Tiefschürfender Leichtsinn

Der Abenteuerroman "Mein Leben als Fön" und das Album "Wir haben Zeit" des Berliner Autorenkollektivs "Fön"

Von Julia-Charlotte BrauchRSS-Newsfeed neuer Artikel von Julia-Charlotte Brauch

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Abenteuerroman", das ist die erste literar-terminologische Mogelpackung der Geschichten, die ein gewisser Klaus Luzifer McCoy verfasst haben soll. Bei genauerem Hinsehen entpuppt sich das Bändchen als erstes literarisches Gemeinschaftswerk der post-studentischen Berliner Boygroup "Fön", die bislang nur mit Live-Darbietungen ihrer feinsinnig schrägen lyrischen Songs unter anderem im "Kaffee Burger" zu hören waren. Ein Schelm, wer sich ob der wild flunkernden Herausgeberfiktion an Goethes "Werther" erinnert fühlt, wenn uns das Autorenkollektiv zu Beginn des Romans glauben machen will, dass hier wahrheitsgemäß und mit größtmöglicher Sorgfalt die autobiografischen Geschichtsfetzen eines quer durch die Jahrhunderte ahasvernden Melancholikers überliefert werden. Doch schon auf den ersten Seiten wird klar: Die Erfindung der Figur McCoy ist ein cleverer Vorwand, um gemeinschaftlich drauflos zu fabulieren.

Die wahrlich abenteuerlichen Geschichten des K. L. McCoy - er ist erlebendes Ich und Autor zugleich - sind teilweise derart witzig, dass schon wenige Seiten Lektüre zur Aufheiterung des missmutgemarterten Lesers gereichen. So kann man sich ein Grinsen nicht verkneifen, wenn McCoy im antiken Griechenland den Herren Arglos und Lipglos vorgaukelt, wie er eben den großen Sokrates mit ein bisschen praktischem Menschenverstand und in mäieutischem Dreischritt gekonnt aufs Kreuz gelegt hat. Auch McCoys Selbstinszenierung, wenn er als Nebenfigur und Störfaktor Bloedel durch das Nibelungenlied geistert, treibt einem Lachtränen in die Augen: Nur der betriebsblinde Tunnelblick der Forschung, so beteuert das - pardon - nicht Autoren-, sondern Herausgeberkollektiv, hat die Offenlegung des wahren Tathergangs bislang verhindert. Denn es war Bloedel, der Hagen und Gunther mit einer Kuchengabel erstach und Attila von seinem Heldentum entthronte.

In dieser Manier scheitert McCoy, der an multiplem Ich krankt, mit Kuchengabel und Fön im Gepäck durch die Weltgeschichte, beglückt einen Indianerstamm mit Eventsport, lehrt die Jamaikaner in einer schillernden Robinsonade erst das Fürchten, dann das Kiffen, teilt sich in der Bastille eine Zelle mit dem Marquis de Sade, verführt Professorentöchter und scheitert zuletzt immer in eigener Mission, bis er völlig vereinsamt im Karma der "Ewigen Jause" verschwindet. Auf seinem Weg hinterlässt die "künstlerische Doppelbegabung" McCoy nicht nur Schriftstücke aller Art - er leidet durchaus an Aufzeichnungssucht -, sondern auch banale bis faszinierende Selbstbildnisse, vom Herausgeberkollektiv gewissenhaft dokumentiert.

Bisweilen erinnern die Abenteuer an die freudianisch hochstapelnden Revolvergeschichten des Anatol Ludwig Stiller. Ohne Zweifel: McCoy sieht sich als Schriftsteller von Welt in der Tradition von Simplicissimus, Felix Krull und anderen literarischen Weltenwanderern mit allzu menschlichen Sehnsüchten. Kein literarischer Stoff, kein Genre ist vor ihm sicher, nicht die biblischen Gleichnisse, nicht die mittelalterlichen Heldensagen, nicht die Herzensergießungen romantischer Träumer. Und, auch das verbergen uns die Ritter vom Fön, Michael Ebmeyer, Bruno Franceschini, Tilman Rammstedt und Florian Werner, nicht, die Qualität von McCoys literarischen Erzeugnissen schwankt über die Jahrhunderte hinweg mächtig, manche Geschichten sind so zäh oder geschwätzig, dass man am liebsten weiterblättern möchte.

Besonders erfrischend hingegen ist McCoys Chronologie der Familie Tausendmark, einer skurrilen Aneinanderreihung unschuldig daherkommender Bosheiten, sprachlich verstärkt durch die verquere Verwendung lapidarer Alltagsphrasen wie "Dieses Privileg versteigere ich im Internet." Überhaupt, die Sprache: Es ist nicht zu verkennen, dass hier vier Köche Zutaten aus vielen Jahrhunderten und Sprachebenen zusammenmischen. Entsprechend chaotisch und komisch das Ergebnis. Gleichzeitig ist der "Abenteuerroman" eine wohltuende Parodie auf die bisweilen bis zur Nervzertrümmerung betriebene Editionsmanie literatur- und kunstwissenschaftlicher Elfenbeinturmbewohner. In diesen stärksten Passagen des Bandes erbringen die Herausgeber detaillierte pseudohistorische Beweise für McCoys Wegstationen und jonglieren respektlos mit der Welt- und Kulturgeschichte.

Im letzten Kapitel des Bandes liefert Großmeister McCoy selbst den Gründungsmythos von "Fön" nach, die, wie er uns anvertraut, nichts weiter sind als "vier Jungs, die gemeinsam einen Traum träumen". Im CD-Cover von "Wir haben Zeit" findet sich zusätzlich ein Briefchen von Zieh- und Übervater McCoy an die werten Leser, in dem er den wackeligen Werdegang der Band von der studentischen Begleiterscheinung zur Vereinigung überlebenswilliger Autoren ohne Massenlobby beschreibt.

Auf ihrem ersten Album kultivieren "Fön", nun als leibhaftige Urheber ihres Werkes erkennbar, einen heilsamen Minimalismus in Wort und Ton. Eigensinn hat oberste Priorität. So erzählt "Der Tag läuft unrund" im Internet-Jargon fast beiläufig den Seelenzustand des in globaler Vernetzung vereinsamten Ich und wärmt die sich erkannt fühlenden Zuhörerherzen schließlich mit Mitsing-Gemütlichkeit im Taschenformat. "Fön" finden eingängliche Formulierungen für die "gründlich entzauberte Welt", in der der Computer siezt und das zum User degradierte Ich höchstselbst die schweren Ausnahmefehler meldet. In fast logischer Fortführung dieses aufrichtigen Mitleids besingen "Fön" sogar austickende Uhren und rufen zu deren Vereinigung auf. Kurzum: "Fön" verabreichen bittersüße Schluckimpfungen gegen mutwillige Selbstertränkungen des vereinsamten Ich in Sentimentalität und Nostalgie.

Bei schweren zwischengeschlechtlichen Kommunikationsproblemen scheuen "Fön" durchaus keinen Vergleich mit dem Grundgesetz zur Darstellung der Verhältnisse. Sie beschwören eine Gruppendynamik, wie sie sich die Macher von Coachingseminaren kaum ausgedacht haben werden: In "Kielholen" beteuern vier leicht-sinnige Matrosen ihr vollstes Verantwortungsbewusstsein und schlängeln sich mit lustigem Rollentausch durch die Kompetenzbereiche. Bisweilen erkennt man das Gaga-Motto des eigenen Arbeitgebers in "Südsüdost und Zwiebeln für die Zähne". Oder: Hier sind genuine Karnevalisten am Werk.

Sosehr "Fön" auch die Vereinsamung der Menschheit in sachte tröpfelndem Jazz beweinen, romantischer Zwei- oder Mehrsamkeit geben sie schlechte Prognosen. "La matina dopo" zeichnet in illusionsloser Unromantik das bittere Szenario eines "Morgens danach". Bei "Früher" glaubt man die Erben Erich Kästners zu hören, derart todernst erschallt die Parodie auf die im Nachhinein verklärte Nachkriegsromantik. Rosinenbomber und der Familiensinn schlesischer Heimatabende, Trümmerfrauen und Persilscheine werden gleichermaßen gnadenlos durch den Kakao gezogen. Nicht einmal der Stoizismus des "Bavarian Rastafarian" bleibt verschont: Die Selbstbehauptung darf nur unter milder Selbstbelächelung überleben.

Die Skurrilitäten von "Fön" gipfeln in "Koffer": Nach dem Muster eines unscheinbaren Kinderspielchens und in zutraulichstem Ton verschwinden gar seltsame Dinge und ein zunehmend demolierter Bundesgrenzschutzbeamter im Koffer, bis die Welt mit einem Akkord wieder heil ist. Mit ähnlich naiver Unschuld treiben drei uralte Töpferinnen im Oberstübchen ihr Unwesen. Die rhythmische Durchtriebenheit der "Tausendmarks" aus dem McCoy-Band lässt grüßen.

In Buch- und Audio-Form sind "Fön" professionelle Konsumterrorverweigerer und Verunsicherer. Sie verschließen sich jedweder möchtegern-hippen oder Retro-Tendenz und sind genuin selbst. Sie albern mit trockenem Witz und schreienden Gemeinheiten. Die Zuschauer können sie nie recht beim Wort nehmen, hier von "Doppelbödigkeit" zu sprechen wäre eine sachte Untertreibung. "Fön" ist grundsätzlich eine Frage der Wellenlänge. Wenn es funkt, kann sich der Leser, Hörer oder bekennende Warmduscher von einem Gesamtkunstwerk im Lautsprecher, zwischen Buchdeckeln, auf der Bühne und sogar im World Wide Web wärmen lassen: McCoy ist überall.

Dennoch: Wer im Besitz von "Fön"-Buch oder -CD ist, sollte deren Genuss als Vorgeschmack auf eine literarisch-musikalische Live-Performance verstehen. Allein die unkonventionelle Instrumentierung kommt erst dann richtig zur Geltung, wenn man sie sieht. Der volle Spaß entfaltet sich, wenn man mit anderen inter-nett vereinsamten Zuhörern den vier Jungs von nebenan beim Geschichtenerzählen lauschen und gemeinsam über den höheren Blödsinn mit zeitweilig intertextueller Diarrhö schmunzeln kann. Bis man entweder alpträumend die Tausendmarks in der Wohnung über sich wähnt oder doch irgendwann unter anderen gefühlsverödeten Einzelkämpfern vor lauter Gerührtheit zum Feuerzeugschunkeln neigt.

Titelbild

KL McCoy: Mein Leben als Fön. Abenteuerroman.
Piper Verlag, München 2004.
204 Seiten, 12,00 EUR.
ISBN-10: 3492270794

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Fön: Wir haben Zeit. CD.
Traumton Records, Berlin 2004.
65 Minuten, 15,00 EUR.
ISBN-10: 3935813139

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