Die Toskana-Fraktion langweilt den Süden

Peter Schneiders neuester Roman "Skylla" lässt viele Fragen offen

Von Liliane StuderRSS-Newsfeed neuer Artikel von Liliane Studer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Dass sich zahlreiche Deutsche einen Zweitwohnsitz in der Toskana leisten, ist bekannt. Doch Italien hat noch weit mehr zu bieten. Das erfährt der Protagonist in Peter Schneiders neuestem Roman "Skylla", der pünktlich zu dessen 65. Geburtstag im April erschienen ist. Leo Brenner will eigentlich einen Sommer in der Toskana verbringen, gemeinsam mit seiner um einige Jahre jüngeren Frau und der gemeinsamen Tochter. Dauerregen vergällt ihnen rasch die Freude, und kurzentschlossen fahren sie weiter in den Süden, nach Latium. Liebe auf den ersten Blick ist es für die beiden. Eine wunderschöne Gegend, vom Tourismus noch weitgehend unberührt, erwartet sie. Hier wollen sie sich einrichten, nicht nur für diesen einen Sommer. Ein Haus ist schnell gefunden, dem Paradies auf Erden scheint nichts mehr im Wege zu stehen. Meinen jedenfalls die Deutschen mit viel Geld, die nicht mit den unterschiedlichen Vorstellungen, die sie von der ansässigen Bevölkerung trennen, oder mit tiefgreifenden Familienquerelen gerechnet haben. Dass ein deutscher Anwalt und ein süditalienischer Bauunternehmer nicht unbedingt die gleichen Vorstellungen über Bauweisen, Arbeitsmoral und Ehrlichkeit haben, muss Leo Brenner rasch erkennen, und letztlich erstaunt es ihn auch nicht besonders. Diese Probleme wären bestimmt zu lösen.

Viel schwerer wiegt für ihn die Tatsache, dass sich seine Frau, die er aus einer für sie schlimmen Ehe befreien konnte - er war ihr Anwalt - sich zunehmend von ihm entfremdet. Der Zufall will es, dass Lucynna, Archäologin, auf dem Gelände, wo die gekaufte Ruine zu einem wundervollen Wohnsitz umgebaut werden soll, ein antikes Mosaik entdeckt, auf dem Odysseus und seine Gefährten die Meerenge zwischen Skylla und Charybdis passieren. Lucynna sieht ihre Chance, endlich in ihrem Fachgebiet jemand zu sein. Während ihrer ersten Ehe stand sie nämlich im Schatten eines berühmten Archäologen, und dank ihrer Entdeckung könnte ein alter Streit zwischen zwei rivalisierenden Archäologen entschieden werden. Als das Mosaik aus dem Versteck verschwindet, gerät jedoch alles aus den Fugen. Lucynna entwickelt sich zu einer wahren Furie, die den völlig verstörten Leo angreift, um am nächsten Tag spurlos verschwunden zu sein. Leo sieht sich allein mit Tochter in einem halbfertigen Haus, umgeben von nicht unbedingt Vertrauen erweckenden Bauarbeitern und Archäologen. Doch er gibt nicht auf. Er liebt seine Frau, ist überzeugt, dass sie wieder in die Kleinfamilie zurückkehren wird. Er glaubt, dass letztlich die schlimme Erfahrung, die sie mit ihrem ersten Mann gemacht hatte, verarbeitet werden muss, damit sie sich ganz auf dieses jetzige Leben einlassen kann. Leo findet sie: Was geschehen ist, bleibt unangetastet, wie es weitergehen wird, ist offen.

Peter Schneider ist vielen bekannt als Autor der 1973 erschienenen Erzählung "Lenz", mit der er über alle politischen Grenzen hinweg einen großen Erfolg feiern konnte. Verglichen mit diesem fulminanten Prosatext wirkt der Roman "Skylla" jedoch flach und allzu sehr mit Clichés überfrachtet. Da ist zuerst einmal diese Familie, die eigentlich ziemlich langweilig ist: Der Scheidungsanwalt in den besten Jahren heiratet seine Klientin, gemeinsam haben sie ein Kind. Die Frau wird von ihrer Vergangenheit eingeholt - ihr zweiter Mann hatte nämlich nie erfahren, was da eigentlich passiert war. Sie ist schließlich nicht mehr sie selbst und muss alles verlassen, um sich selber zu finden. Ziemlich verwirrt und verwirrend bleibt außerdem die Geschichte rund um das Mosaik, das Lucynna so völlig den Boden unter den Füßen wegreißt. Was geht da vor sich, fragt man sich, wo sind die Parallelen zwischen Lucynna und der Skylla-Figur, dem blutrünstigen Frauenmonster aus der Antike? Eher oberflächlich bleibt auch die Frage danach, wie sich die Deutschen in der neuen Umgebung integrieren. Da erfährt man zwar einiges über Familienstreitigkeiten, die sich erschwerend auf die Renovierungsarbeiten auswirken oder unseriöses Geschäftsgebaren der verschiedensten Partner, die für das Bauvorhaben unabdingbar wären, doch alles bleibt in der Beliebigkeit stecken. Peter Schneider gelingt es nicht, das Interesse an den Figuren und ihren Geschichten zu wecken.

Titelbild

Peter Schneider: Skylla. Roman.
Rowohlt Berlin Verlag, Berlin 2005.
312 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-10: 387134432X

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