Dunkle Stunden

Die Anthologie "Liebe nach Mitternacht" erzählt vom Wahnsinn der Liebe

Von Petra PortoRSS-Newsfeed neuer Artikel von Petra Porto

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Es heißt, die dunkelste Stunde der Nacht ist die Stunde nach Mitternacht. Wenn das stimmt, ist der Titel der von Susanne Schüssler und Hans-Gerd Koch zusammengestellten Anthologie gut gewählt, beschäftigen sich die meisten der dreizehn enthaltenen Erzählungen doch mit den düsteren Seiten der Liebe - der erkalteten, der unerwiderten oder der erzwungenen. Sie loten aus, was geschieht, wenn angenehme Einigkeit zu unerträglicher Einförmigkeit geworden ist und auch die scheinbare Flucht aus dem Alltag lediglich eine Wiederholung alltäglicher Verhaltensmuster verschleiert. Sie versuchen zu ergründen, welche Macht eine Leidenschaft birgt, die Menschen dazu bringt, alles zu vergessen, was sie ausmacht und nur noch für den anderen zu leben, der dieses Gefühl weder teilt noch auch nur verstehen kann. Sie beschreiben den Punkt, an dem endlos erscheinendes Verlangen in Teilnahmslosigkeit zusammenfällt, wenn die Anwesenheit des Geliebten nicht mehr lebensnotwendig ist, sondern als störend, gar einengend empfunden wird. Sie erzählen von der Eitelkeit des Liebenden, der im Geliebten auch immer sich selbst sieht. Sie analysieren die Verbindung zwischen Täter und Opfer, die Verknüpfung zwischen Anziehung und Abscheu, die Beziehung zwischen Gewalt und Hingabe.

In dem schmalen Band sind Erzählungen so ungleicher Autoren wie Doris Lessing, Helmut Krausser und Boris Vian vertreten, die - jeder auf seine eigene Art - einen anderen Aspekt maßloser Leidenschaften ausleuchten. Und maßlos sind diese Gefühle auf unterschiedliche Art: Sie kennen keine Einschränkungen, sie entgrenzen die Beteiligten und sie bewegen sich jenseits aller Nachvollziehbarkeit, sind im Wortsinne unermesslich. Liebe geht hier bis zum Tod und darüber hinaus, Liebe beweist sich in der Selbstaufgabe des sie empfindenden Subjekts, Liebe verletzt und führt zur Raserei.

Ein glückliches Ende ist nicht möglich, wenn der Raum, den das Gefühl zwischen zwei Menschen ausfüllen muss, immer größer wird, weil man sich fremd ist und fremd bleibt und das Geliebte sich entzieht, allein und abgesondert bleibt und bleiben will: "Er hatte einen Nebelstreifen geliebt, war vom Weg abgekommen und gestolpert. Mitten hinein in die Gewohnheit. Er wußte nur noch nicht, daß er abgestürzt war." (Barbara Frischmuth, "Wild-Frau") Wenn Sexualität zur Zurschaustellung des Körpers wird und die 'Vereinigung' nur ein kurzes Aufeinandertreffen zweier unabhängiger Hüllen bleibt: "Von Zeit zu Zeit kam der Junge, vollkommen eingehüllt in seinen Panzer von Eitelkeit, liebte sie, stellte sich zur Schau, schwieg immer und ging fort." (Goffredo Parise, "Sesso sex") Wenn eine Liebeserklärung an eine Tote gerichtet wird, die vor allem durch ihre Widerspruchs- und Wehrlosigkeit gefällt: "Ich liebe dich, tote Fickse." (Charles Bukowski, " Die kopulierende Nixe von Venice, Kalifornien")

Eine Anthologie, die von der Macht der Leidenschaft zeugt und von der Anziehungskraft der Dunkelheit - Lektüre für schlaflose Nächte.

Titelbild

Susanne Schüssler / Hans-Gerd Koch (Hg.): Liebe nach Mitternacht. Maßlose Leidenschaften.
Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2004.
117 Seiten, 11,90 EUR.
ISBN-10: 3803112230

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch