Irakische Halsabschneider, amerikanische Hundeführer und Jesus W. Bush

"Bambiland" und "Babel" - Elfriede Jelineks Theatertexte gegen den Irak-Krieg

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Bambiland", Jelineks zuletzt auf die Bühne gebrachtes Stück, wird von der Literaturnobelpreisträgerin mit einer sokratischen Regieanweisung eröffnet, gefolgt von einem Dank an Aischylos, dessen "Persern" sie nicht zuletzt die hier allerdings oftmals gebrochene Textmelodie entliehen hat. Nicht dass die Autorin sie schlicht nachklimpern würde - natürlich nicht! -, doch das Grundthema klingt immer mal wieder an. Die von Jelinek fast im gleichen Atemzug mit Aischylos erwähnte "Prise Nietzsche", die sie dem Werk beigemischt habe, bezieht sich auf dessen Kritik am Christentum, auf die "Herdentugenden", darauf, dass man die Moral vernichten müsse, um das Leben zu befreien und darauf, dass gemäß der Lehre von der ewigen Wiederkunft des Gleichen, alles wiederkommt, "vor allem der Krieg".

Sokrates, Aischylos, Nietzsche - drei von zahlreichen AutorInnen der Hochkultur, welche die Autorin in einem temporeichen und kaskadesk sich drehenden "Amalgam aus Medienberichten zum Irak" auf unverkennbar Jelinek'sche Weise ebenso unterrührt wie Kafka oder die Weisheit des Silen. Doch wie stets bei Jelinek, so ist auch hier mangelnde Qualität eines Prätextes kein Ausschlusskriterium für eine intertextuelle Bezugnahme. Ihr fließt auch mal ein Hermann Hesse aus der Feder (und wenn das Nobelpreiskomitee einmal geirrt haben sollte, dann 1946, sicher aber nicht 2004). Überhaupt bedient sie sich nicht nur der Hoch-, sondern ebenso der Trivialkultur oder auch schon mal der Berichterstattung der so verhassten und verachteten Leibesübungen, indem sie etwa die ekstatischen Ausbrüche eines Sportreporters zitiert, die wohl nur Österreicher und Fußballfans als solche erkennen werden. Doch Bärbel Lückes erhellendes Nachwort weist auf so manches hin, was einem bei der Lektüre des sprachlich und theoretisch durchkomponierten Textes entgangen ist, nicht nur an intertextuellen Bezügen, sondern mehr noch an theoretischer und poetologischer Hintergründigkeit. Hat man Lückes profunden Essay gelesen, glaubt man Jelinek kein Wort mehr, wenn sie behauptet, sie schreibe ihre Texte einfach so drauflos. Aber da hatte man ja schon vorher seine Zweifel gehabt und gar den leisen Verdacht gehegt, dass es kaum ein Zufall sein kann, wenn ausgerechnet auf Seite 218 - und nur dort - von der Heiligkeit der Leibesfrucht die Rede ist.

Bambiland, das ist der Kriegs-Irak, gesehen von einem gelegentlich ins Wir übergehenden monologisierenden Ich, in dem und durch das einE KriegsberichterstatterIn, die einmarschierende Partei sowie manch andere und zuletzt auch der Herrgott selbst reden. Sie alle wechseln oft innerhalb eines Absatzes, manchmal gar mitten im Satz, vielleicht sogar im Wort, das sie einander aus dem Mund reißen. Dabei geht Jelinek einzelnen Kriegsereignissen nach, so, wie sie durch die Medien gingen, und wir sie noch in meist vager Erinnerung haben. Man sieht die Autorin förmlich vor dem Fernseher sitzen - CNN läuft oder vielleicht auch mal ntv - und mit fliegender Feder schreiben, mal abschweifend, mal reflektierend, dabei stets überlegt, nie sich vom Fluss der Medienereignisse mitreißen lassend, immer literarisch gewitzigt und - witzig. Denn auch angesichts des Krieges verlässt sie ihr Jelinek'scher gelegentlich kalauernder, aber immer subversiver Witz nicht. Noch bei keinem Text zum Irak-Krieg hat der Rezensent bisher lachen müssen. Hier schon. Und oft. Wenn das Lachen auch nie so recht aus dem Hals herauswollte, den der Krieg bei Jelinek nicht voll kriegt.

In "Bambiland" bekommen alle ihr Fett weg, nicht nur die eingebetteten JournalistInnen, die "berichten, aber nicht verstehen", die "Masters of War", angeführt von "Jesus W. Bush", der nur leise zögert, sich "gottgleich" nennen zu lassen, die 'Märtyrer', die "grundsätzlich nur Unschuldige in den Tod mitnehmen, mit den Schuldigen passieren nach dem Tod so schreckliche Dinge, die sollte man ihnen ersparen". Auch die Betroffenen in den warmen europäischen Stuben, für die das "universelle Kind" herhalten muss, "damit [sie] ein Gefühl aus [sich] pressen können".

Handelt "Bambiland" zur Zeit des Irak-Krieges, so ist "Babel", das zweite, bislang noch unaufgeführte Stück des Bandes im Nachkriegs-Irak der irakischen Halsabschneider und amerikanischen Hundeführer angesiedelt. Schauplätze sind Abu Ghraib und eine Brücke, an deren Pfeilern die verkohlten Leichen geschändeter Amerikaner baumeln. Die drei Teile von "Babel" bestehen aus je einem Monolog, in deren Erstem Irm klagt, dass nur der Körper zählt, während Margit im zweiten über Religionen und Mutterschaft raisoniert. Einen "fetten Mann am Kreuz" etwa kann sie sich nicht vorstellen. Auch sie führt Klage: über die "Infantilisierung durch Kind und Kinderhaben, pfui Teufel", darüber, dass Frauen durch Mutterschaft "Eigentum aller Männer" werden und darüber, dass Mütter ihre Individualität nicht behalten dürfen. Ein Monolog, der immer noch eine weitere unerwartete Volte schlägt. Etwa, wenn die Mutter von Gottes Sohn sich als "Urbild der islamischen Frau" vorstellt und so Christentum und Islam ineinander verschwimmen lässt, wie der dritte Monolog die Untaten der einander bekämpfenden Nachkriegsparteien: "Den Arabern ist überhaupt alles zuzutrauen, nicht nur uns", sagt GI und Terroropfer Peter in diesem umfangreichsten und wohl auch komplexesten Monolog, in dem die Autorin den Nachkriegsschauplatz Irak mit dem Mythos des geschundenen Marsyas überblendet.

"Bambiland" und "Babel", zwei Stücke, die einmal mehr zeigen, dass sich Jelinek aus ebenso guten Gründen Heimat- oder Provinzdichterin nennen kann wie Ingeborg Bachmann.

Titelbild

Elfriede Jelinek: Bambiland. Zwei Theatertexte.
Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2004.
271 Seiten, 14,90 EUR.
ISBN-10: 3498032259

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