Fröhliche Wissenschaft

Tina-Karen Pusses "Lektüren zum Lachen"

Von Bernd HamacherRSS-Newsfeed neuer Artikel von Bernd Hamacher

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Klagen über die Unlesbarkeit von Dissertationen, denen ihr Charakter als Qualifikationsschriften allzu deutlich auf der Stirn geschrieben steht, sind bekannt. Umso willkommener ist daher die Lektüre eines Buches, das sowohl diese Textsorte als Matrix als auch ihre Rezeption selbstironisch reflektiert - einerseits. Andererseits kann die permanente Simultanthematisierung des Lektüreprozesses dazu führen, dass der Leser sich von der Autorin beobachtet fühlt und sich vor ihrem ständigen Blick über die Schulter in Sicherheit bringen möchte. Bloß wohin? Alle Auswege, "Hin- und Rückweg", scheinen verstellt, was für jede Lektüre gelten soll: "Der Lesende ist einerseits in einen unabschließbaren Deutungsprozeß verwickelt, kann aber andererseits nicht mehr in den Stand der Unschuld und des Unwissens zurückkehren." Auch nicht in den des Unbeobachtetseins? Man kann allerdings auch in die Offensive gehen, die intellektuelle Herausforderung annehmen, den Blick zurückgeben und die Autorin bei ihrer Lektüreüberwachung beobachten. Wie sie auf das Straucheln und Fallen des Lesers zu rechnen scheint, wird man umgekehrt gespannt darauf warten, ob es ihr gelingt, auf den 'Fußnotenkothurnen' (ein geglückter Ausdruck von Jochen Schmidt) die Balance zu halten.

Bei der Justierung der Überwachungskameras überrascht es zunächst, dass die Systemtheorie, die meist zur Analyse von Beobachtungsprozessen dient, im Theoriedesign der Arbeit fehlt. Wichtigster Gewährsmann ist Derrida, doch erstreckt sich die Selbstreflexion - man ist versucht zu sagen: natürlich - auch auf die Dekonstruktion. Die Konsequenz ist die Entwicklung einer "Lektürehaltung, die bestrebt ist, den Raum möglicher Deutungen möglichst lange offen zu halten und sich dabei nicht vor der Produktion von Aporien fürchtet, sie sogar als Sinneffekt des Textes fruchtbar zu machen bereit ist." Eine solche Haltung mag vielen als selbstverständlich und nicht der Rede wert erscheinen, ebenso wie die Abgrenzung einer 'literarischen' von einer 'philosophischen' Nietzsche-Lektüre.

Darüber könnte jedoch eine wichtige phänomenologische Konzeptualisierung dieser Lektürehaltung übersehen werden, die an unscheinbarer Stelle im Fußnotenapparat des Kafka-Kapitels verborgen ist: In Anknüpfung an Bernhard Waldenfels' Untersuchung der Asymmetrie von Gesprächssituationen macht Pusse geltend, dass jede Frage und Äußerung nicht beliebige, aber unendlich viele Anschlüsse zulassen, die von keiner Antwort oder Entgegnung ausgeschöpft oder erfüllt werden können, sodass "Risse" im Gespräch entstünden: "Diese Risse im Gespräch sind, bezogen auf die Kommunikation zwischen Text und LeserIn, der Grund dafür, daß ein Text niemals vollständig interpretiert ist."

Die Antworten der Interpretin auf ihre Texte gelten, von der Antike bis zur Postmoderne, von Platon bis Botho Strauß, der Begegnung und Durchkreuzung von Lachen und Fallen, beides verstanden als "Selbstalterierung", bei der sich "der Körper plötzlich in den Vordergrund schiebt". Dabei ist der Leser deshalb ständig mit im Blick, weil "das Fallen als Trope im Text gerade auf die rezeptive Wirkung des Textes" verweise, "während das im Text vorkommende Lachen diese Wirkung inhaltlich vorwegnimmt."

Das Lachen sei, so die These der Verfasserin, "Kulminationspunkt dessen, was die Lektüre ausmacht, wenn sie nicht nach objektiven Wahrheiten sucht, sondern sich der ständigen Vorläufigkeit, den Wahrheiten auf eigenes Risiko, aussetzt." Aber mag man lachen, wenn man die "Fallgruben der Metaphysik", in die man bei der Lektüre angeblich unweigerlich falle, gezeigt bekommt? Immerhin stellt die Autorin dem Leser dann doch frei, dem "Leseimperativ" zu folgen oder sich ihm zu entziehen.

Jedenfalls sieht man sich schon bei Kleists "Zerbrochnem Krug" mit Wahrheiten - ob vorläufig oder nicht - konfrontiert, die zumindest in Zweifel stehen. Dass die Schuldzuweisung an Goethe für die missglückte Uraufführung dann einseitig und ungerecht, wenn nicht falsch ist, wenn sie die 'Zerschlagung' in drei Akte als entscheidend anführt, ist ebenso zu bedenken wie der Umstand, dass Kleist nicht etwa "dem auseinandergerissenen Stück noch einige Fragmente" hinzufügte, sondern für die Buchausgabe einen Teil ausgliederte und als "Variant" in den Anhang stellte. Dass Adams zerrissener Hosenbund "auf den ebenso zerrissenen Ehebund sowie auf den zerstörten Pakt zwischen Spanien und den Niederlanden" verweise, mag eine mögliche Assoziation sein - "[n]atürlich" ist es nicht. Wenn Tina-Karen Pusse schreibt, eine "Sprechtragödie" sei für sie kaum vorstellbar bzw. würde "gerade aus diesem Grunde wieder als komisch rezipiert", so sähe man diese These gerne an Kleists "Penthesilea" überprüft, die eine "Sprechtragödie" katexochen ist, und die Goethe eben als komisch rezipierte.

Auf E. T. A. Hoffmanns "Prinzessin Brambilla" hingegen sind Thesen und Verfahrensweise der Arbeit so unmittelbar zugeschnitten, dass sie auch induktiv aus diesem Text hätten gewonnen werden können, der das "Zusammenfallen von 'Kunstwelt' und 'Weltwelt'" und die "Beunruhigung der einen durch die andere" vorführt.

Die Hauptkapitel des Buches widmen sich Nietzsche und Kafka. Mit Nietzsches "Zarathustra" steht ein Text im Zentrum, der - gegenläufig zu der etwa bei Baudelaire greifbaren Assoziation des Lachens mit dem Sündenfall - ausgerechnet im Lachen die Erlösung sucht, ein Lachen, das durch den Text bei der Lektüre performativ hervorgebracht werden soll, das keine neue Position setze und daher zur Selbstdistanz führe.

Im Kafka-Kapitel erhebt Pusse den Anspruch, die für den Autor spezifische Komik, die noch nicht befriedigend untersucht worden sei, herauszuarbeiten. Bei ihrer 'komischen' Lektüre des "Schloß"-Romans wechseln erhellende Beobachtungen mit kalauernden Assoziationen (etwa über die "Ge(h)hilfen"), die bei Kafkas Verfahren, Metaphern wörtlich zu nehmen, immer verführerisch sind. Ob man an der "Deutungskatastrophe", die sich beim Versuch einer "Schloß"-Interpretation notwendig einstelle, verzweifle oder aber lache, ist Pusse zufolge "eine Frage der Haltung".

Hierbei sind nun wiederum die Leser gefragt, denn bei der eingeforderten Selbstreflexivität werden auch sie sich zu entscheiden haben, ob sie Pusses Lektüren für "Deutungskatastrophen" halten wollen oder nicht. Die Philosophische Fakultät der Universität zu Köln hat die Arbeit als Dissertation angenommen und sich mithin für die zweite Option entschieden. Ob aber die Gutachter gelacht haben, ist dem Rezensenten nicht bekannt. Immerhin kann sich die Verfasserin, wenn sie sich vor dem Dilemma glaubt, über das Lachen nur ernsthaft oder aber überhaupt nicht schreiben zu können, damit trösten, dass auch die Frage, ob man unironisch über die Ironie sprechen könne, seit Friedrich Schlegel umstritten ist. Lachen oder Verzweiflung scheinen hingegen keine zwingenden Alternativen bei der Lektüre der vorliegenden Arbeit zu sein. Auch wenn man sich dem Imperativ des Lachens entzieht, wird man mit Gewinn und Genuss das intellektuelle Spiel mitspielen, zu dem die Autorin herausfordert und mit dem sie allemal für Lesevergnügen sorgt.

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Tina-Karen Pusse: Von Fall zu Fall. Lektüren zum Lachen. Kleist, Hoffmann, Nietzsche, Kafka und Strauß.
Rombach Verlag, Freiburg 2004.
214 Seiten, 32,00 EUR.
ISBN-10: 3793093964

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