Enthusiast der Freiheit und der Reflexion

Schillers Briefe in einer Faksimileausgabe

Von Ulrich KrellnerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ulrich Krellner

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wie kann man einen Klassiker ehren, dem anlässlich seines 200. Todestages bereits mehrere neue Werkausgaben, Biografien und Gesamtdarstellungen gewidmet worden sind? Diese Frage scheint sich der DuMont Verlag gestellt - und mit der hier anzuzeigenden Publikation beantwortet zu haben. Der in rotes Leinen gebundene Prachtband versammelt unter dem Titel "Schöne Briefe" 22 faksimilierte Schreiben, die einen Querschnitt durch Schillers Korrespondenz von der Zeit der Karlsschule bis in die letzten Wochen vor seinem Tod darstellen und vom Herausgeber der Schiller-Nationalausgabe Norbert Oellers ausgewählt, transkribiert und kenntnisreich kommentiert wurden.

Für die Entscheidung, eine Auswahl ausgerechnet von Schillers Briefschaften in ihrer ursprünglichen Gestalt zugänglich zu machen, gibt es gute Gründe; dienten sie Schiller doch nicht lediglich für seine private Korrespondenz, sondern auch als ein Testmedium zur Entfaltung seiner poetologischen und ästhetischen Gedanken. Die in Auseinandersetzung mit Kant und Moritz verfassten "Kallias-Briefe" (1793) an Christian Gottfried Körner und die ursprünglich an seine dänischen Mäzene adressierten "Briefe über die ästhetische Erziehung des Menschen" (1795) sind dafür ein Beispiel. Die Überschrift "Schöne Briefe" wäre also durchaus als Anspielung auf den bedeutendsten deutschsprachigen Theoretiker des Schönen zu verstehen - und damit als Referenz an die ästhetischen Ideale der Weimarer Klassik. In erster Linie hat der Titel jedoch eine sinnlich-konkrete Bedeutung, die jeder Leser nachprüfen kann, der sich die Mühe macht, die vorzüglichen Reproduktionen zu entziffern. Schillers durch lange und regelmäßige Züge gekennzeichnete Diktion verdient in der Tat das in der Einleitung zweimal zitierte Urteil Goethes: "Die Klarheit und Freyheit der Handschrift besticht schon" (auch wenn es eigentlich nicht - wie der Herausgeber angibt - auf Schiller, sondern vielmehr auf Eckermann gemünzt war).

Sehr überzeugend erscheint die Auswahl aus der (insgesamt etwa 2.200 Briefe umfassenden) Korrespondenz, weil sie nicht nur die stilistische Brillanz des 'Klassikers' und die Verschiedenartigkeit der Adressaten seiner Briefe dokumentiert, sondern auch die intellektuelle Biografie Schillers in Umrissen zu erkennen gibt. Schon der erste, an den Vater eines verstorbenen Mitschülers gerichtete Brief ist ein bemerkenswertes Zeugnis. Die stupende Begeisterung, mit der sich der 21-Jährige seinen Gegenständen zuzuwenden pflegt, verwandeln dieses Kondolenzschreiben unter der Hand in eine Hymne auf die unsterblichen Tugenden des Verstorbenen, die umso heller erstrahlen, als sie die beengten Verhältnisse an der Karlsschule kontrastieren, unter denen Schiller weiter leben muss: "Und starb er nicht in der reinsten Unschuld des Herzens, mit voller Fülle jugendlicher Krafft zur Ewigkeit ausgerüstet, eh Er noch den Wechsel der Dinge, den bestandlosen Tand der Welt beweinen durffte, wo so viele Plane scheitern, so schöne Freuden verwelken, so viele so viele Hoffnungen vereitelt werden?"

Dass Schiller seine eigenen "Plane" und "Hoffnungen" jedoch keineswegs preisgibt, sondern energisch durchzusetzen sucht, belegt der zweite, kurz vor seiner 'Flucht' aus Stuttgart verfasste Brief an den Herzog Karl Eugen, der "auf das submisseste" ersucht wird, das nach der "Räuber"-Uraufführung erlassene literarische Publikationsverbot zurückzunehmen - und seinem zum Schriftstellerberuf entschlossenen Untertanen dadurch eine Unbotmäßigkeit zu ersparen. Schiller gibt in diesem Schreiben nicht nur seine perfekte Beherrschung des Kurialstils zu erkennen ("Eine innere Überzeugung, daß mein Fürst, und unumschränkter Herr zugleich auch mein Vater sey, gibt mir gegenwärtig die Stärke Höchstdenselben einige unterthänigste Vorstellungen zu machen ..."). Er stellt auch unter Beweis, dass er sich nicht scheut, für die Durchsetzung der eigenen Schriftstellerkarriere zu bluffen. Seine im "ganzen Deutschland" zur Kenntnis genommenen Schriften hätten ihm - so Schiller - "bishero zu der, mir von Eurer Herzogl. Durchl. gnädigst zuerkannten jährlichen Besoldung noch eine Zulage von fünfhundert und funfzig Gulden verschafft, und mich in den Stand gesetzt, durch Correspondenz mit auswärtigen großen Gelehrten und Anschaffung der zum Studieren benöthigten Subsidien ein nicht unbeträchtliches Glük in der gelehrten Welt zu machen". Wie der Herausgeber anmerkt, war diese selbstbewusste Bilanz eines sowohl schriftstellerischen wie wirtschaftlichen Erfolges jedoch zum damaligen Zeitpunkt pure Fiktion. Schiller würde noch auf lange Zeit um sein literarisches Ansehen kämpfen und in finanziell höchst ungesicherten Verhältnissen leben müssen. Erst in den neunziger Jahren ermöglichte ihm sein einsetzender Schriftstellerruhm ein auskömmliches bürgerliches Dasein. Die besondere, auf seine reale Situation verweisende Pointe liegt allerdings darin, dass Schillers Versuch der Aufwertung seines symbolischen Kapitals unbemerkt geblieben ist, denn der Herzog hat die Annahme dieses Briefes verweigert.

Höchst aussagekräftig für Schillers auf einen "schöpferischen Enthusiasmus" (Safranski) gegründete Künstlerpersönlichkeit ist seine - lang ersehnte - Annäherung an Goethe, die in der Zusammenarbeit beider Schriftsteller im Jahrzehnt vor Schillers Tod schließlich reiche Früchte trägt. Goethe allerdings ist dieser Bekanntschaft lange Zeit aus dem Weg gegangen; eine Ablehnung, die Schiller in einem Brief an seine Schwägerin in spe Caroline von Beulwitz vom 25. Februar 1789 folgendermaßen kommentiert: "Wenn ich auf einer wüsten Insel oder auf dem Schiff mit ihm allein wäre, so würde ich allerdings weder Zeit noch Mühe scheuen, diesen verworrenen Knäuel seines Charakters aufzulösen. Aber da ich nicht an dieses einzige Wesen gebunden bin, da jeder in der Welt, wie Hamlet sagt, seine Geschäfte hat, so habe ich auch die meinigen, und man hat wahrlich zu wenig baares Leben, um Zeit und Mühe daran zu wenden, Menschen zu entziffern, die schwer zu entziffern sind."

Fünfeinhalb Jahre später führt ein Zufall beide Dichter am Rand eines Jenaer Vortrages zusammen und Schiller fasst Mut, sich Goethe doch noch auf dem Weg einer 'Entzifferung' seiner Person zu nähern. Am 23. August 1794 schreibt er: "Lange schon habe ich, obgleich aus ziemlicher Ferne, dem Gang Ihres Geistes zugesehen und den Weg, den Sie Sich vorgezeichnet haben, mit immer erneuerter Bewunderung bemerkt." Es gelingt Schiller in diesem Schreiben auf faszinierende Weise, die Balance zwischen einer Ergebenheitsadresse und einem Gesprächsangebot auf Augenhöhe - unter gleichberechtigten Kollegen - zu wahren. Er demonstriert deshalb seine Kompetenz als Analytiker, der das 'naive Genie' Goethe reflexiv zu begleiten vermag und dadurch zur rationalen Einsicht in das - von Goethe stets hoch gehaltene - "Geheimnis" seiner Produktivität befähigt ist: "In Ihrer richtigen Intuition liegt alles und weit vollständiger, was die Analysis mühsam sucht, und nur weil es als ein Ganzes in Ihnen liegt, ist Ihnen Ihr eigener Reichtum verborgen, denn leider wissen wir nur das, was wir scheiden." Goethe kann sich einer so charmanten wie geistvollen Annäherungsstrategie schließlich nicht länger verschließen und legt mit seiner freundlichen Antwort die Grundlage für eine zehnjährige Korrespondenz, deren Stil und Themen nicht unmaßgeblich dazu beigetragen haben, dass dieses Dezennium als die 'Weimarer Klassik' in die Literaturgeschichte eingegangen ist. Aus der Distanz von zwanzig Jahren veranschlagt Goethe Schillers Beitrag zu diesem Briefwechsel noch weit höher als den Gehalt seiner eigenen Schreiben: "im innern und selbstständigen Werth kommen sie den Schillerischen nicht bey; er war geneigter zum reflectiren über Personen und Schriften als ich, und seine höchst freyen brieflichen Äußerungen sind als unbedingter augenblicklicher Erguß ganz unschätzbar".

Es ist hier nicht der Raum, die enorme Menschenkenntnis, Beobachtungsvielfalt und schriftstellerische Virtuosität zu würdigen, die Schillers Briefe nicht weniger kennzeichnen als die Schriften des Kunsttheoretikers und Dramatikers Schiller. Die vorliegende Ausgabe trägt diesem Reichtum Rechnung, indem sie Schiller als dankbaren Stipendiaten (an Herzog Friedrich Christian von Schleswig-Holstein-Augustenberg, 4. März 1795), verantwortungsbewussten Sohn (an Elisabetha Dorothea Schiller, 19. September 1796), umsichtigen Herausgeber (an Johann Friedrich Cotta, 5. Juli 1799) und bis in seine letzten Krankheitstage hinein rastlos produktiven Dramatiker (an Christian Gottfried Körner, 25. April 1805) zu Wort kommen lässt. Schade vielleicht lediglich, dass Norbert Oellers, der für die Ausgabe im Deutschen Klassiker Verlag Schillers Briefe der Jahre 1795-1805 ediert hat, keines der Schreiben an Wilhelm von Humboldt aufnehmen konnte, obwohl diese seiner begründeten Meinung nach doch "zu den intellektuell anspruchsvollsten Briefen in deutscher Sprache zählen" - der seinerzeit im Humboldt'schen Hausarchiv in Tegel aufbewahrte Briefwechsel gilt seit 1945 als verschollen. Ein Glück, möchte man sagen, dass sich die heutige Wahrnehmung des Briefautors Schiller nicht ausschließlich auf Manuskripte, sondern auch auf die Herausgeberleistungen früherer Germanistengenerationen verlassen kann. Alle für die Verführungskraft authentischer Dokumente empfänglichen Handschriftenliebhaber jedoch werden an dieser erlesenen Faksimile-Edition ihre besondere Freude haben.

Titelbild

Friedrich Schiller: Schöne Briefe.
Herausgegeben von Norbert Oellers.
DuMont Buchverlag, Köln 2004.
211 Seiten, 98,00 EUR.
ISBN-10: 3832178848

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch