Unsichtbar und doch so präsent

Ute Schneiders neues Buch "Der unsichtbare Zweite. Die Berufsgeschichte des Lektors im literarischen Verlag"

Von Brigitte OchsRSS-Newsfeed neuer Artikel von Brigitte Ochs

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Als "Literaturkulis", "geistige Geburtshelfer", "graue Eminenzen" und "Literaturhausmeister" werden sie gerne abfällig beschrieben. Diese Begriffe scheinen dem anspruchsvollen Berufsbild des literarischen Lektors in keiner Weise gerecht zu werden. Doch was verbirgt sich eigentlich hinter diesem Beruf? Gerade die Anonymität der Lektoren und die oft nur sehr ungenauen Vorstellungen von ihren Tätigkeiten, lassen Bezeichnungen wie die oben genannten aufkommen. Außerdem wird des Öfteren die Frage aufgeworfen, ob es sich bei den Tätigkeiten des literarischen Lektors überhaupt um einen Beruf handelt, da der berufliche Qualifikationsweg nicht definiert ist.

Diesen Fragen geht Ute Schneider in ihrer Studie "Der unsichtbare Zweite. Die Berufsgeschichte des Lektors im literarischen Verlag" nach. Hierbei analysiert die Hochschuldozentin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (Institut für Buchwissenschaft) den Beruf des literarischen Lektors aus seiner Geschichte heraus.

Um 1900 kam der Beruf des Lektors auf. Allerdings hatten keineswegs alle Verlage der damaligen Zeit einen Lektor angestellt. Samuel Fischer, als der erste Verleger mit Lektor im Verlag, bildete eher eine exotische Ausnahme. Erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts bildete sich das Lektorat als dauerhafte Institution im deutschen Verlagswesen heraus. Doch auch mit der Institutionalisierung des Berufes war das Berufsbild des Lektors nicht klar umrissen. Zweifelsohne gehörten zu seinen Aufgaben die Begutachtung der eingereichten Manuskripte, die Formulierung der Anzeigen für Neuerscheinungen, die Autorenbetreuung und -akquisition, die detaillierte Kenntnis der Verlagsprogramme anderer Verlage und die Entwicklung und Umsetzung von Vermarktungsstrategien. An diesem Aufgabenspektrum lässt sich bereits ablesen, dass der Beruf des Lektors eine äußerst ambivalente Funktion innehat. So ist ein wichtiges Charakteristikum dieses Berufsbildes, die notwendige Überbrückung des Gegensatzes zwischen ökonomischen Notwendigkeiten (wie zum Beispiel der Werbung) und kulturellen Werten.

Schneider stellt in ihrer äußerst gelungenen und auch für den nicht vorgebildeten Leser leicht verständlichen Studie den Weg des Lektors vom Aufkommen seines Berufsbildes bis heute dar. Dabei beschäftigt sich die Untersuchung sowohl mit berufsgeschichtlichen als auch mit literatur-soziologischen Fragen. Die Herausgeberin von "Imprimatur. Ein Jahrbuch für Bücherfreunde" analysiert in ihrer Studie die Kontinuität und die Wandlung der komplexen Rolle und Funktion des Lektors im Verlagsalltag vor dem Hintergrund der Buchmarktentwicklung und des dynamischen Literaturbetriebs im 20. Jahrhundert und liefert, auch mit Hilfe von zahlreichen Fallbeispielen aus der Praxis, einen informativen Überblick über dieses interessante Berufsbild.

Titelbild

Ute Schneider: Der unsichtbare Zweite. Die Berufsgeschichte des Lektors im literarischen Verlag.
Wallstein Verlag, Göttingen 2005.
400 Seiten, 44,00 EUR.
ISBN-10: 3892447586

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch