Auf verschlungenen Pfaden

Gerhard Roths Roman "Das Labyrinth"

Von Peter MohrRSS-Newsfeed neuer Artikel von Peter Mohr

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der 62-jährige österreichische Autor Gerhard Roth hat mit seinem neuen Roman einen gewaltigen literarischen Brocken vorgelegt, an dem man noch lange nach der Lektüre kräftig zu schlucken hat. Mehrere Erzähler führen uns an unterschiedlichen Schauplätzen (Wien, Spanien, Portugal) und auf alternierenden Zeitebenen durch das opulente Handlungskonvolut. Der Titel "Das Labyrinth" hat sinnstiftenden programmatischen Charakter - es geht um labyrinthisches menschliches Denken, um verschlungene historische Pfade, um rätselhafte Zusammenhänge zwischen Kunst und Wahnsinn und auch um die labyrinthische Architektur der Wiener Hofburg.

Den Brand dieses - für das österreichische Establishment repräsentativen -Bauwerks hat Roth als Aufhänger gewählt. Doch der gewiefte literarische Stratege inszeniert um die Fakten aus dem Jahr 1992 herum ein anspielungsreiches Verwirrspiel, in dem die Frage nach dem Brandstifter und dem Drahtzieher eines weiteren Attentats dem umfangreichen Werk auch noch einen kriminalistischen Touch verleiht.

Primär liefert uns Gerhard Roth ein gigantisches Thesenspektrum, eine philosophisch untermalte Anordnung von Theorien, in denen das Feuer sowohl archaische als auch zerstörerische Energie hat, und in der es um den schmalen Grat zwischen Wahn und Sinn geht. Die zentralen Figuren des Romans haben ihren Lebensmittelpunkt in der Psychiatrie. Der promovierte Therapeut Pollanzy berichtet über seine beiden Patienten Philipp Stourzh und Franz Lindner, der uns schon als Protagonist in Roths Roman "Landläufiger Tod" begegnete.

Stourzh wurde in seiner Kindheit bei einem Jagdunfall von einer Kugel seines Vaters getroffen. Das Projektil steckt noch in seinem Kopf, hat aber bisher keine klinisch attestierten Schäden verursacht. Der Hilfspfleger und gescheiterte Historiker gehört zu den Tatverdächtigen. Offenbaren sich nun Spätfolgen? Welche Rolle spielt der offenbar ebenfalls verwirrte Pollanzy selbst?

Der Therapeut reist mit seinen Schützlingen zu einem internationalen Kongress nach Madrid, wo er Opfer eines Attentats wird. Sein seit Jahren schweigender Patient Lindner, der sich nur durch seine Malerei (bevorzugt Bilder mit Feuermotiven) artikuliert, gerät in Verdacht.

En passant hat Roth in seine ausschweifende Handlung auch noch essayistische Abhandlungen über Dichtung und Kunst eingeflochten. Fernando Pessoa, Cervantes (und in diesem Kontext sogar Shakespeare), Goya, El Greco und William Turner (um nur einige zu nennen) werden unter dem Aspekt des engen Zusammenspiels zwischen Kreativität und Schizophrenie analysiert.

Unübersehbar ist die Gefahr, dass man durch die polyphone Erzählweise schnell den Überblick verlieren kann, dass Stimmen von Stourzh und Pollanzy, die gemeinsam Kafkas Sterbehaus besuchen, mit der eines beobachtenden und kommentierenden Schriftstellers, der augenfällige Parallelen zu Gerhard Roth aufweist, vertauscht werden können. Zudem muss sich der Leser noch mit einem Wust editorischer Fußnoten auseinander setzen.

Den historischen Kreis, an dessen Beginn der Brand der Hofburg stand, schließt Roth rückwärts gewandt mit dem Untergang des Habsburger Reiches und dem frühen Tod des kürzlich selig gesprochenen Kaisers Karl auf Madeira. Um biografische Verknüpfungen ist der Autor nicht verlegen, denn die Urgroßmutter des potenziellen Attentäters Stourzh taucht noch als Kindermädchen des Monarchen auf.

Was hier als Spiel mit historischen und gedanklichen Varianten betrieben wird, wirkt bisweilen arg konstruiert und allzu sehr der literarischen Devise folgend, dass in der Kunst eben alles erlaubt ist. Autor Gerhard Roth kann sich galant aus der Verantwortung ziehen - mit der These, dass ein literarisches Werk, das wesentlich um das Sujet des Wahnsinns kreist, keiner Handlungslogik folgen muss. Genie und Wahn marschieren bei ihm in allen Lebensbereichen oft dicht nebeneinander. Sie sind sich so nah wie Meisterschaft und Beliebigkeit in diesem Roman.

Titelbild

Das Labyrinth.
S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 2005.
464 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-10: 3100660595

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