Lesen geht durch den Magen

Karin Irshaids Roman "Das Hochzeitsessen"

Von Susanne BlümleinRSS-Newsfeed neuer Artikel von Susanne Blümlein

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ein arabisches Sprichwort leitet den Roman ein. "Wenn man erst einmal zusammen an einem Tisch gesessen und gemeinsam gegessen hat, kann man kein Feind mehr sein." Es mutet den überheblichen, europäischen Lesern erstaunlich an, dass es der arabischen Welt oft nicht möglich scheint, ihren Sprichwörtern gemäß zu leben. Dabei markiert es nur die allgemeine Lage aller Sprichwörter der Welt, gerade das zu benennen, was fehlt und nicht erreicht wird.

Manchmal will Literatur doch etwas erreichen und nicht nur beschreiben. Und so lädt Karin Irshaid in ihrem Roman "Das Hochzeitsessen" den Leser gleich zu Beginn an einen Tisch. Die unbenannte Erzählerin im Roman bereitet Essen zu und spricht zu Lea, die jede ihrer Bewegungen beobachtet und wiedererzählt. Lea beschreibt "das Messer, das unter die Sehnen geht und sie großzügig abzieht", sieht "Nüsse, die goldbraun geröstet" werden und Rosen, Margeritensterne und Lavendelblüten, die "in eine Schale zu den" dort wartenden "Weinblättern gelegt werden". Mit jeder weiteren Beschreibung, werden weitere Sinnesreize angeregt, bis der Leser das Hoummus und dutzende andere Köstlichkeiten auf der Zunge zu schmecken scheint. Und erst dann beginnt die namenlose Erzählerin zu erzählen. Von den Menschen in Palästina, die Opfern Einlass gewährten, mit dem Resultat, dass ihr Land künftig nicht mehr ihr Land war, sondern das der Anderen. Von den Panzern, die über Hügel rollten und Häuser bis auf die Grundmauern zerstörten. Von dem Flüchtling Kassim, der sich im Exil eine neue Existenz aufbaute und von dessen Schwager Antonius, der im Ausland studiert hatte, auf beiden Seiten ein geschundenes Volk sah und die Heilung im Gespräch suchte. Der wegen dieses Blicks, den niemand teilen wollte, ebenfalls gehen musste, weil in Ländern, die sich so gut in ihrem Hass eingerichtet haben, kein Platz für Versöhner ist.

Vor dem Hintergrund des geschundenen Palästinas und neben der betörenden Darstellung arabischer Kochkunst entwirft die Erzählerin das Bild einer palästinensischen Familie, die ein freies Leben nur im Exil führen kann und das ihnen bekannte, offene, gastfreundliche Haus nur dort auch für Juden öffnen kann. Und sie spricht von der Hoffnung, eines Tages doch in ihr gebeuteltes Land zurückzukehren und dann endlich, die Art der Nachbarschaft zu leben, die sie im Ausland wiedergefunden hat.

Der Pressetext zum Buch erklärt die Absicht, "die menschliche Dimension von Krieg, Gewalt und Vertreibung [...] durch Literatur begreifbar" zu machen. "Das Hochzeitsessen" sei ein "melancholisch-hoffnungsvoller Text, der von [der] Hoffnung auf Frieden spricht." In erster Linie ist "Das Hochzeitsessen" ein Plädoyer für Palästina. Die Hoffnung auf Frieden drückt sich eher dadurch aus, dass die Leser sich dem Verständnis der Erzählerin von diesem Land anschließen mögen, um nicht nur Israel, sondern auch Palästina als Opfer zu begreifen. Die "Hoffnung auf Frieden" resultiert somit aus der Annahme, dass Frieden am ehesten zwischen zwei Gleichen entstehen kann; zwischen zwei Völkern, die sowohl Täter als auch Opfer geworden sind.

"Das Hochzeitsessen" ist ein berührendes Buch. Die Autorin versteht es, aus Beschreibungen des Kochens erwachende Sinne des Lesers mit den Gefühlswelten der beschriebenen Personen zu verbinden. Das hat eine Qualität, wie sie zuletzt nur Laura Esquivel in "Bittersüße Schokolade" gelungen ist. Die Figuren werden zu Menschen, die ein gutes Essen ebenso schätzen wie der Leser selbst. Darin liegt die eigentliche Verführung des Romans: aus Terroristen und Opfern einfach nur Menschen werden zu lassen, in denen wir uns sogar wiedererkennen können. Ist das gefährlich? Oder belanglos, weil ohnehin bekannt und bereits häufig erprobt? Die Antworten darauf werden zweifellos, wie immer im Leben, und wie immer bei Themen, die um politischen Sprengstoff kreisen, verschieden ausfallen.

Titelbild

Karin Irshaid: Das Hochzeitsessen. Roman.
Pendragon Verlag, Bielefeld 2004.
123 Seiten, 12,80 EUR.
ISBN-10: 3934872980

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