Amüsantes sprachliches (Ge-) Wissen

Die gesammelten "Zwiebelfisch"-Kolumnen in "Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod"

Von Julia-Charlotte BrauchRSS-Newsfeed neuer Artikel von Julia-Charlotte Brauch

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wie verflixt schwierig die deutsche Sprache ist, stellt man spätestens dann fest, wenn ein 'Ausländer' mit einem scheinbar einfachen "Warum heißt das so?" ratloses Stillschweigen bei Muttersprachlern hervorruft. Auch Eltern, die ihren Kindern gewisse sprachliche Marotten als "falsch" oder "stilistisch schlecht" austreiben wollen, geraten auf prompte Rückfragen oft ins Trudeln, weil die Erklärung und Verbesserung eines Fehlers so viel schwerer von der Zunge geht als die bloße Kritik. Selbst studierte Deutschlehrer neigen bisweilen dazu, Grammatik- oder Stilfehler in Aufsätzen lediglich anzustreichen, verzichten jedoch darauf, Verbesserungsvorschläge oder die entsprechenden Regeln hinzuzufügen: In sprachwissenschaftlichen Seminaren beschäftigen sich Lehramtsstudenten kaum mit "deskriptiver Grammatik" und den tückischen Niederungen der deutschen Sprache, so dass sie sich in der Praxis weitestgehend auf ihr blankes Sprachgefühl verlassen müssen.

Aber was ist dieses "Sprachgefühl"? Meist äußert es sich als Unbehagen, dass sprachlich irgend etwas hakt. Und selbst wer einen Verbesserungsvorschlag parat hat, kann selten auf eine entsprechende Regel zurückgreifen oder dieses Unbehagen objektiv begründen. Es hakt eben. Und das ist gut so! Genau auf dieses vage, nicht näher definierbare Sprachgefühl bezieht sich Bastian Sick in seinen "Zwiebelfisch"-Kolumnen, die wöchentlich in der Online-Ausgabe des "Spiegel" erscheinen. Er verweist die Vielen, denen am gepflegten Sprachgebrauch gelegen ist, nicht auf einschlägige Regelwerke und Kompendien, sondern nimmt alltägliche sprachliche Stolpersteine als Aufhänger, um das Bewusstsein für "gutes Deutsch" zu stärken und seinen Lesern en passant konkrete Faustregeln an die Hand zu geben.

In der reizüberfluteten Welt der Medien, in der Nachrichtensprache, in Werbung, Geschäfts- und Amtsdeutsch wird uns täglich ungefiltert ein Wust an Sprachmüll eingetrichtert. Bastian Sick ermutigt den "User" des Mediums Sprache mit seinen kurzen, glossenhaften Notizen, all die gedruckten und gesendeten Heuler nicht widerspruchslos hinzunehmen oder als "richtig" aufzufassen, nur weil sie bereits "offizielle" Kanäle passierten. So hinterfragt er den Jargon der Journalisten, Politiker und Werbefachleute auf die tatsächliche Bedeutung unbedacht formulierter und nachgeplapperter Phrasen hin. Besondere Aufmerksamkeit schenkt er den "primitiven Übersetzungsanglizismen" (Max Goldt) und dem Trend, unnötigerweise auf teils sogar falsche englischsprachige Formulierungen zurückzugreifen, weil sie vermeintlich schicker sind als deren bodenständiges deutsches Pendant - quasi der Horváth'sche "Bildungsjargon" in seinen zwangsglobalisierten Auswüchsen.

Ebenso kritisiert Sick das "hastige Ausreizen von Superlativen" und hält ein Plädoyer gegen schwammige Pluralformen wie "Gerüchte", "Vermutungen" und "Vorwürfe", wirkt die Einzahl doch meist konkreter und damit treffender in der Schärfe der Formulierung. Papierkriegverzweifelte Bürger tröstet Sick trocken: "Behördendeutsch ist von jeher bemüht, sich allgemeiner Verständlichkeit zu entziehen." Kein Zweifel also, wir sind nicht zu dumm für das Kleingedruckte unverständlicher Formulare, und Mitbürger fremder Herkunft, die Anträge bei Behörden nicht zur Zufriedenstellung der Schalterbeamten ausfüllen können, brauchen deswegen noch lange keine Deutschnachhilfe. Bastian Sick stellt die wahren Sprachsünder mit einem Zwinkern unter Terrorverdacht, und wer sich zwischen seinen Zeilen selbst erkennt, steht plötzlich ziemlich nackt da.

Doch Sick nimmt sich nicht nur der augenfälligen sprachlichen Alltagssünden wie abgedroschenen, sinnentleerten oder gar sinnwidrigen Phrasen und "Blähwörtern" an. Er bietet seinen Lesern auch Hilfe in den Wirren, die die Rechtschreibreform bisweilen verstärkt hat. So klärt er auf über den "Deppenapostroph", das Strichlein vor Genitiv- und Plural-"s", über die Funktion von Bindestrichen, die Verwendung des Fugen-"s" und die korrekte Pluralbildung und Beugung eingedeutschter Fremdwörter. Auch vor den Tücken der Grammatik scheut Sick nicht zurück, indem er, teils in hintangestellten Tabellen, die korrekte Konjugation, Deklination oder Verwendung von Präpositionen bei häufigen Fehlerquellen übersichtlich aufzeigt.

Sicks Kolumnen sind trotz einiger Haarspaltereien viel zu selbstironisch, als dass der Eindruck entstünde, er sei professioneller Besserwisser in Sachen "Kulturgut Sprache" oder wolle sich als unfehlbare Instanz etablieren. Vielmehr vermittelt er das Bewusstsein, dass Sprache ein lebendiges, nie vollständig fassbares Fluidum ist, bei dem es folglich auch nicht immer ein sicheres "richtig" oder "falsch" geben kann, sondern nur Empfehlungen. Er löst seine eigene Forderung nach Sprechbarkeit der Sprache auf verblüffend einfache Weise ein und schreibt dabei so unterhaltsam, dass er eine ganz Riege von Sprachwissenschaftlern beschämt. Lediglich ein Gedanke fällt Sicks Machete im Sprachdschungel zum Opfer: Die "Fehler" bedeuten sprachgeschichtlich nicht zwangsläufig eine "Verschlechterung", sondern bilden die Grundvoraussetzung für eine Weiterentwicklung der Sprache. Eine Sammlung von Sicks "Zwiebelfisch"-Artikeln ist nun in Buchform erschienen. 24 der dort abgedruckten Texte liest Rudolf Kowalski mit förmlich hörbarem Schmunzeln für die Audioversion.

Sicks Kolumnensammlung ist Balsam auf die Seele aller sprachgeschundenen Deutschlehrer, Behördengänger, Zeitungsleser und anderer, denen gepflegte Sprache mindestens ebensoviel bedeutet wie geputzte Schuhe, saubere Fingernägel und die Vermeidung von Mundgeruch. Aber "Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod" gehört nicht nur in die Regale der "offensichtlichen Sprachverteidiger". Mit seinen witzigen, klugen und eingänglichen Texten ist der Band geradezu prädestiniert, die Sprachzombies unter den Schreibtischtätern, Sesselfurzern und Hochglanzwerbetextern wachzurütteln und zu fragen: "Was macht ihr mit der Sprache?!" Eine Warnung vor Zwiebelfisch-Selbstläufern allerdings sei dem potentiellen Leser und Zauberlehrling mit auf den Weg gegeben: Die er rief, die Geister ...

Titelbild

Bastian Sick: Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod. Ein Wegweiser durch den Irrgarten der deutschen Sprache.
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2004.
230 Seiten, 8,90 EUR.
ISBN-10: 3462034480

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch

Titelbild

Bastian Sick: Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod. Ein Wegweiser durch den Irrgarten der deutschen Sprache. Lesung.
Gelesen von Rudolf Kowalski. Mit einem achtseitigem Booklet.
Der Audio Verlag, Berlin 2005.
160 Minuten, 19,95 EUR.
ISBN-10: 3898134008

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