Geschichten des Nichtwissens

Alexander Moritz Freys Anthologie "Spuk des Alltags" wird zum ersten Mal seit 70 Jahren wieder verlegt

Von Micha WischniewskiRSS-Newsfeed neuer Artikel von Micha Wischniewski

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Beschäftigt man sich mit der Weimarer Fantastik, kommen vor allem Namen wie Gustav Meyrink, Hanns Heinz Ewers und Karl Hans Strobl auf - das vermeintliche Triumvirat der frühen deutschsprachigen Fantastik. Ein Autor, der allzu oft bei der Betrachtung dieses Themas vernachlässigt worden ist und auch heute noch wird, ist Alexander Moritz Frey, dessen Kurzgeschichtensammlung "Spuk des Alltags" nun als der mittlerweile dritte Band der im Blitz-Verlag herausgegebenen "Phantastischen Bibliothek Edgar Allan Poes" erscheint.

Die elf Erzählungen als Fantastik im eigentlichen Sinne zu deklarieren, in der sich das Übernatürliche in einer vermeintlich normalen Welt offenbart, doch gleichzeitig ein unbestreitbarer Teil eben dieser ist, wäre allerdings verfehlt: In den meisten dieser im wahrsten Sinne des Wortes merk-würdigen Geschichten vermeidet es Frey, definitive Aussagen über das von den Erzählern (respektive Protagonisten) Wahrgenommene zu tätigen; natürlich ist nie auszuschließen, dass das just Erlebte paranormaler Natur sein könnte, doch ist eine völlig rationale Erklärung - etwa Halluzinationen oder Überinterpretationen eines von Schuld geplagten beziehungsweise nervlich überspannten Charakters - genauso wenig von der Hand zu weisen. Doch nicht nur durch den Umstand, dass Frey seine Leser bezüglich absoluter Aussagen im Unklaren lässt, hebt er sich von seinen Autorenkollegen ab, sondern auch, indem er dem von Ewers formulierten Selbstverständnis, "Ja, mein Lieber, wir sind Konservative", eine konsequente Absage erteilt. Anders als die Genregrößen sollte er sich nie auch nur ansatzweise den Nazis oder den Deutschnationalen anbiedern, und das wird bereits in dem 1920 erstveröffentlichten "Spuk des Alltags" deutlich. Eindrucksvoll rechnet er mit der "Bestie Krieg" ab, wenn er den mit seiner eigenen Schuld ringenden Protagonisten aus "Verzweiflung" den Toten gegenüberstellt, die ihm im Ersten Weltkrieg zum Opfer fielen und vor denen er sich und sein Handeln nun zu rechtfertigen hat - und damit scheitert. Und auch wenn es auf den ersten Blick ganz klar eine klassische Geistergeschichte mit sozialkritischen Anwandlungen zu sein scheint, kann sich der Leser dessen dennoch nicht sicher sein, ist die gesamte Erzählung doch ein einziger, langer Monolog, dessen Urheber schlicht - von seiner Schuld überwältigt - zu halluzinieren begonnen hat und auf diese Weise mit ihr fertig zu werden versucht. Denn wieso sonst sollte er sich anfangs selbst sehen, wie er des Nächtens Leichen auf den Dachstuhl trägt?

Noch deutlicher wird diese, die Geschichten geradezu als roten Faden durchziehende Ungewissheit in "Verfolgung": Hier hat der Erzähler sein Mordopfer in einem Sandberg eines Hinterhofes versteckt und lebt nun mit der Angst, dass der Tote entdeckt werden könnte. Tatsächlich scheint eine Hand sichtbar zu sein - oder war es nur ein seltsam geformter Zweig? Bewegt sich der Tote gar, oder ist es Zufall, dass der Sand so gefallen ist, dass die Brille des dort Liegenden zum Vorschein gekommen ist? Gerade diese Unsicherheit, dieses Vage ist es, das den besonderen Reiz der vorliegenden Sammlung ausmacht und sie etwa von den esoterisch-mystischen Werken eines Gustav Meyrink abhebt.

Auch wenn es mehr als eines Jahres bedurfte, nach dem grandiosen "Alptraum-Netzwerk" Thomas Ligottis einen neuen Band der "Phantastischen Bibliothek" zu veröffentlichen, hat sich das lange Warten zweifelsohne ausgezahlt: Mit Alexander Moritz Frey lenkt Reihenherausgeber Markus K. Korb die Aufmerksamkeit des Fantastikpublikums auf einen Autor, der viel zu lange und gänzlich unverdient mit Nichtbeachtung gestraft worden ist. Schade nur, dass "Spuk des Alltags" - wie sämtliche Verlagstitel - lediglich direkt beim Blitz-Verlag zu erhalten ist, stünde es doch jeder Buchhandlung gut zu Gesicht, diese Anthologie im Sortiment zu haben.

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Alexander Moritz Frey: Spuk des Alltags. Elf seltsame Geschichten aus Traum und Trubel. Edgar Allan Poe's phantastische Bibliothek Band 3.
Blitz-Verlag, Windeck-Rosbach 2004.
239 Seiten, 9,95 EUR.

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