Der Preis des kleinen Unterschieds

Inge Stephans Aufsätze zu Festlegungen und Codierungen der Geschlechter im 18. Jahrhundert

Von Thomas NeumannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thomas Neumann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der vorliegende Band ist eine Zusammenfassung von Aufsätzen zur Geschlechterinszenierung, die von Inge Stephan zwischen 1984 und 2004 publiziert worden sind. Dabei wird der allgemeinen Feststellung Rechnung getragen, dass die gegenwärtig immer noch geltenden gesellschaftlichen Codierungen der Geschlechter ihre Grundlagen in den gesellschaftspolitischen und kulturellen Entwicklungen des 18. Jahrhunderts haben.

In der Einleitung ist die Verortung des Bandes kurz skizziert: "So unterschiedlich der Fokus der Arbeiten im einzelnen auch ist [...], so offensichtlich ist es, daß sich Frauenforschung, feministische Wissenschaft und Gender Studien nicht ausschließen oder gegenseitig im Sinne einer aufsteigenden Linie ablösen, sondern daß sie ein gemeinsames Forschungsfeld begründen, in dem Platz für unterschiedliche Ansätze und Fragestellungen ist. Die zwölf Aufsätze dieses Bandes spiegeln die Entwicklung innerhalb dieses gemeinsamen Forschungsfeldes nicht zuletzt deshalb, weil sie Teil eben jenes Diskurses sind, durch den die Kategorie 'Geschlecht' überhaupt erst wissenschaftsfähig geworden ist." Nach dieser Ankündigung kann der Leser einiges erwarten - und er wird auch nicht ganz enttäuscht. Es ist eine Zusammenstellung von Aufsätzen, keine Monografie. Dies ist auch schon der schwerwiegendste Kritikpunkt. Die Darstellungen verweisen auf die fehlenden Beiträge, auf die Lücken zwischen den Aufsätzen.

Nimmt man den Band als einen Sammelband und nicht als eine Monografie zum im Buchtitel avisierten Thema zur Hand, wird einem einiges geboten. Stephan berichtet unter anderem von dem "Frauenbild und Tugendbegriff bei Lessing und Schiller", von der Rezeption von Lessings Frauengestalten und der "Textkonkurrenz zwischen Lenz und Goethe", den Differenzen zwischen Geniekult und Männerbund, von Klingers Medea-Dramen, dem Drama "Charlotte Corday" (1804) von Christine Westphalen, den "Schönen Seelen", dem Motiv von Wasser und Tod bei Eichendorff und Friedrich de la Motte Fouqué, dem "Florentin" und der "Lucinde" von den Schlegels und zum Abschluss etwas über das "Scheitern familialer Genealogien in Goethes Wahlverwandschaften". Die Arbeit eines Registers und eines Literaturverzeichnisses hat man sich erspart, was verschmerzbar ist, aber einige überleitende und verbindende Worte hätte man sich über das vierseitige Vorwort hinaus an der einen oder anderen Stelle gewünscht, zumal die Bezüge und Verbindungen für den kundigen Leser zwar offensichtlich sind, des Ausspruchs aber an mancher Stelle harren.

Der Band schließt auf gebrochen schöne Art und Weise mit dem Beitrag über Goethes Wahlverwandtschaften und dem Zitat "Schatten, die einander gegenüberstehen" und zieht einen unversöhnlichen Schluss, der auf den Preis für die Manifestation von Geschlechterrollen verweist und damit nicht nur den Bogen zu Lessing, sondern auch zur Gegenwart schlägt. Schon allein - aber nicht nur - wegen dieser Geste ein lesenswerter Band.

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Inge Stephan: Inszenierte Weiblichkeit. Codierung der Geschlechter in der Literatur des 18. Jahrhunderts.
Böhlau Verlag, Köln, Wien, Weimar 2004.
280 Seiten, 22,90 EUR.
ISBN-10: 3412152048

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