Erbsünderin und Verführerin.

Im Verlauf ihrer Geschichte durchlebte die Ehe einen tief greifenden Wandel: von einer Machtgewalt über eine politische Institution, durch Macht missbrauchte Sexualität bis hin zu einer politisch freien sexuellen Liebe. Aber wirklich politisch befreit? An dieser Stelle beginnt der zweite Teil des Buches. Er nimmt die Beziehung zwischen Frau und Mann und die Ehe mit ihren geschichtlichen Auswirkungen unter die Lupe. Es ist erstaunlich, wie differenziert die Autorin das Thema zu betrachten scheint, besieht man sich die vielversprechenden Gliederungspunkte: "Die Konditionierung der Machtpotentiale bei Frauen und Männern", "Wesensverschiedenheiten - ideologisch und biologisch" oder "Sündiger Sex - heiliger Eros". Leider halten sie nicht, was sie versprechen.

Besonders auffällig wird die unklare Argumentationslinie an den etwas altmodisch wirkenden männerfeindlichen Auslassungen. Hier ein kleines Beispiel zum Thema "Das Schweigen in den Lebensphasen". Die Autorin beginnt damit, dass es in der Pubertät sowohl bei Mädchen als auch bei Jungen zu einem Umbruch komme. Sie fühlen sich nicht mehr verstanden und können bzw. wollen infolgedessen nicht mehr über ihre tiefsten Wünsche und Fantasien sprechen. Bei Männern habe das damit zu tun, dass sie in "irgendeinem hierarchischen Kampfbund organisiert" seien wie etwa einem Sportverein, wo das "Sprechen [...] unüblich" sei. Schwarz-Schilling führt ihre Argumentation fort: "Was als kindliche Enttäuschung begann, setzt sich in den Partnermustern fort, wobei es in der Zeit des Liebesrausches so scheint, als öffne jeder dem anderen sein Herz - und dies für immer. Jeder Liebende hört begierig den geheimsten Gedanken des anderen zu - ein Jahr, zwei Jahre. Wie mit einem Zauberstab berührt, ist das feudale Muster während der Verliebtheit verschwunden. Männer können plötzlich zuhören und sprechen! Sobald die alten hierarchischen Muster wieder greifen, bekommt das Schweigen eine neue Qualität. [...] Die Frau hat im Verlauf des Zusammenlebens viel über den Mann gelernt. Der Mann wird wütend, wenn die Frau seine Geheimnisse offen ausspricht und sei es ihm selbst gegenüber. Sie hat über ihn zu schweigen. Das Schweigen geht also vom 'Herrn' aus. Der Vasall spricht nur, wenn er gefragt wird."

Leider fehlt dabei die einfache Erklärung, dass sich in der Phase des Verliebtseins beide Partner kennen lernen wollen und deshalb einen regen Austausch führen. Oder dass die Tatsache, dass sich Pubertierende nicht verstanden fühlen und einen Umbruch erleben, auch eine Folge hormoneller Veränderungen ist. Der "Zauberstab" wirkt eher unsachlich, zumindest alles andere als wissenschaftlich. Die Argumentation verwechselt die Ebenen. An einer Stelle wird psychologisch argumentiert, an einer anderen werden Klischees und Vorurteile bedient. Es werden meist populärwissenschaftliche Titel zitiert, die die Sachverhalte nicht erklären, sondern einen Nährstoff für die geschichtlich und politisch ausgerichteten Thesen der Autorin bieten. Verloren gehen dabei wichtige Beiträge, wie beispielsweise solche zur Gender-Debatte oder auch die Arbeiten von Simone de Beauvoirs, die auf dem Dualismus von Autonomie und Abhängigkeit beruhen und aus denen sich die Positionen von Herr und Knecht, auf die Schwarz-Schilling eingeht, ableiten lassen.

Gleichzeitig findet der Leser hochinteressante Zusammenhänge, die bestimmte Verhältnisse beleuchten, etwa dass die Frauen zu Trägern des Patriarchats geworden sind und dass man es hier mit einer Rollenverschiebung zu tun hat. "Der heutige Mann erlebt die ganze Strenge des patriarchalischen Gesetzes ausgerechnet durch die Frau. Mutter und Ehefrau sind zu Hütern der Ehe, der Treue, der sexuellen Zurückhaltung geworden; sie vertreten die männlich geprägten Religionen mit dem Enthaltsamkeitsideal und der Askese. Hier hat eine grandiose Verschiebung der männlichen Konstrukte auf die Frau stattgefunden." Somit kann der Mann seine Konflikte mit dem monogamen Gesetz auf die Frau projizieren und sie dafür haftbar machen. Die Anpassungsfähigkeit der Frau an ein System, das ihre Freiheit einschränkte, wird ihr so zum Verhängnis.

Sehr eigenwillig wirkt die Verwendung bestimmter Begriffe. Marie-Louise Schwarz-Schilling spricht von Männerherrschaft und Patriarchat, aber nicht von Frauenherrschaft und Matriarchat. Als ob Herrschen ausschließlich pejorativ besetzt wäre und lediglich eine männliche Eigenschaft darstelle. Sie benutzt die Formulierung "frauenbestimmte" Gesellschaften und meidet den Begriff Frauenherrschaft. Die ehelosen, von Frauen regierten Gesellschaften der Vergangenheit werden von Schwarz-Schilling idealisiert und als eine faire Lebensform empfohlen.

Marie-Luise Schwarz-Schilling versucht einen Spagat zwischen der geschichtlichen Darstellung der Ehe und deren Begründung auf meist psychologisch-soziologischer Ebene. Leider ist das Ergebnis nicht ausreichend wissenschaftlich fundiert. Dass ausschließlich machtpolitische Strukturen für das Scheitern der Ehe verantwortlich gemacht werden, verleiht dem Buch etwas Dogmatisches und bringt es um die wissenschaftliche Glaubwürdigkeit und Ernsthaftigkeit. Die Tatsache, dass die Autorin mit einem Politiker, dem ehemaligen Postminister Christian Schwarz-Schilling, verheiratet ist, lässt dabei durchaus auch die Frage aufkommen, ob das Buch nicht vielleicht eine Abrechnung mit der eigenen Ehe sein soll. Der Ratgebercharakter, der zum Schluss deutlich wird - zwei Vorschläge für einen gelungen Versuch, Frau und Mann friedlich für ein paar Jahre zusammenzubringen -, bestärkt schließlich noch die Zweifel an der Gesamtkonzeption des Bandes.

Titelbild

Marie-Luise Schwarz-Schilling: Die Ehe. Seitensprung der Geschichte.
Axel Dielmann Verlag, Frankfurt a. M. 2004.
335 Seiten, 16,00 EUR.
ISBN-10: 3933974488

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