Vom Drehen im Schweiß

Werner Herzogs Aufzeichnungen der irrwitzigen "Fitzcarraldo"-Zeit

Von Stephan LandshuterRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stephan Landshuter

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Warum tut sich ein Mensch das an? Weshalb und wofür quält er sich (und andere) jahrelang bis aufs Blut "nur" wegen eines Films? Diese Frage mag sich ein von künstlerischen Obsessionen unbedrängter Normalbürger des Öfteren stellen angesichts der peinvollen, spannenden Lektüre von Werner Herzogs tagebuchartigen Aufzeichnungen aus der Zeit, in der er den Spielfilm "Fitzcarraldo" plante und drehte (1979-1981), und die er nun, nachdem er es lange aus Angst vermied, sie auch nur zu lesen, als Buch herausgegeben hat. Herzog notierte damals in einer Art Mikroschrift nebenbei alles, was er für festhaltenswert hielt und schuf damit parallel zum Film ein zweites Werk, das mindestens so spannend ist wie der Film.

Jeder normale Filmemacher wäre, wenn er dieses Projekt denn überhaupt begonnen hätte, spätestens nach der ersten Drehphase, die sang- und klanglos in einem Fiasko endete, ausgestiegen. Wahrscheinlich hätten die meisten sich angesichts einer Schuldenlast von mehreren Millionen Dollar sogar umgebracht. Bereits die Vorbereitungsphase 1979 war eine einzige Katastrophe gewesen, und als das Projekt Ende 1980 endlich anrollte, da verlief es nach kurzer Zeit auch schon wieder im Sande, da sich Hauptdarsteller Jason Robards für krank erklärte und abflog - Herzog unterstellt ihm mehrfach "Feigheit" vor dem Dschungel, Gleiches sagt er über Mario Adorf, der dazu noch als "dümmlich" und "anbiedernd" beschrieben wird. Wahrscheinlich stießen hier einfach zwei Welten aufeinander - eine des unbedingten, extremen Kunstwillens und eine andere, gemütlichere Auffassung von Kunst, bei der sich die Schaffenden eben nicht selbst Gefahren aussetzen müssen. So betrachtet hatte Herzog einfach falsch gecastet, eigentlich hätte ihm klar sein müssen, dass er mit zart besaitetem Personal bei einem solch wahnwitzigen Dreh nicht zurechtkommen würde. Für Mick Jagger, der für die zweite Drehphase nur aufgrund seiner musikalischen Hauptbeschäftigung nicht mehr zur Verfügung stand, hat Herzog indes nur warme Worte übrig. Er schien völlig ohne Allüren gewesen zu sein und spielte sogar Chauffeur, wenn Not am Mann war.

Der Einzige, der nun noch verhindern konnte, dass Herzog im zweiten Anlauf den Hauptpart selbst übernehmen musste, war Klaus Kinski. Doch Herzogs Vorbehalte waren groß, da er seit der Zeit des "Aguirre" wusste, dass Kinski kein geringerer Feigling im Angesicht von Schlangen und Moskitos war. Dennoch musste er es wagen, und Kinski stand bereit. Mit ihm gelang es, diesen geradezu aberwitzigen Film, der weiterhin mehrfach vor dem Scheitern stand, zu Ende zu bringen. An einem Punkt war Herzog bis zum Moment des Gelingens ganz allein: Niemand außer ihm hielt es für möglich, ein Dampfschiff in der Realität, also ohne Tricks und doppelten Boden, über einen Berg zu ziehen. Gerade darin aber lag der künstlerische Kern des Unternehmens für Herzog - selbst wenn er sämtliche digitalen Möglichkeiten unserer Zeit zur Verfügung gehabt hätte: Er hätte sie nicht genutzt, weil der Film sonst für ihn gänzlich wertlos gewesen wäre.

Nun mag der Eindruck entstanden sein, dass Herzogs Aufzeichnungen im Wesentlichen von den Dreharbeiten handeln, doch ist dem interessanterweise nicht so: Das Gros des Buches besteht zum einen aus Beobachtungen und zum anderen, ganz tagebuchtypisch, aus Beschreibungen des Innenlebens des Autors, der sich gefährlich oft am Rande des Nervenzusammenbruchs befand. Dass stilistisch nicht jede Wendung glückt, muss man dem Buch verzeihen, ein solcher Text kann nicht wie ein Roman bewertet werden. Herzog schrieb dieses Tagebuch nur für sich, was schon allein durch sein spätes Erscheinen glaubhaft wird. Eigentlich ist es geradezu erstaunlich, dass Herzog in der spontanen Niederschrift so häufig großartige Bilder von enormer Intensität und Originalität gelingen, so wenn er einer Boa constrictor in die Augen schaut und mit ihr stumme Zwiesprache über "die Verwandtschaft der Arten" führt und beide (!) zu dem Schluss kommen, dass sie gering sei.

Manchmal kommt einem Josef Winklers Roman "Domra" in den Sinn, in dem ohne Unterlass indische Feuerbestattungen beschrieben werden. Herzog zeigt in ähnlich sachlichem Ton für den Mitteleuropäer exotische Ungeheuerlichkeiten wie eine Frau, die einen neugeborenen Hund säugt oder eine Landfrau, die lebenden Hühnern die Schnäbel absägt. Großartig ist auch, wie auf einer halben Seite der wilde Tanz zweier vom Sturm abgerissener, funkensprühender Hochspannungskabel geschildert wird. Die größte Stärke dieses Buches besteht in solchen Details, in denen sich Herzog als sprachmächtiger, genauer Prosaautor erweist. Über den andauernden quasi-religiösen, etwas pathetischen Naturdiskurs, in dem der Dschungel rekurrent als "sündhaft" oder "unerlöst" erscheint, mag man sich mokieren oder auch nicht - dies ist nun einmal des Autors Weltsicht und eines muss man Herzog lassen: Selbst im Pathos bleibt er immer authentisch.

An dieser Stelle sei nebenbei auch noch einmal auf ein verwandtes schmales Buch aufmerksam gemacht, das Herzog Ende der 70er Jahre (ebenfalls bei Hanser) herausbrachte: Es heißt "Vom Gehen im Eis" und berichtet, wie Herzog im Spätherbst 1974 zu Fuß von München nach Paris geht, um durch diesen quasi-metaphysischen Akt das Sterben der großen Stummfilmhistorikerin Lotte Eisner zu verhindern (sie überlebte diese Krankheit tatsächlich um neun Jahre). Diese radikale Spontan-Wanderschaft zeigt, dass Herzog auch im Privaten derselbe kompromisslose Extremist ist wie in seinem Kunstschaffen. Das daraus entstandene Buch ist, wie die "Eroberung des Nutzlosen", anrührend und lesenswert.

Warum sich manche Künstler bisweilen einer kaum beschreibbaren Tortur unterziehen, um ein monumentales Kunstwerk hervorzubringen, vermag man auch nach der Lektüre dieses neuen Buchs von Herzog nur zu erahnen. Vielleicht ist es (ohne Künstlern wie Proust, Musil, Arno Schmidt oder Herzog zu nahe treten zu wollen) tatsächlich eine Form von kanalisierter Psychopathie, deren Produkte das Leben von weniger radikalen Geistern jedoch immens bereichern. Wie arm wäre die Welt ohne diese Wahnsinnigen.

Titelbild

Werner Herzog: Eroberung des Nutzlosen.
Carl Hanser Verlag, München 2004.
335 Seiten, 21,50 EUR.
ISBN-10: 3446204571

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